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WARM GRAVES "EASE" - TRANSFORMATION UND AUFLÖSUNG

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Leipzig: Mekka für die weltweite Gothic-Gemeinde. Bis vor der Pandemie war die sächsische Stadt zu Pfingsten stets im festen Griff der Schwarzmäntel- und Vogelnestträger. Der "Spirit", der während des so genannten Wave-Gotik-Treffens durch die Gassen weht, ist ein ganz seltsamer. Ähnlich wie bei Wacken treffen da Otto-Normal-Einwohner auf eine extraordinäre (Sub)Kultur. Man würde lügen, wenn diese regelmäßigen Festivitäten nicht auch deutlich Spuren bei anderen dort beheimateten Künstlern hinterlassen haben.

Natürlich sind es nur Mutmaßungen, ob sich der in Leipzig lebende Jonas Wehner bewusst für das alljährliche schwarze Treiben interessiert. Sein Projekt Warm Graves jedenfalls könnte zumindest in Spuren davon beeinflusst worden sein. Ganz abgesehen vom "gruftigen" Bandnamen besitzen die Songs auf seinem Zweitling "Ease" eine nebulös wabernde Tristesse, wie sie bei "Black Wine" geradezu exemplarisch verhandelt wird: Ein stoisch vor sich hinarbeitender Rhythmus wird von langgezogenen Synthieflächen eingehüllt, während Jonas wie hypnotisiert seine durch sanfte Echoeffekte entrückte Lyrik über die Transformationen des Lebens, die Wehner seit seines Debüts an sich ausfindig gemacht hat, vorträgt.

Der Post-Punk-Charakter der Stücke ist die deutlichste Veränderung im Vergleich zum Debüt "Ships Will Come", welches festlicher und jubilierender geklungen hat. Mit "Ease" wandelt sich diese Stimmung hin zu einer absoluten Innerlichkeit, einer klanglich wie textlichen Selbstreflexion. Daraus entwächst auch eine größere Experimentierfreude mit den verschiedenen Stilen. Bereits die ersten Takte des Openers "Atoria" klingen nach alten Krautrock-Scheiben (was vielleicht mit ein Grund ist, warum Warm Graves beim renommierten Londoner Label Fuzz Club unter Vertrag ist), ohne diese aber zu sehr als Vorbild zu nehmen.

In der Regel dominieren die sphärisch-spacigen elektronischen Klangteppiche, die den Songs etwas transzendentales verleihen. So wird "Neon" zu einer neunminütigen Meditation über den Umgang mit Erwartungen und Druck und dem Gefühl, sich langsam in ihnen aufzulösen. All das wird in knappen Sätzen und weit ausgebreiteten Sequenzen verhandelt, wobei der Song eher einem Bewusstseinsstrom denn einer klassischen Songstruktur folgt. Am Ende deuten stichelnde Bässe sogar so etwas wie Tanzarkeit an.

Ganz im Gegensatz reduziert sich Wehner in "Deliria" komplett, lässt eine verhallte Gitarre traurig vor sich hinklingen, während er seltsam der Welt entrückt seine Gedanken schweifen lässt. In diesem Moment jedoch wirkt Warm Graves dem Hörer so nah wie nie zuvor.

Dem Projekt gelingt das seltene Kunststück, durch die Verweise auf verschiedene stilistische Strömungen einen eigenen Stil zu kreieren. Irgendwo zwischen dem elektronischen Surrealismus eines John Foxx, der Halbschlafästhetik einer Mazzy Star und den Kraftwerks "Kometenmelodien" findet man Warm Graves, der ein erstes musikalisches Highlight in diesem noch jungen Jahr geschaffen hat, und zwar, wie es der Albumtitel sagt, mit "Ease", mit Leichtigkeit.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 22.02.22 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 3/22>

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COVER © FUZZ CLUB RECORDS

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