TETROLUGOSI: DIE FABELHAFTE WELT DER ANOMALIE
Bei Tetrolugosi darf man sich nie sicher fühlen. Die italienische Formation schlägt nämlich derart rasant musikalische Haken, dass ihnen zu folgen bisweilen eine schwere Aufgabe ist. So beginnt ihr erstes Album, schlicht "Tetrolugosi" (2014) betitelt, recht skurril: Unter schummrigen Keyboard-Klängen beschwört eine Grabestimme den Hörer, auf einen goldenen Käfer zu hören. "The Golden Bug" wirkt so abstrus, dass man gar nicht weiß, wie man diesen Stil einordnen soll. Noch ehe man sich aber tiefere Gedanken dazu macht, wer uns hier gerade einem vom Insekt erzählen will, bringt nachfolgende Nummer "The Milky Way" eine unbeschwerte Leichtigkeit an den Tag, die mit "Till We Are Buried" weitergeführt wird. War also die Ouvertüre nur eine gut gelegte Finte? Ein aus der Lambrusco-Laune entstandenes Experiment?
Mitnichten! "Tastaferro" liefert den Beweis, dass dieser Wahnsinn Methode hat. Der Song klingt wie eine Mischung aus japanischer Karaoke und Hexentanz. "'Tastaferro' stammt aus einem italienischen Dialekt und bedeutet so viel wie Hornisse. Wir finden den Klang dieses Wortes einfach toll und haben darum eine Geschichte um eine riesige japanische Hornisse entwickelt." Auf solche Ideen kommen Sara Paradisi und Camillo Perazzoli anscheinend ständig, seitdem sie sich 2012 das erste Mal im Studio trafen. "Nachdem wir 'Tonight The Dead Can Dance' produziert hatten, merkten wir schnell, dass die Chemie zwischen uns stimmt. Seitdem haben wir nicht mehr damit aufgehört."
So bauten sie Stück für Stück eine eigene Welt auf, die ihrem Bandnamen nach zu urteilen natürlich auch irgendetwas mit schwarzgetränkter Klangkunst zu tun haben muss. Lugosi jedenfalls sollte jedem Vampirfreund hinlänglich bekannt sein. Und Tetro? "Das Wort bedeutet so viel wie finster", erklären die beiden den Ursprung. Klingt also wie Düsternis in der Potenz. Wie die Reinkarnation urtypischen Gothic-Verständnisses. Doch solch Schubladendenken liegt ihnen fern. "Was bedeutet 'Gothic'? Schwarze Kleidung tragen? Das tun wir. Haare toupieren? Machen wir manchmal auch! Wie auch immer: Wir sind freie Menschen und mögen diese alten Stereotypen nicht".
Und wie aus Trotz ziehen sie die Surrealismusschraube auf ihrem Nachfolgewerk "Tetrolugosi II", das im vergangenen Jahr erschienen ist, noch ein bisschen weiter an. Da werden kleine Zwerge von Nilpferden gefressen ("The Circus") und zu den berühmten Worten von Neil Armstrong beim Betreten des Mondes singt ein Katzenchor im Hintergrund ("Cats In Space"). "Wir beschreiben die wildesten Träume", fassen sie ihre Themenauswahl zusammen. In einigen selten Fällen, wie bei "Under The Moon" und "Sometimes They Com Back", geraten die Songs zu minimal arrangierten Stücken, bestehend aus einem Zweizeiler, der nicht mehr erklären will, sondern sich nur noch auf einen introspektiven Moment konzentriert. Wenn es doch mal gruftig-untot wird, dann derart plakativ, dass man geneigt ist, zu schmunzeln. "Sweet Undead" ist so eine Nummer, bei die der Protagonist, einem Totenmeister oder verrückten Professor gleich, einen Zombie erweckt, damit er sich an den Menschen laben kann. "Es ist nicht einfach, schöne Songs zu schreiben", sehen sich die beiden selbstkritisch und verweisen auf She Past Away, den türkischsprachgen Wave-Wunderkindern, die sie sehr schätzen.
Aber Sara und Camillo haben einen ganz eigenen, höchst interessanten Dreh hinbekommen: Sie blicken mit ihren Stücken auf die Zeit zwischen und nach den Weltkriegen. "Wir mögen die bildlichen Darstellungen der 20er und 30er Jahre, den damaligen Zirkus mit seinen Freaks, sowie die B-Horrorfilmchen aus den 50er Jahren mit den plump wirkenden Mostern." Der Charme des Unperfekten. Die naiven Schockelemente, die damals sicherlich die Zuschauer vor Schauder in die Kinosessel gedrückt hat, wirkt heutzutage verstaubt. Aber man blickt gerne nostalgisch-liebevoll auf sie, strahlen nicht gerade diese Werke eine wunderbare Hingabe für das Sujet aus? Man erinnere sich nur an den völlig desaströsen Science-Fiction-Quatsch eines Ed Wood: Bei aller Stümperhaftigkeit blitzte die Liebe des Regisseurs für das Medium Film immer wieder auf.
In dieser Atmosphäre ist auch Tetrolugosi beheimatet, die in manchen Momenten tatsächlich so klingen, als haben sie mit einfachstem Equipment und dem Schlafzimmer als Studio ihre Stücke aufgenommen. Hier wirkt alles ein bisschen unterproduziert, manchmal sogar regelrecht billig. Aber ihre Lieder verkraften das mühelos, denn die sogähnliche Wirkung ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit ihren Texten. Entscheidend für die beiden ist aber auch der zwanglose Umgang mit den Genres. "Wir lieben es, uns mit den verschiedenen Stilen zu umgeben. Manchmal möchten wir enfach nur tanzbare Nummern schreiben, dann wiederum träumerische Einsichten wiedergeben oder halluzinatorische Visionen in Noten packen."
Das gelingt ihnen auch - und mit dem aktuellen Album noch besser als auf ihrem Debüt, beide übrigens nachzuhören auf ihrer Bandcamp-Seite. Musik von Tetrolugosi zu hören ist ein bisschen wie bei "Alice im Wunderland" dem weißen Kaninchen hinterherzulaufen. Es ist schwer ihnen zu folgen, aber wenn man dranbleibt, entführen sie einen in eine fabelhafte Welt der Anomalie, in der nichts so zu sein scheint, wie es ist. Und abends blickt man dann doch noch mal unter das Bett, um sicher zu gehen, dass da nicht irgendein Monster auf einen wartet. Bei den beiden aus Ripatransone jedenfalls lauern sie an allen Ecken und Enden.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 20.03.17 | KONTAKT | WEITER: LISET ALEA VS. MÉLANIE PAIN>
Webseite:
tetrolugosi.bandcamp.com
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||