12/18: HØRD, BUZZ KULL, RUE OBERKAMPF, PRADA MEINHOFF, HOLYGRAM - LAST BUT NOT LEAST TEIL I - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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12/18: HØRD, BUZZ KULL, RUE OBERKAMPF, PRADA MEINHOFF, HOLYGRAM - LAST BUT NOT LEAST TEIL I

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2018

Je mehr der elektronischen Klangerzeugung das Aus attestiert wird, desto öfters häufen sich die Alben mit eben jener - und das in gut bis phantastisch. Das lustige daran: Gerade jene unperfekten Klänge aus den alten, analogen Synthesizern besitzen heutzutage mehr Hipness denn je.

Besonders die vor einigen Jahren wiederbelebte und mittlerweile sehr lebendige Cold-Wave-Szene hat die fiependen und sägenden Sounds aus den klingenden Brotkästen neu für sich entdeckt und sich auf diese Weise als Gegenbewegung zum rummeligen EBM, der immer mehr zum Synonym der dunkel bekleideten Tanzgesellschaft wurde, gemausert. Fürwahr ist die Menge an guten Bands sehr groß geworden. Das italienische Label Avant!-Records besitzt momentan jedoch eine ungewöhnlich hohe Dichte von wahren Wave-Perlen. Wie beispielsweise Hørd, das aber nicht aus Schweden kommt, wie es der Bandname vermuten lässt, sondern aus Frankreich. Genauer gesagt aus Bordeaux. Dort hat Sebastian Carl, der Mann hinter den Maschinen, seit seiner Gründung vor vier Jahren eine ganz eigene Klangvorstellung ausgearbeitet, die er nun mit seinem zweite Werk "Parallels" auf die Spitze treibt. Mit viel Hall, reduzierter Rhythmussektion und metallisch wirkenden Soundscapes, die immer ein wenig am Ton vorbeischrammen, wird der Hörer in einen Musik gewordenen Eisblock gesteckt, in der er sich nicht mehr bewegen kann. Besonders "Lrn" vereinigt die eisige Strenge der Hørd-Kompositionen mit den weichen, verletzlichen Gesang Carls. Doch "Land", "Tearwave" und schließlich das titelgebende "Parallels" bringen eine weitere Saite von Carl zum Schwingen. Mit introvertieren, leicht verträumten Akkorden klart die frostige Grundstimmung des Albums am Ende etwas auf und lässt so etwas wie eine vage Vorstellung von Hoffnung aufkommen.

Hoffnung ist indes bei Buzz Kull, einem weiteren Gewächs von Avant!-Records, schwer auszumachen. Marc Dwyer zeichnet für das Ein-Mann-Vorhaben verantwortlich, und man würde sich nicht wundern, wenn sich in seiner Wohnung noch alte Tonbandgeräte oder Video-Rekorder befinden. Schließlich kommt "New Kind Of Cross" so extrem rückwärtsgewand daher, dass man an manchen Stellen meint, ein verschollen geglaubtes Projekt aus den frühen 80ern zu hören, das am Scheideweg zwischen Post-Punk und Prä-EBM steht. Jedoch wäre dieses Album wohl zum Klassiker avanciert, wäre es damals erschienen. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass "New Kind Of Cross" 35 Jahre zu spät auf den Markt gekommen ist. Zwar erinnert der wahnsinnige Titelsong mit seiner blubbernden Bass-Sequenz an solche unvergesslichen Klassiker wie Absolute Body Control oder The Invincible Spirit, doch Dwyer besitzt genügend Kreativität, um sich nicht zum willfährigen Plagiat zu machen. Und das kurze Zeit später folgende "Avoiding The Light" kann mit seiner klaren und stringenten Songführung zum neuen Evergreen werden, über den sich dann die nächste Generation mit schmachtenden Herzen erinnern darf, wie es die heutigen "Middle-Ager" tun, wenn sie oben genannte Gassenhauer hören. "New Kind Of Cross" hat das Zeug zum großen Wurf - im gesteckten Rahmen der Cold-Wave-Bewegung natürlich. Diese dürfte sich schnell mit dem Flummi-Sound von "Time" oder dem forschen "Ode To Hate" anfreunden. Buzz Kulls Album ist laut Label die letzte Veröffentlichung in diesem Jahr gewesen. Tatsächlich hat die Firma das beste Release schön bis zum Schluss aufgehoben.

Schon etwas länger unterwegs, aber auch immer auf dem UNTER.TON-Radar, ist das Trio Rue Oberkampf, welches uns ihre, bereits im Frühjahr dieses Jahres erschienene, EP "Waveclash" zukommen ließ, ebenfalls eine auf 80er getrimmte Minimal-Wave-Scheibe. Und wie bei den zuförderst besprochenen Hørd, führen uns auch Rue Oberkampf in die Irre. Denn trotz des frankophilen Straßennamens im Bandtitel und den ebenfalls französisch gehaltenen Texten, übrigens entzückend mit einem Hauch von weltlichem Ennui von Julia de Jouy vorgetragen, stammen die Musiker alle aus dem bayerischen Alpenraum, sprich: Passau und München. Eigentlich nicht gerade die ersten Adressen, wenn man nach den Wave-Hotspots auf diesem Planeten sucht. Trotzdem oder vielleicht sogar deswegen wirkt "Waveclash" sehr stimmig, autark und vor allem reflektiert. Die Songs fußen auf literarisches Fundament oder sind, wie im Fall von "Le Train" eine sehr ansprechende Neuinterpretation eines Wave-Klassikers, in diesem Fall von "Melting Away" von - da sind sie wieder - Absolute Body Control. Ansonsten stehen oftmals französische Schriftsteller des "fin de siècle", also jene, die um 1900 ihre Essays und Romane veröffentlicht haben, als Pate für die Stücke. In ihrer fast teilnahmslosen Art und Weise und mit den klar definierten Synthie-Sequenzen wirken sie wie eine Mischung aus Deutsch Amerikanische Freundschaft, Nichts und Vive La Fête. Dennoch ist Rue Oberkampf klar wiedererkennbar, was für so ein junges Projekt wichtig ist, um in Zukunft weiter mit Erfolg zu musizieren. Diesbezüglich braucht man sich aber keinerlei Sorgen machen. Rue Oberkampf werden ihren Weg gehen.

Ebenso darf man bei Prada Meinhoff, deren explodierender Berlin-Electro-Punk auf ihrem selbstbetitelten Debüt in diesem Jahr eine rotzige Alternative zum politisch korrekten Hipster-Pop darstellt, keine Angst vor mangelndem Interesse haben. Als Ideal der 2010er-Jahre beschrieben (was vor allem an Sängerin Chrissie liegt, die nicht nur gesanglich, sondern auch optisch mit der einflussreichen Musikerin und Produzentin fast gleichzieht), setzen viele Befürworter einer neuen Neuen Deutschen Welle alle Hoffnungen in Bands dieser Couleur. Und sie dürfen sich freuen: Am Ende des Jahres setzen Prada Meinhoff noch einen drauf mit der drei Nummern umfassenden EP "Stress". Gleichzeitig variieren sie auf dieser Mini-Veröffentlichung nochmal ihre virtuoses Spiel mit den Genres. Zieht der Titelsong noch einmal sämtliche Register eines neurotischen Haupststadt-Soundtracks, schnelle Beats, schrammelige Gitarren und einigen Zeilen für die Ewigkeit ("Schwermut ist nicht tanzbar", "ich will mich bitte langweilen") inklusive, bricht "Melancholie" bereits mit der Erwartungshaltung. Und das geradezu psychedelische "Keith" (der Song handelt indirekt vom Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards) schwebt auf flauschig-wolkigen Riffs in Richtung einer drogeninduzierten Traumwelt, die Keith sicherlich mehr als nur einmal in seiner Karriere erlebt haben dürfte. Doch gerade am abschließenden Stück erkennt man, wie sehr sich Prada Meinhoff einen feuchten Kehricht um mögliche Vorstellung der Hörer kümmern. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn die nächste PM-Platte noch einmal alles auf links drehen würde, was René Riewer und Chrissi Nichols bereits erarbeitet haben. Wäre auch nicht weiter schlimm, wenn sie es mit ähnlicher Leidenschaft tun wie bei ihrem Debüt.

Um sich von der Masse abzuheben, sind Umstrukturierungen gängiger Muster in der Tat einfach unabdingbar. In vielen Fällen bleiben aber Innovationen aus oder sind dermaßen vorsichtig eingebaut, dass man sie fast gar nicht bemerkt. Doch ab un an trauen sich die Musiker richtig was - und dann kann es auch groß werden. Wie bei Holygram, die bereits mit ihrer selbstbetitelten Debüt-EP vor zwei Jahren aufhorchen ließen. Zwar stammt das Quintett aus der Karnevalshochburg Köln, doch Holygram sind mit ihrem angezerrten Wave-Rock von "Strüssje und Kamelle" so weit entfernt wie nur was. Das erste Album "Modern Cults" dreht nun noch ein wenig mehr an der Melancholie-Schraube - nicht nur akustisch. Das in dunklen Farben gehaltene Digi-Pack kommt im Innenteil mit einem Panorama-Blick auf eine Stadt, die ästheitsch irgendwo zwischen Kohlepott und Metropolis angesiedelt ist und den Themenkomplex Großstadt aufgreift, welchen Holygram in ihren Stücken immer wieder und auf unterschiedliche Weise verhandeln. Im Vergleich zur EP scheinen sich die fünf Mitglieder ihrer Sache noch etwas sicherer zu sein. So klingt beispielsweise "Signals" gerade so, als ob New Order ins Studio gegangen sind und The Jesus And Mary Chains an den Reglern säßen und noch einmal ordentlich Hall und Rückkopplung auf die Aufnahme draufgepackt hätten. Und auch sonst vereinen die Rheinländer so ziemlich allles, was in den 80ern die schwermütigen Seelen zum Vibrieren gebracht haben. Holygram gelingt eine funkelnde Mischung aus Shoegaze,Post-Punk und Cold-Wave, die wegweisend für die nächsten Generationen von Musikern sein wird. Ein Monolith von einem Album.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 07.12.2018 | KONTAKT | WEITER: JEAN DELOUVROY VS. TOTENGELÄUT>

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Webseiten:
www.soundcloud.com/hordmusic
www.soundcloud.com/buzzkull
rueoberkampf.bandcamp.com
www.prada-meinhoff.de
www.holygram.band

Covers © Avant!-Records (Hørd, Buzz Kull), No Emb Blanc (Rue Oberkampf), Freudenhaus Recordings/Rough Trade (Prada Meinhoff), Oblivion/SPV (Holygram)

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