5/16 FEMME SCHMIDT, GLEIS 8, JEANNE ADDED, TWIN FLAMES: UNBESCHREIBLICH WEIBLICH
Im Popzirkus geht es – und das nicht erst seit gestern – auch um die Vermarktung des Körpers. Gerade der Erfolg weiblicher Musiker misst sich nicht selten an deren Willen zur Freizügigkeit. Doch übertünchen die mehr schlecht als recht arrangierten Peepshows die Sangestalente solch unschuldig-lasziv dreinblickender Lala-Lolitas nur selten. Um so schlimmer, dass authentische und vor allem talentierte Musikerinnen immer noch einen schweren Stand haben.
So müsste eigentlich Femme Schmidt schon längst viel mehr in Dauerrotation bei den hiesigen Sendeanstalten laufen und ihre Lieder in größeren Dimensionen präsentiert werden. Aber vielleicht will sie das auch nicht, weil sie um ihre künstlerische Freiheit bangt. Dabei hat sie auf ihrem zweiten Album "Raw" – ganz im Gegensatz zum Titel – unglaublich viele Zugeständnisse an die zeitgenössische Popkultur gemacht. Eine Entwicklung, die auch nicht vor einem relativ freizügig, aber dennoch stilvollen Cover zurückschreckt. "Golden" ist beispielsweise ein perfekter Ohrenschmeichler für all diejenigen, die das melancholische Moment einer Lana Del Rey zwar schätzen, aber den zähflüssigen Kompositionen wenig abgewinnen können. Manchmal vielleicht eine Spur zu wenig "roh", schlägt die Wahlberlinerin mit der angenehm jazzig-rauchigen Stimme immer wieder eine Kerbe in die sonst glatt polierte Klangoberfläche ihrer Stücke. Und wenn sie charmant-witzig in ihrem Titelstück verkündet "I'm A Bitch With A (sic!) Attitude", dann ist das auch ein Schuss vor den Bug anderer Musikerkolleginnen, die sich am Ende des Tages mehr über ihre Oberweite definieren, als über ihre Stimmbänder. Zwischendurch bringt Femme Schmidt mit dem hymnischen "Temple Of Tears" eine wesentlich schwärzere Seite in ihr zum klingen, die sie mit einem großzügigen Aufgebot an Akustik und Elektronik darbietet.
Auch "Surround Me With Your Love" setzt auf Breitwand-Sound, um aber gleichzeitig sonderbar distanziert zu klingen. Und "Loving Forces", das fast schon als James-Bond-Song durchgehen könnte, hüllt Femme Schmidt endgültig in eine unnahbare Aura ein. Fazit: Auf "Raw" wurde vieles richtig gemacht. Bleibt zukünftig nur zu hoffen, dass die Grandezza der Koblenzerin nicht einer zu ebenerdigen Produktion zum Opfer fällt. Hier jedoch gelingt noch die Balance zwischen Pop und Subversion.
Wie schwer dieser Spagat bisweilen sein kann, weiß AnNa R. nur zu gut. Zusammen mit Peter Plate gelang ihr unter dem Namen Rosenstolz ein erfrischend provokanter Schlager-Pop, der textliches Neuland betrat, dabei aber ungemein anschmiegsam blieb. Im Laufe der Jahre tendierte man aber immer mehr zu einem zwar nach wie vor mitreißenden Sound, ließ aber die wohldosierten Schockmomente in den Lyrics aus. 2012 verkündete das Duo, sich eine Pause auf unbestimmte Zeit zu gönnen. Plates Solo-Album "Schüchtern ist mein Glück" ging zwar völlig unter, dafür war er maßgeblich an Sarah Connors sprachliche Neuausrichtung beteiligt: Das Album "Muttersprache" komponierte er mit. Und AnNa? Sie hat sich mit Musikern aus dem Dunstkreis der Rosenstolz-Liveband zusammengesetzt und die Formation Gleis 8 gegründet. Kein Wunder also, dass die von leichtfüßiger Elektronik, fließenden Pianolinien und hymnischen Rhythmen durchsetzten Stücke nahtlos an solche Rosenstolz-Gassenhauer wie "Das große Leben" oder "Die Suche geht weiter" angelegt werden kann. "Endlich" bleibt in ihrer Metaphorik vieldeutig. Zwar handeln viele Stücke vom Abschied, ohne aber konkret zu werden. Verarbeitet AnNa auf dem zweiten Gleis-8-Album eine zerbrochene Beziehung? Ist es gar eine Abrechnung mit ihrem langjährigen Mitstreiter Plate?
Nein! Dass über diesem Album eine melancholische Grundstimmung schwebt, liegt an einem anderen traurigen Umstand: Lorenz Allacher, Saxofonist bei der Gruppe, starb 2014 an Krebs. Die Band verarbeitet dies auf "Endlich" – und dank AnNas Gespür für die richtigen Worte, fällt diese Schicksalsbewältigung in keinem Moment rührselig oder platt aus. Das Album ist also ein Stück weit Eigentherapie, gleichzeitig aber auch ein fester Blick nach vorn. Wenn die Sängerin in "Trotzdem" unter einer tröstenden Akkordfolge verspricht "Wir Werden Uns Wiedersehn, Auch Wenn Wir Veloren Gehen", dann ist es auch AnNas weibliches Selbstbewusstsein, das hier nach außen gekehrt wird. Ein Selbstbewusstsein, dass die Band sogar dazu bringt, "Engel" von Rammstein zu covern. Dieses Vorhaben ist aber zum Scheitern verurteilt, gehört dieser Industrial-Rock-Song zu jenen unantastbaren Stücken, deren Neuinterpretationen nur verlieren können. Am Ende gibt es dann die explizite Verabschiedung von Allacher: "Lied zum Schluss" winkt von fern dem alten Weggefährten zu, ohne Verbitterung, sondern in Dankbarkeit, diese gemeinsame Zeit verbracht haben zu dürfen. "Endlich" ist Ende und Anfang zugleich – getragen von AnNas klarer Stimme und starker Persönlichkeit. Fürwahr
eine kleine Sensation.
Das muss auch das Album der Französin Jeanne Added sein. Wenigstens verheißt es der Titel: "Be Sensational". Dieser Imperativ spricht nicht nur zum Hörer, sondern auch zur Künstlerin selbst und gemahnt sie, ihr erstes Werk mit der höchsten weiblichen Power herauszuschleudern. Dementsprechend gerät das verschleppte "A War Is Coming" mit seinen brodelnden Synthesizer-Bassläufen und den Fanfaren-Imitaten zum markerschütternden Paukenschlag. Jeanne singt und rappt dazu in gleichen Teilen, ohne dass es aufgesetzt oder deplatziert wirkt. Nach zweieinhalb Minuten endet dias Stück. Schon hier weiß der geneigte Hörer: Es wird, getreu dem Titel, sensationell. Gerade, weil die Musikerin, deren Konterfei auf dem Album von Rauchschwaden, die aus ihrem Mund strömen, mysteriös gebrochen wird, sich komplett der gemeinen Popmaschinerie verweigert. So könnte "Lydia" mit ihrer repetitiven Textstruktur durchaus Teil einer Performance-Kunst sein, während "It" mit einer Minimal-Wave-Attitüde daherkommt, die auch die, von kaltem Neonlicht beleuchteten, Tanzschuppen der frühen 1980er Jahre locker gefüllt hätte. "Be Sensational" knüpft dort an, wo einst Malaria und ein Jahrzehnt später Elektronik-Amazonen wie Robyn oder Peaches aufgehört haben.
Während letztgenannte aber gerne ihre Sexualität in ihren Stücken verhandeln, bleiben die Songs von Jeanne Added von einem seltsam androiden Stoizismus durchzogen. Trotzdem konnte ein Song wie "Night Shame Pride" nur von einer Frau geschrieben werden. Das unbeschreiblich Weibliche bleibt in diesem Album schemenhaft wie hinter Milchglas erkennbar. Selbst das fließende "Surrender", bei dem Jeanne ihre stimmlichen Talente voll ausleben kann, bricht die Distanz zwischen sich und dem Hörer nicht auf. Die aus Reims stammende Künstlerin bleibt ein Mysterium; ihr Album mehrmals durchzuhören verstärkt dieses enigmatische Moment nur noch mehr, als das es zur Aufklärung beiträgt. Das ist auch gut so, denn "Be Sensational" verliert dadurch nicht an Spannung.
Eine Spur ätherischer geht es auf dem selbstbetitelten Debüt der deutschen Formation Twin Flames zu. Schon das Cover, eine impressionistische Aufnahme einer Wasseroberfläche, in der sich der fahle Mond über einer Waldlichtung spiegelt, verweist auf die nebulöse Grundstimmung des Albums. Sängerin Anya Uth gelingt dabei das Kunststück, nicht wie eine dieser unsäglichen Elfenimitatorinnen zu klingen, wenngleich ihr sirenenhaftes Organ durchaus damit assoziiert werden kann. Ihr erstaunlicher Stimmumfang erlaubt es, gewagte Ton-Sprünge zu unternehmen, sodass sie auch und besonders in tiefen Lagen überzeugen kann. Geradezu kongenial wird sie vom Gitarristen Ralf Freitag begleitet, der seinem Spiel jede Menge Hall-und Echoeffekte beimengt, sodass man einerseits an den Psychedelic-Rock von Pink Floyd denken muss, aber gleichzeitig auch an die postpunkige Frühphase von The Cure. Thematisch haben sich Twin Flames allerdings einer fantastischen Kulisse verschrieben, der, wie die Musik, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit hin- und herpendelt. Wie im Halbschlaf, bei der die wahrgenommene Welt langsam verschwimmt und einer vom Gehirn entworfenen Surrealität weicht, handeln die Lieder vom Suchen und Finden der Liebe, umrahmt von einer nachtblauen Umgebung.
Schon "Andrógynoi" lässt den Geliebten als Abbild im Mondlicht erscheinen. "Nameless Lover In The Wind" überhöht diese Liebe und setzt sie mit einer religiösen Natursymbolik gleich. Twin Flames bleiben aber bei aller Transzendenz und der Mission, die Liebe als stärkste Kraft der Natur, die über den Tode hinausgeht, zu preisen, immer noch erdverbunden und vor allem musikalisch greifbar – dank wunderbar schwebender Rocknummern, die einen liebevoll in ihre Arme nehmen und tatsächlich die Seele berühren. Selbst die etwas forschere Interpretation des Märchens "Jorinde & Joringel" funktioniert im gewählten Kontext wunderbar. Und Anya Uth? Sie scheint in ihren Liedern tatsächlich ganz bei sich zu sein und strahlt etwas mystisch-matriarchalisches aus. Diese Energie brachte zuletzt nur noch eine gewisse Tarja Turunen auf, bevor sie den Bombast-Metallern von Nightwish den Rücken kehrte. Höchste Zeit also, dass diese Lücke wieder besetzt wird – vielleicht von den Twin Flames, auch wenn der gewählte Stil ein anderer ist.
||TEXT: DANIEL DRESSLER |DATUM: 04.05.16 | KONTAKT | WEITER: RUFUS WAINWRIGHT VS. ROME >
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Webseiten:
www.femmeschmidt.com/de
www.gleis8.net
www.jeanneadded.com
www.twin-flames.de
Cover © Dolce Rita/Warner Music (Femme Schmidt), Island/Universal Music (Gleis 8), Naive/Indigo (Jeanne Added), Timezone (Twin Flames)
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