STARS CRUSADERS "WELCOME TO HYDRA" VS. SCANDROID "SCANDROID": ES WAR EINMAL IM JAHR 2517
Aufbruch in eine ferne Galaxie oder eine Existenz in einer überstylten, von Androiden besetzten Großstadt? Das Jahr 2517 beflügelte die Phantasie von Stars Crusaders und Scandroid auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Am Ende jedoch finden beide in einem Punkt wieder zusammen: Sie haben ihre Science-Fiction-Mär in solide wie intensive Future-Pop- und Retro-Wave-Nummern gepackt.
Steigen wir zunächst aber in das Raumschiff der Stars Crusaders aus Italien ein. Oder besser gesagt: wieder. Denn bereits vor drei Jahren entführte uns die Formation, bestehend aus Fabio Furlan, Simone Fornare und Davide Gay mit ihrem Debüt "New Horizons" in die unendlichen Weiten. In ihrer vom anachronistischen Charme alter Sci-Fi-Groschenromane angetriebenen Weltraum-Oper machen sich die so genannten Stars Crusaders im Jahr 2514 auf die Suche nach den paradiesisch anmutenden Planeten "Hydra", um die Existenz der Menschheit zu retten.
Wie es der Titel des Nachfolgers vermuten lässt, wurde dieser Planet drei jahre später entdeckt. Nach dem obligatorischen Prolog, stilecht mit grummelig-unheilvoller Erzählerstimme, beginnt der zweite Teil der Geschichte mit dem interstellaren Umzug. Doch wie das liebevoll, leicht verkitschte Albumcover zeigt, wartet auf die Menschheit nicht nur Glück und Frieden, sondern allen voran ein paar unheimliche Aliens, die "Impostors" - und diese wollen ein Ansiedeln unserer Spezies verhindern.
Erneut gelingt es ihnen, ihre Geschichte mit Verve und musikalischem Einfallsreichtum zu erzählen. Unter flirrenden Beats und einer wie vom Warpantrieb befeuerten Refrainlinie besingen sie "The Great Exodus", den große Auszug der Menschheit vom ökologisch völlig zerstörten Heimatplaneten. Sie begeben sich vorischtig tastend in den "Mystic Forest" und lassen "Sick Bakkus" unter einer verqueren Melodie und stringent marschierendem Schlagwerk erscheinen. Über Albumlänge verfestigt sich der Eindruck, dass das italienische Trio die Jahre zwischen den Veröffentlichungen intensiv genutzt hat, um ihr Klangbild zu verfeinern und eingängiger zu machen.
Dass ihre kosmische Mischung aus Italo-Disco und Future-Pop trotzdem immer wieder Parallelen zu Mind.In.A.Box aufweist, liegt zum einen sicherlich daran, dass MIAB-Chef Stefan Poiss persönich, wie auch schon bei "New Horizons", final abgemischt hat. Zudem ist Fabio Furlan in Stimmfarbe und Ausdruck dem Österreicher sehr nah, was besonders bei "Under Attack" und vor allem dem im Refrain überbordenden "Once Again" deutlich hörbar ist.
Auch auf "Welcome To Hydra" sind Stars Crusaders also noch nicht komplett aus dem übermächtigen Poiss'schen Schatten gesprungen. Aber sie arbeiten mit Vehemenz daran. Verschiedene Kollaborationen, unter anderem mit Syrian (eine sehr naheliegende Kombination) oder Forces Of Light sowie die zusätzlichen Masterarbeiten von Vasi Vallis (NamNamBulu, Reaper, Frozen Plasma) und Rob Dust (Moon74) verleihen "Welcome To Hydra" eine größere musikalische Tiefe. So sind Stücke wie "Behind The Mirror" und vor allem das hymnische "The Will" (das durch das Duett mit Bree Connor deutlich an majestätischer Erhabenheit gewinnt) klare Emanzipationsversuche vom musikalisch noch vorsichtig abtastenden Debütwerk.
Schließlich verlassen sie auf "Exile", dem letzten Stück und geschickt gelegten Cliffhanger, die beliebten Vierviertelbeats und geben vertrackten Rhythmen und einigen kantigen Soundscapes den Raum. Das mysteriöse Ende lässt natürlich Fragen offen, die mit der dritten Langrille (und einem vielleicht vollkommen ausgereiften Klagbild der Stars Crusaders) noch mehr zu begeistern weiß, als es die bislang erschienenen Alben jetzt schon tun.
Während sich die Raumfahrer-Geschichte bei den Italienern also stetig weiterentwickelt, hat sich das amerikanische Retro-Wave-Projekt Scandroid bereits im Vorfeld der Veröffentlichung eine enigmatische Story ausgedacht und sie via Internet und verbreitet. "What Is The Salvation Code?" fragte das Projekt per Videobotschaft und lud die Usergemeinde zur detektivischen Spurensuche ein, drei Jahre bevor das Debüt im Kasten war.
Die geschickt angelegte Marketingkampagne entsprang dem Geist des passionierten Musikers hinter Scandroid: Klayton. Eigentlich liebt der Mann die etwas härterer Gangart und konnte vor allem mit seinem technoid überpinselten Industrial-Rock als Celldweller einige Erfolge feiern. Für Scandroid entlockt er seinen Maschinen nun ohrwurmige Melodien, während die sonst die Szenerie so beherrschenden Gitarren im Gesamtgefüge aus typischen 80s-Electro-Drum-Fills und atmosphärischen Synthieklängen eine eher untergeordnete Rolle spielen. Natürlich hört man den Rockgestus in "Empty Streets" oder "Eden" deutlich durch; so ganz kann Klayton das nicht abstreifen. Muss er aber auch nicht.
Der Musiker bezeichnet Scandroid als "Liebesbrief an die 80er Jahre". Kein Wunder also, dass die auf dem Album erzählte Geschichte, obgleich im Jahre 2517 angesiedelt, sehr viel vom Stylingverständnis aus jener Dekade enthält. Fast schon selbstverständlich, dass unter den 15 Songs auch eine Coverversion enthalten ist. Allerdings war die eher auf Reproduktion bedachte Version von Tears For Fears' "Shout" nicht zwingend nötig, wobei die stimmliche Ähnlichkeit zwischen Klayton und Roland Orzabal bemerkenswert ist. Im albuminternen Vergleich fällt die Coverversion aber deutlich ab.
Ansonsten verweist die exaltierte Erscheinung Klaytons auf ein Faible für den schrillen Mangastil der Japaner: Sein schwarzroter Iro deutet jedenfalls darauf hin, dass da eine Verbindung für die knallig-neonfarbenen Comic-Welten bestehen muss. Was lieg also näher, als seine Scandroid-Story in ein retro-futuristisches Tokio einzubetten.
Es ist allerdings ein dystopisches Bild, das der amerikanische Multiinstrumentalist da zeichnet, irgendwo zwischen den Sci-Fi-Klassikern "Metropolis" und "Matrix" angesiedelt. In seiner Vorstellung ist die Metropole zweigeteilt: "Old Tokyo" ist ein dreckiges Moloch auf der Erde, quasi die Überreste der alten Stadt. Über ihr schwebt, einem Garten Eden gleich, "Neo-Tokyo". Scandroid arbeitet mit Rückblenden, Wiederholungen und Nebenschauplätzen, um am Ende eine Liebesgeschichte zwischen einem Menschen und einem Roboter zu erzählen. Red und Aphelion versuchen mittels dem "Salvation Code" in die freischwebende Stadt Neo-Tokyo zu gelangen und erreichen über verschiedene Stationen als Paar das Ziel.
Schon die ersten wuchtig gespielten Noten in der Einführung "2517" lassen keinen Zweifel darüber, dass Scandroid die Story mit Red als Alter Ego episch angelegt hat und nun versucht, sie innerhalb einer Stunde zu erzählen. Manchmal lässt er wie in "Destination Unknown", "Singularity" oder "Atom & E.E.V." einfach nur die Synthesizer sprechen (letztgenannter Song übrigens mit einem smoothen Saxofon-Part im warmen Synthieregen). Dann erinnert er sehr stark an die so stilbildenden Scores eines John Carpenter.
Über die Geschichte darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der in Detroit lebende Mann ein wunderbares Händchen für energetische und mitreißende Nummern hat. Das liegt nicht zuletzt auch an seinem klaren und kräfigen Organ, das selbst durch den Vocoder geschossen immer noch markant genug ist, um seinen Stücken einen unverkennbaren Stempel aufzudrücken. "The Salvation Code" und "Connection" besitzen zweifelsfrei das größte Hitpotenzial und werden jede Synthwave-Party zum Überkochen bringen.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es wohl in 500 Jahren nicht mehr sehr rosig auf unserem Planeten aussehen wird. Aber wo keine Reibungspunkte, da auch keine Geschichte zum erzählen. Das einzig beklemmende daran ist, dass die Grundgedanken von Stars Crusaders und Scandroid gar nicht so weit von unserer Gegenwart entfernt sind. Erst kommt das Tanzen, dann die Moral. Gut, dass beiden Formationen dieser Balanceakt gelungen ist.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.05.17 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 5/17 >
Webseite:
www.starscrusaders.com
www.klayton.info
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