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Es ist eine wahre Freude, mitanzusehen, wie Vertreter der schreibenden Zunft sich nach allen Regeln der Kunst verbiegen, um Gruppen oder Musiker einem bestimmten Stil zuordnen zu können. Fast schon neurotisch werden alle erdenklichen Schubladen geöffnet; mit aller Macht sucht man den Vergleich – mag er sinnig sein oder auch nicht. Manchmal kommt dann so etwas wie Retro-Future-Synthie-Pop-Rave-Wave heraus. Der Leser ist verwirrt und der Musikjournalist klopft sich, befriedigt ob seines geistigen Ergusses, auf die Schulter. Allein, kaum einer kann sich unter den kryptischen Bezeichnungen etwas vorstellen, und selten treffen diese Umschreibungen den Kern der Sache. Auch bei der britischen Formation Click Click liefen in der Vergangenheit diese Versuche seitens der Presse ins Leere. Die Brüder Adrian und Derek E. Smith beschreiten seit Anfang ihrer Karriere komplett andere Wege, um der elektronischen Musik eine bis dato ungehörte Seite zu entlocken (Band-Portrait hier). 17 Jahre nach ihrem letzten Werk "Shadowblack" melden sie sich nun mit "Those Nervous Surgeons" eindrucksvoll zurück – und bleiben weiterhin herrlich ungreifbar.

Dass die beiden Musiker ausgerechnet den Namen ihrer Band, in der sie vor Click Click spielten, als Albumtitel wählten, ist angesichts des Sounds verständlich. Zwar begannen sie unter Those Nervous Surgeons als amtliche Rocker, doch schon bald wurde die erdige Gitarre gegen einen fiependen Synthesizer eingetauscht. Eine kluge Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte. Das Album "Those Nervous Surgeons" indes klingt so, als wäre dieser Richtungswechsel gerade erst vollzogen worden: Click Click haben die Elektronik neu für sich entdeckt - und sind mit großem Eifer und Enthusiasmus dabei, die Möglichkeiten ihrer Maschinen auszuloten. Das Ergebnis: ein kleines Meisterwerk.

Das Album funktioniert aus einem ganz einfachen Grund: Es ist anachronistisch, aber nicht rückwärtsgewandt. Klassisch, aber nicht angestaubt. "Those Nervous Surgeons" kombiniert jungfräuliche Elektronik-Euphorie mit reifem Songwriting. Angesichts der Masse überproduzierter EBM- und Cyber-Combos, die den Markt mit oberflächlich-lautem Geböller und pubertärer Kopulationslyrik überfluten, sticht das Werk der Engländer heraus, weil es sich überraschend zurücknimmt. Statt breiter Flächen, dominiert ein organischer, transparenter Sound, der sowohl Song als auch Hörer Raum zum Atmen lässt. "Passenger" fungiert mit seinen versprengten Sequenzen und einer sinister-meditativen Grundstimmung als perfekte Einleitung in den smith'schen Klangkosmos. Schon jetzt ist die Größe dieses Albums zu erahnen.

Das tatsächliche Ausmaß wird einem aber erst bewusst, wenn die Platte bereits verklungen ist. Denn ewig lockt der Sound – egal, ob er bei "What Do You Want" und dem neu eingespielten Click-Click-Klassiker "Rats In My Bed" wild vor sich hinbrodelt, oder wie in "Warminister Detective" düster-verspielt daherkommt. "Those Nervous Surgeons" macht süchtig, weil es so viel in sich birgt, das entdeckt werden möchte. Groß die Versuchung, den Wiedergabeknopf immer und immer wieder zu drücken, denn trotz aller Vielschichtigkeit behält das Duo das Album als Einheit im Blick. Eingängigkeit und Intelligenz schließen sich hier nicht aus.

Zweifellos werden sich ältere Semester an der spröden Noblesse von "Lock Them Up" laben, das unverkennbar elektronische Altmeister wie John Foxx oder auch Gary Numan zum Vorbild hat. Und ihnen wird das Herz aufgehen, sobald "Factory" ertönt: Die Basis dieses Siebenminüters bildet ein wabernder Synthie-Bass, das wie ein Sedativum wirkt, während darüber allerlei Geräusche eingespielt werden. Experimental-Pop in Gedenken an Depeche Modes "Pipeline" – darauf hat die Elektro-Szene seit langem gewartet. Zudem erinnern der schlanke Schriftzug und die Comic-Ästhetik des Plattencover stark an die frühen 90er Jahre, als eine zweite Generation von Musikern den Klangmaschinen düsterere Sounds entlockte. Das Album sagt deutlich "ja" zur Nostalgie, verhaftet aber nicht in antiken Mustern.

Click Click stehen für weitergedachte elektronische Körpermusik. Dort, wo sich andere Bands und Interpreten sklavisch an Normen und Grenzen halten, wischt das englische Zweiergespann mit einer lässigen Handbewegung alle Markierungen weg, um etwas zu erschaffen, das einerseits Bezug nimmt auf die frühen Jahre des EBM, andererseits keinen Hehl daraus macht, auch aktuelle Strömungen der Computermusik in ihren Kompositionen zu verankern. Click Click erleben ihren zweiten Frühling – und die Szene eine wohltuende Frischzellenkur.

|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 05.06.2014||





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