DINA SUMMER "GIRLS GANG" VS. JE T'AIME "USELESS BOY": VON MÄDCHEN, JUNGS UND DER TRAURIGKEIT BEIM TANZEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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DINA SUMMER "GIRLS GANG" VS. JE T'AIME "USELESS BOY": VON MÄDCHEN, JUNGS UND DER TRAURIGKEIT BEIM TANZEN

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Wie sehr doch dieser Titel triggert! Unter "Girls Gang" denken sicherlich die meisten (Männer) an junge hippe Frauen im Partymodus, ein bisschen bitchy und rotzgörig. Doch diese Frauenzusammenrottung, die bei Dina Summer präsentiert wird, ist eine ganz andere: "We listen to Bauhaus and dance to Dead Can Dance" heißt es da. Zack! Vorurteile pulverisiert! Diese Gruppe Frauen lieben die weltschmerzliche Pose und haben sich ganz den dekadent-nihilistischen Sounds der Schwarzen Szene verschrieben.

Womit Dina Summer auch ihre musikalische Präferenz offenlegt: Das Projekt, bestehend aus dem deutsch-griechischen Produzentenpaar Local Suicide und Kalipo (eine Hälfte der legendären Frittenbude), verortet sich unmissverständlich in den dunklen Clubs. In ihrem Sound schlagen aber mehrere Herzen. Denn Local Suicide hat sich mittlerweile einen unzweifelhaften Ruf als Speerspitze des Dark Disco erspielt. In dieser Spielart der elektronischen Klangerzeugung treffen discoide Beats auf Klänge, die sich zwischen EBM und Synthie Pop bewegen und mit einigen Manierismen des Italo-Disco angereichert werden.

Dass der Bandname phonetisch nah an einer der vielleicht größten Disco-Königinnen (Donna Summer) liegt, ist sicherlich kein Zufall. Denn der Tanz steht bei Dina Summer im Vordergrund. Das war bereits beim 22er Debütalbum "Rimini" so und ist nun auch bei "Girls Gang" nicht anders. Doch mittlerweile sind die Nummern songorientierter und erzählen kleine Geschichten - natürlich auch mit einem deutlichen Augenzwinkern.

Schließlich verwurstet ein Song wie "Alien" so ziemlich alle Klischees über extraterrestrisches Leben - inklusive solcher B-Movie-Außerirdischen-Sätze wie "Take me to your leader". Aber das geschieht genauso charmant wie bei "Zombie" (dessen Basslinie dezente "Eisbär" - Vibes versprüht), das auf der Metaebene das Anders sein thematisiert - und auch ein bisschen feiert.

Das ist vielleicht der größte Coup der drei Musiker: Sie wandeln mit einer schlafwandlerischen Sicherheit zwischen Kitsch und Authentizität und lassen die Synapsen ob ihrer soundtechnischen Querverweise heiß laufen. Großartige Tanznummern wie "FOMO" (was für eine brodelnde Bassfigur!) und das nostalgische "Halkidiki" wechseln sich mit deutlich erdigeren Stücken wie "Hypnotized" und "No More Tears" ab und spannen den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart auf eine unaufgeregte, coole und gleichzeitig faszinierende Art und Weise. Oder wie getreu einem ihrer Titel: Der perfekte Sound für einen "Disco Goth".

Das gleiche gilt auch für Je T'aime aus Frankreich (wie soll's auch anders sein?). Mit ihrem energiegeladenen Post Punk hat sich das Pariser Projekt bereits eine solide Fangemeinde erspielt. Diese wird sicherlich mit "Useless Boy" weiter ausgebaut werden. Das liegt vor allem daran, dass die Band um Sänger dBoy sich noch mehr von den ungeschriebenen Gesetzen und Vorgaben der Szene loseisen und nun beginnen, sich musikalisch stärker Kontur zu verleihen.

So beginnt "Nightcrawler" mit elektronischen Beats und einem verschwenderischen Falsett-Gesang, der Je T'aime fast schon zu einer Diskothekencombo transformiert - aber nur fast. Denn es herrscht nach wie vor der gepflegte Weltschmerz, der sich an die Granden des Genres, allen voran The Cure, orientiert, aber keinen Zweifel aufkommen lässt, dass diese Band im Hier und Jetzt fest verankert ist.

In der Regel zwar mit Blick auf die Tanzfläche ausgelegt, haben die Musiker mit "Wrong Fold" eine morbide Ballade komponiert, die mit einer akustischen Gitarren startet, sich aber langsam zu einer elegischen Synthie-Nummer mausert. Hier zeigen die Franzosen eine völlig neue, extrem emotionale Seite. Die Liebe zu den elektronischen Sounds scheint sich aber deutlicher abzuzeichnen als noch bei den Vorgänger. Im besten Fall kommen Gitarre und Synthesizer gleichberechtigt in den Kompositionen vor.

Das ergibt dann einen Song wie "Dead Leaves", bei dem die Elektronik für ein knurriges Fundament sorgt, über die lässige Gitarrenlinien hinwegfegen und somit die Nummer das beste aus zwei Welten vereint. Nicht zuletzt ist es aber dBoys exaltiertes Organ, das an eine andere französische Band erinnert: Soror Dolorosa. Diese hat sich ebenfalls im vergangenen Jahr äußerst positiv mit ihrem Werk "Mond" hervorgetan (UNTER.TON berichtete). Je T'aime könnte mit "Useless Boy" den Nachfolger in Sachen innovativer Post-Punk "fabriqué en France" erschaffen haben. Zumindest sind die Stücke genauso packend.

Das Jahr fängt gut an, das kann man nicht anders sagen. Musikalisch zumindest. Denn sowohl Dina Summer, als auch Je T'aime haben mit ihren Alben das oft beackerte Feld Post Punk noch mal düngen können: mit Spielfreude, unkonventioneller Herangehensweise und dem sicheren Gespür für die großen Momente, in der Traurigkeit eine elegische Schönheit erhält, wenn sie tanzbar gemacht wird.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 04.02.25 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 2/25>

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COVER © IPTAMENOS DISCOS (DINA SUMMER), NOIRES PRODUCTIONS (JE T'AIME)

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