BERQ "BERQ" VS. STREICHELT "ZUCKERRAND": MIT ALLER WORTGEWALT
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Vor allem sind sie Träger der Emotionen, die bereits in Felix' Texten sich Bahn brechen und durch die pedantisch komponierten Stücke den Hörer mit voller Wucht treffen. Seine Wörter sind wie ein Drangsal: Man wird das Gefühl nicht los, dass er um sein Leben singt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um sein eigenes oder das eines anderen handelt. In der Mitte des Albums verquickt er sogar beide Perspektiven in einem Triptychon zum Niederknien. "Vergissmeinnicht" beginnt mit dem befremdlichen Gefühl des Flüggewerdens. "Ich komm heut' nicht nach Haus', Mama", singt Berq unter dumpfen Tom-Waits-Pianoklängen, die seltsam abgehackt werden. Die geigenerfüllte Interlude "Im Wind" leitet zur nächsten rührenden Geschichte "Blauer Ballon". Diesee basiert auf einen Brief, den die Mutter bei einem Spaziergang gefunden hat. Es handelte sich um einen Brief eines kleine Jungen addressiert an seine verstorbene Mutter.
Das Thema an sich ist schon ein Tränenzieher par excellence. Doch wie Berq diese Stimmung in Wort und Ton fasst, bringt selbst Steine zum weinen. Aber es bleibt nicht immer melodramatisch: Der Musiker reflektiert in "Schleierkraut" auch seinen sprunghaft angestiegenen Ruhm. Ausverkaufte Solo-Tourneen, 600.000 monatliche Hörerinnen und Hörer auf Spotify sowie der Erhalt höchster Weihen von Herbert Grönemeyer ließen keinen Platz zum Verschnaufen. All das thematisiert er in dieser brodelnden Nummer, die einem Selbstgespräch ähnelt. Denn sein altes Ich, das noch unbehelligt durch die Straßen ziehen konnte, zieht in dieser Nummer fort - buchstäblich mit Pauken und Trompeten im Refrain. Auch hier hören wir Berq, wie er sein junges Leben haarfein seziert und es gedankendurchdrungen betrachtet.
Selten vefügen junge Musikerinnen und Musiker über eine derart konzise Vorstellung ihrer Außenwirkung, wie es der mittlerweile in Berlin lebende Felix tut. Als Berq wirft er sich in den aufreibenden schöpferischen Akt, der ihm alles abverlangt. Jede seiner Noten sind hörbar in Herzblut getränkt. Wir erleben den Beginn einer spannenden Reise.

Der einzige Überschneidungspunkt, und da nimmt sich auch Streichelts überzeugende EP "Zuckerrand" nicht aus, liegt im Retro-Synthie-Sound, der die 80er eingedenkt, aber nicht reproduziert. Streichelts leicht gelangweilter Duktus, das Nutzen von Vocodereffekten und die komplette Klangästhetik sind beispielhaft für die Millennials, die ihre ganz eigene Interpretation davon abliefern, wie das goldenen Pop-Jahrzehnt geklungen hat. Am Ende entsteht das Beste, was passieren kann: eine Weiterentwicklung elektronischer Musik.
Diese wird von einer unprätentiösen und deswegen bestechenden Poesie des Nürnbergers unterfüttert. Auch er kreist um die üblichen Dinge: toxische Beziehungen, gescheiterte Liebe und was die emotionale Vorratskammer sonst noch so zu bieten hat. Die Wahl der Worte allerdings überrascht. Der Titelsong vergleicht das Verhältnis mit seiner Partnerin wie mit einem bitteren Cocktail, der durch den Zuckerrand versüßt wird. Und um nicht noch einmal so hart von der Liebe getroffen zu werden, legt er sich in "Discounterherz" selbiges zu und hat daraufhin "nichts mehr zu verlieren".
Deswegen wäre er nicht mehr so sehr Opfer seiner "Biochemie", wie es im gleichnamigen Song heißt. Eine geradezu philosophische Tiefe steckt in diesem Song, der den Leib-Seele-Dualismus zwar nur anschneidet (mehr kann man von einem Pop-Song auch nicht erwarten), aber mit entscheidenden Wörtern die Synapsen der Hörerschaft befeuern, um sich selber die Frage zustellen, wieviel entscheidet mein Körper, wieviel mein Geist.
Seine anschmiegsamen Synthie-Pop-Nummern, in die sich wie in "Eines Tages" auch mal eine Post-Punk-Gitarre einschleicht, weisen Streichelt als gewieften Musiker aus, der mit der Sprache der heutigen Jugend und tradierten Klangmustern eine prototypische Veröffentlichung für die NNDW herausgebracht hat.
Der abgeschmackte Begriff der "jungen Wilden" ist zum Greifen nah. Und ja: Wir erleben hier zwei Musiker, deren ganze Kunst sich aus einem inneren Furor speist und so unmittelbar und leuchtend wie ein bengalisches Feuer schimmert. Sie sind Stürmer und Dränger in einer Zeit, in der wir sie mehr brauchen denn je.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 28.10.24 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 11/24>
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