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NEØV "PICTURE OF A GOOD LIFE" VS. LAMBS & WOLVES "NOT A PARTY AT ALL": LEKTIONEN IN SCHWERMUT

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Man muss schon aus einem bestimmten Holz geschnitzt sein, um der Melancholie etwas positives abzugewinnen. Im Weltschmerz und unbegründeten Trübsinn die schöpferische Kraft zu ziehen, ist das eine (und für die meisten sicherlich auch die stärkste Antriebsfeder). Die Musik aber bei aller Traurigkeit dennoch hoffnungsvoll klingen zu lassen, das andere.

NEØV haben dafür ein bisschen Zeit gebraucht. Denn vor "Picture Of A Good Life" war das Album "Volant". Und das war sehr nach innen gekehrt, was vermutlich wohl auch daran gelegen hat, dass Anssi und Samuli Neuvonen, Brüderpaar und harter NEØV-Kern, es "im Alleingang in einer Einsiedelei tief in Finnlands Wäldern", so der Journalistenbeipackzettel, komponiert haben.

Doch bereits zu diesem Zeitpunkt, wir schreiben 2019, hat die Band die Aufmerksamkeit außerhalb ihres nordeuropäischen Habitats gezogen. Das Hamburger Label Clouds Hill hat NEØV da schon unter Vertrag gehabt. Auf "Picture Of A Good Life" schlägt sich die Öffnung der Band hin zum internationalen Markt auch musikalisch nieder, zumal sie das Album auch in der Hansestadt aufgenommen haben.

Einen guten Einblick in die neue Arbeitsweise liefert "Loner", welches von einer traurig vor sich hintröpfelnden Pianolinie aus startet, um die sich eine schuhstarrerische Soundwolke erhebt, in der Anssi fast schon verloren seine leidenschaftliche Lyrik vorträgt. Auch in "Island" schlagen zwei Herzen, ach, in seiner Brust. Da ist auf der einen Seite die fordernden Gitarrenriffs, die einen gewissen Lebensdurst vermitteln, aber vom cremigen Organ Anssis, natürlich dezent mit Hall belegt, in Zaum gehalten wird. Lebensfreude ist erlaubt, aber bitteschön mit der nötigen Portion Demut. Das Erfolgsrezept - ausbrechende Instrumentierung, vom Gesang wieder eingefangen - funktioniert auch bei "Burnt My Fingers", das für eine gediegene Indie-Party optimal ist.

"Picture Of A Good Life" ist natürlich auch Gesellschaftskritik. Denn "das gute Leben" und wie es auszusehen hat, wird einem tagtäglich vorgeführt, sei es in Hochglanz-Werbespots, Insta-Stories oder den Unmengen an Ratgebern, die stets als Bestseller die oberen Ränge der Sachbücher-Charts einnehmen. Wir sind getrieben von einem Idealbild, das wir gar nicht erreichen können.

Ein probates Gegenmittel für dieses Dilemma liefert NEØV zwar nicht, aber mit ihren Liedern dazu stoßen sie für die Hörer die Türen auf, um sich eigene Gedanken dazu zu machen. Insofern ist "Picture Of A Good Life" vielleicht auch ein bisschen Lebenshilfe. Aber eine, die ohne Anspruch auf absouter Wahrheit daherkommt - und vor allem geil klingt.

Manchmal braucht es eben seine Zeit, bis aus etwas Vielversprechendem etwas Großartiges wird. So auch geschehen bei Lambs & Wolves. Ihr Debüt "Frozen In The Lake" datiert von 2011, und erst jetzt haben sie mit "Not A Party At All" ihren Nachfolger veröffentlicht. Dazwischen gab die Band, deren Besetzung in dieser Zeit sich immer wieder änderte, Lebenszeichen in Form von zwei EPs.

Ob es daran liegt, dass Frontmann Julian Tröndle und seine beiden Mitstreiter aus dem sonne- und wärmeverwöhnten Breisgau stammen, was sie zu einer südlichen Lässigkeit inspiriert, oder sie einfach nur Perfektionisten sind, die auf "Not A Party At All" alles richtig machen wollten? Jedenfalls hat ihr kontemplativer Indie-Folk nicht den Anspruch auf Innovation, aber auf absoluten Wohlklang.

Wie einst Kings Of Convenience, die mit ihrer Parole "Quiet Is The New Loud" der Ruhe - und damit auch einer melancholischen Grundausrichtung - mehr Platz einräumten, herrschen bei Lambs And Wolves ruhige Momente, voller Innerlichkeit und Reflektion. Das war schon beim Erstling ausfindig zu machen. Doch erst mit dem aktuellen Album zeigen sich die großen Stärken dieser Band.

Diese befinden sich zweifelsfrei in den wundervollen Harmonien, die gleichzeitig voller Traurigkeit, aber auch von einer eigenartigen Wärme durchzogen sind. Wie bei "Velvet Lies", das in zaghaftem Pianospiel nebst umschmeichelnder Gitarrenbearbeitung eine Intimität zulässt, wie sie Lambs & Wolves zuvor nicht zugelassen haben.


Wenn im ersten Song "When It Ends" vom "tired smalltown superstar" die Rede ist, stellt das die gesamte Platte bewusst in ein klares Setting. Die Lieder atmen die malerische Tristesse juveniler Kleinstadtmenschen, die sich in ihren großen Träumen verlieren und auszubreichen versuchen. So wie bei "Prove You Wrong", das an eine introvertierte Variante von Travis' "Sing" aus dem Meisterwerk "The Invisible Band" erinnert. Alles wirkt so schmerzvoll behütet bei den Lämmern und Wölfen.

Es sind die kleinen Gesten, die "Not A Party At All" zu einem wunderbaren Album avancieren lassen. Hier eine liebevolle Zweistimmigkeit, von Stefan Bercher unterstützt. An anderer Stelle ein zaghaftes Innehalten, dazu putzige, behutsam gesetzte Effekte, wie die fast schon vergessene Kunst des Fade Outs bei "Foreign Eyes". Und manchmal, wie bei "Every Animal", kommt am Ende tatsächlich ein feiner Popsong heraus.

Lambs & Wolves ist etwas Großes im Kleinen gelungen. Sie machen tatsächlich "Not A Party At All", aber sie zelebrieren die kleinen Dinge des Lebens und die zerbrechlichen sozialen Beziehungen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.01.21 | KONTAKT | WEITER: VIAGRA BOYS "WELFARE JAZZ">

Webseite:
www.neovband.com
www.lambsandwolvesband.com

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Cover ©  Clouds Hill (NEØV), RecordJet (Lambs & Wolves)

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