"HADES 2.0 - A RIVER FULL OF BONES" - AUFLÖSUNG UND VERDICHTUNG - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"HADES 2.0 - A RIVER FULL OF BONES" - AUFLÖSUNG UND VERDICHTUNG

Zelluloid
Die ruinös wirkende Bühne ist in ein bedrohliches Blau getaucht. Zwielichtig geben die Scheinwerfer die Konturen eines Mannes an der Gitarre frei, der mit verhalltem Saitenspiel uns gleich vorweg klarmacht: Das ist kein weltlicher Ort mehr, in dem wir uns befinden. Es ist der Styx, der Fluss der Toten, der "river full of bones", den wir hier erahnen, die Zwischenwelt, die den Erdenball vom Hades, der Unterwelt der griechischen Mythologie trennt. In dieser Zwischenwelt verweilen wir nun als Zuschauer, nicht ahnend, was uns erwarten wird.

Dann erscheint aus einer Maueröffnung Patrik Huber, in seiner Kleidung ein wenig an einen Glam-Rocker erinnernd. Seine Körperbewegung entzieht sich jeder Kategorsierung: Mal wankt er wie ein angeschossenes Tier und setzt grauenvolle Schreie in die düster-nebulöse Atmosphäre, die in der Unendlichkeit verhallen, mal tänzelt er leichtfüßig wie am Rande des Ufers des Flusses oder eines imaginären Abgrunds. "Es ist eine Figur, die versucht, sich den Göttern Zeus und Hades zu entziehen", erklärt Patrik und zieht Parallelen zu unserer Gegenwart, "wo der Mensch versucht, Gott zu sein, gefangen in den Dualitäten und auf der Suche nach Durchdringung beziehungsweise Erlösung, das Gottgegebene aufzuheben."

Die mystische Atmosphäre potenziert Huber mit seinem Monolog, der sich einer Sinnstiftung oder einer expliziten Aussage verweigert. "Die Figur befindet sich in einer Zwischenwelt, zwischen Erkenntnis und Zerwürfnissen, Sturm und Drang. Es ist ein surrealer Roadtrip zwischen den Welten." Huber beschreibt seine Figur als "Beschwörer und Mahner zugleich", der sich im Fluss der Toten entscheiden muss zwischen Zeus oder Hades, zwischen Ober- und Unterwelt.

Zentral neben Hubers assoziativer Lyrik, die den "Sinn" aus dem Wahnsinn zu destillieren anstrebt, ist die Musik. Gigi Gratt, die Stunde über auf einer Stelle verharrend, wirkt wie ein teilnahmsloser Styx-Bewohner, der es sich mit seinem Instrumentarium in der Zwischenwelt wohnlich gemacht hat. Seine repetitiven Klänge vereinen sich mit den wiederholenden Phrasen, die Patrik teilweise wie unter Schmerzen hervorbrechen lässt, zu bildgewaltigen, drastischen, abscheulichen und obszönen Bildern, die nur das Gefühl zum Ziel haben. "In meiner autorischen Tätigkeit spiele ich immer mit abstrakten Sprachgebilden, die für mich selbst auch ein Geheimnis bleiben. Es beginnt irgendwo, auch wie in meiner Malerei, und verformt sich in Spannungsbögen. Für mich ist es auch wichtig, dass die Bühnenperformance ein Mysterium bleibt; ich will dem Publikum nichts erklären, sondern das Ganze soll eher eine Erfahrung sein." Zugegebenermaßen eine anstrengende wiewohl karthatische. Die redundanten Stellen wirken daher wie eine kleine Verschnaufpause für das Auditorium, das in diesen Lyrik-Loops einen Moment das bislang Gehörte verarbeiten kann, ehe die Suche nach dem (Wahn)Sinn des Lebens weitergeht.

Bei der tönernen Untermalung erlauben sich Huber und Gratt die Freiheit, zwischen den atmosphärischen Klängen auch bekanntes Material einzuweben. Eurythmics' "Sweet Dreams" und Talking Heads' "Road To Nowhere" kommen als Gäste aus dem Diesseits kurz zu Besuch und werden nach Patriks Vorstellungen zurechtgebogen. "Der Rückgriff auf gewisse Zitate aus der Popkultur fand ich aus dem Grund spannend, weil diese dadurch in einen neuen Kontext gesetzt wurden, weg von der Unterhaltung, fokussiert auf den Text und meine Performance. 'Sweet Dreams' spiegelt das wieder: 'sweet dreams are made of this, who am i to disagree? i travel the world and the seven seas, everybody's looking for something'. Oder auch die Talking Heads 'I am on the road to nowhere'. Was bleibt über? Wohin gehen wir?"

All diese Fragen lässt Huber bewusst in "Hades 2.0" unbeantwortet. "Ich will das Publikum eher an eine Art des wilden Geistes heranführen", beschreibt er seine grundlegende Zielsetzung. "Chaos und Ordnung, zurück zu sich selbst ausbrechen, was natürlich ein Widerspruch ist. Ich finde, die Menschheit braucht Kunst, um eben auch in eine Erfahrung außerhalb des Alltags einzutreten."

Dieser Erfahrungsgewinn setzt eine gewisse Bereitschaft zum Leiden voraus. Denn "Hades 2.0" fährt tief in die Magengrube und dreht sämtliche Eingeweide nach links, ohne aber auf billige Schockeffekte zu setzen. Das Ungeheuerliche liegt in der Beschäftigung mit dem Tod, der in unserer heutigen Welt mehr denn je verdrängt wird. "Ich bin da bei den Schamanen, wo sich die Energie ja nur transformiert, und gleichzeitig auch beim ZEN, wo wirklich nichts mehr übrigbleibt oder der Tod eine Offenbarung ist und es geht dann wieder weiter. Leben und Tod ist ja vielleicht auch dasselbe, in deren Kern der bewegten Dualität nur Veränderung, ein permanentes Oszillieren. Auflösung und Verdichtung."

|| TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.06.23| KONTAKT | WEITER: SPARKS VS. SWANS>


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