BERQ "BERQ" VS. STREICHELT "ZUCKERRAND": MIT ALLER WORTGEWALT
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Er ist gerade mal 20 Jahre alt, aber wenn
Felix Dautzenberg alias Berq seine Stimme erhebt, hört man eine alte
Seele singen. Zwar ist "berq" eine reine Coming-Of-Age-Platte, aber die
Wahl der Worte und die Reflektionsintensität gehen tiefer und
rücksichtsloser ins Mark als es der übliche Popzirkus vorsieht. Wie Berq
ohnehin alles etwas anders macht. Denn der Musiker, der gebürtig aus
Hamburg stammt, dreht die Hörgewohnheiten auf links: Seine Lieder sind
Gratwanderungen zwischen Pop, Chanson und Experiment. Dabei werden
analoge Instrumente verfremdet und elektronische Einschübe erhalten eine
organische Eleganz.
Vor allem sind
sie Träger der Emotionen, die bereits in Felix' Texten sich Bahn brechen
und durch die pedantisch komponierten Stücke den Hörer mit voller Wucht
treffen. Seine Wörter sind wie ein Drangsal: Man wird das Gefühl nicht
los, dass er um sein Leben singt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es
sich um sein eigenes oder das eines anderen handelt. In der Mitte des
Albums verquickt er sogar beide Perspektiven in einem Triptychon zum
Niederknien. "Vergissmeinnicht" beginnt mit dem befremdlichen Gefühl des
Flüggewerdens. "Ich komm heut' nicht nach Haus', Mama", singt Berq
unter dumpfen Tom-Waits-Pianoklängen, die seltsam abgehackt werden. Die
geigenerfüllte Interlude "Im Wind" leitet zur nächsten rührenden
Geschichte "Blauer Ballon". Diesee basiert auf einen Brief, den die
Mutter bei einem Spaziergang gefunden hat. Es handelte sich um einen
Brief eines kleine Jungen addressiert an seine verstorbene Mutter.
Das
Thema an sich ist schon ein Tränenzieher par excellence. Doch wie Berq
diese Stimmung in Wort und Ton fasst, bringt selbst Steine zum weinen.
Aber es bleibt nicht immer melodramatisch: Der Musiker reflektiert in
"Schleierkraut" auch seinen sprunghaft angestiegenen Ruhm. Ausverkaufte
Solo-Tourneen, 600.000 monatliche Hörerinnen und Hörer auf Spotify sowie
der Erhalt höchster Weihen von Herbert Grönemeyer ließen keinen Platz
zum Verschnaufen. All das thematisiert er in dieser brodelnden Nummer,
die einem Selbstgespräch ähnelt. Denn sein altes Ich, das noch
unbehelligt durch die Straßen ziehen konnte, zieht in dieser Nummer fort
- buchstäblich mit Pauken und Trompeten im Refrain. Auch hier hören wir
Berq, wie er sein junges Leben haarfein seziert und es
gedankendurchdrungen betrachtet.
Selten
vefügen junge Musikerinnen und Musiker über eine derart konzise
Vorstellung ihrer Außenwirkung, wie es der mittlerweile in Berlin
lebende Felix tut. Als Berq wirft er sich in den aufreibenden
schöpferischen Akt, der ihm alles abverlangt. Jede seiner Noten sind
hörbar in Herzblut getränkt. Wir erleben den Beginn einer spannenden
Reise.
Gerade scheint es so, dass in
den letzten Jahren viele neue Talente hervortreten, die sich dranwagen,
unsere Sprache aus der seiernden Deutsch-Pop-Ecke zu ziehen und ihr
neues Leben zu injizieren. Diese Bestrebungen haben bereits einen Namen
verpasst bekommen, der allerdings missverstanden werden kann: Neue Neue
Deutsche Welle (NNDW). Der Begriff hat zwei Problemstellen: Erstens
wurde er bereits für das Aufkommen von deutschsprachigen Bands um die
Jahrtausendwende genuntzt (Wir Sind Helden, Mia
etc.), zweitens sind die Musizierenden sehr weit weg von dem, was NDW
in seiner Hochphase ausgemacht hat: NNDW sind keine "99 Luftballons",
kein "Ich will Spaß", kein "Sternenhimmel".
Der
einzige Überschneidungspunkt, und da nimmt sich auch Streichelts
überzeugende EP "Zuckerrand" nicht aus, liegt im Retro-Synthie-Sound,
der die 80er eingedenkt, aber nicht reproduziert. Streichelts leicht
gelangweilter Duktus, das Nutzen von Vocodereffekten und die komplette
Klangästhetik sind beispielhaft für die Millennials, die ihre ganz
eigene Interpretation davon abliefern, wie das goldenen Pop-Jahrzehnt
geklungen hat. Am Ende entsteht das Beste, was passieren kann: eine
Weiterentwicklung elektronischer Musik.
Diese
wird von einer unprätentiösen und deswegen bestechenden Poesie des
Nürnbergers unterfüttert. Auch er kreist um die üblichen Dinge: toxische
Beziehungen, gescheiterte Liebe und was die emotionale Vorratskammer
sonst noch so zu bieten hat. Die Wahl der Worte allerdings überrascht.
Der Titelsong vergleicht das Verhältnis mit seiner Partnerin wie mit
einem bitteren Cocktail, der durch den Zuckerrand versüßt wird. Und um
nicht noch einmal so hart von der Liebe getroffen zu werden, legt er
sich in "Discounterherz" selbiges zu und hat daraufhin "nichts mehr zu
verlieren".
Deswegen
wäre er nicht mehr so sehr Opfer seiner "Biochemie", wie es im
gleichnamigen Song heißt. Eine geradezu philosophische Tiefe steckt in
diesem Song, der den Leib-Seele-Dualismus zwar nur anschneidet (mehr
kann man von einem Pop-Song auch nicht erwarten), aber mit
entscheidenden Wörtern die Synapsen der Hörerschaft befeuern, um sich
selber die Frage zustellen, wieviel entscheidet mein Körper, wieviel
mein Geist.
Seine anschmiegsamen
Synthie-Pop-Nummern, in die sich wie in "Eines Tages" auch mal eine
Post-Punk-Gitarre einschleicht, weisen Streichelt als gewieften Musiker
aus, der mit der Sprache der heutigen Jugend und tradierten Klangmustern
eine prototypische Veröffentlichung für die NNDW herausgebracht hat.
Der
abgeschmackte Begriff der "jungen Wilden" ist zum Greifen nah. Und ja:
Wir erleben hier zwei Musiker, deren ganze Kunst sich aus einem inneren
Furor speist und so unmittelbar und leuchtend wie ein bengalisches Feuer
schimmert. Sie sind Stürmer und Dränger in einer Zeit, in der wir sie
mehr brauchen denn je.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 28.10.24 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 11/24>
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
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