"LA DANSE MACABRE 7": SUBKULTUR, DIE SIE MEINEN
Seit wie lange wird schon vom Verfall der Schwarzen Szene geredet? Seit zehn Jahren? 20 Jahren? Eigentlich kamen mit Beginn der Gothic-Subkultur auch gleich die ersten Kritiker und Gralshüter auf, die sich allem auch nur im Ansatz Erfolgreichen kritisch gegenüberstellten und gleich den Verrat an der (un)heiligen Gotik-Kuh gesehen haben. Selbst die musikalischen Urväter dieser Bewegung, Bauhaus, haben es vor ihrem Ende dann auch noch zu Ehren in Form höherer Chartplatzierungen und Top-Of-The-Pops-Visiten geschafft. Und von dem unaufhaltsamen Aufstieg eines Andrew Eldritch oder Robert Smith wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst anfangen.
Fakt ist einfach, das Gothic seit Anbeginn sehr eklektisch in ihrer musikalischen Ausrichtung war. Im Grunde genommen wurde alles, was auch nur annähernd mollschwanger und ein bisschen Tod und Traurigkeit in den Texten verarbeitete, vom geneigten Schwarzkittelträger freudvoll aufgenommen. Ob da nun Synthesizer oder Gitarren den herannahenden Weltschmerz propagierten, war den meisten anscheinend relativ pumpe.
Jedoch hakt die ganze Geschichte heutzutage an der ziemlich konservativen Selektierung seiten Festival-Veranstalter und Szene-Presse. Veröffentlichungen von VNV Nation, ASP und dergleichen Zugpferde mehr sind standesgemäß immer die großen Aufmacher der Gazetten, gepaart mit einer Headliner-Nominierung bei den einschlägig bekannten Festivals. Verständlich ist diese Auswahl nur aus rein ökonomischer Sicht - bringen doch solche Bands hohe Verkaufszahlen an Magazinexemplarenund Eintrittskarten - der Szene ist dieser Starrummel aber eher abträglich.
Dagegen scheint sich Axel Meßinger schon seit gefühlt drölftausend Jahren (tatsächlich sind es nicht mal zehn) mit aller Macht zu wehren. In seinen regelmäßig erscheinenden Zusammenstellungen zeigt er plausibel und mit einer großen Leidenschaft auf, wie ein Teil der durchaus strikt durchkommerzialisierten Gothic-Kultur immer noch die Unabhängigkeit in Kunst und geistiger Einstellung propagieren. Mittlerweile ist der sensible Mann mit dem großen Musikwissen fast schon auf einer Stufe mit solchen Gruftie-Koryphäen wie Thomas Thyssen oder Ecki Stieg zu stellen.
Seine "La Danse Macabre"-Reihe ist einfach nicht mehr wegzudenken, und mit der siebten Ausgabe wird er ein weiteres Mal seinem Ruf als unvoreingenommener Freund der Ungehörten gerecht. Was sich hier zusammenfindet, beschreibt nichts weniger als die utopische Idee, das Gothic alles umschließt, was dem Tod ausweichenden Mainstream nicht passt - und vor allem den Jüngern dieser Subkultur eine maximale musikalische Toleranz überantwortet.
Zunächst aber gibt sich der Sampler gewohnt handzahm mit klassischem Goth-Rock der Gruppen Idlehands und Sonsombre. Meßingers stetig wachsende Bekanntheit dürfte es auch zu verdanken sein, dass er selbst das Gothic Superprojekt Beauty In Chaos an Land ziehen konnte. Bei "The Long Goodbye" singt kein geringerer als Wayne Hussey von The Mission. Ähnliche nostalgische Gefühle kommen gegen Ende der Zusammenstellung auf, wenn die Post-Punk-Urgesteine The Membranes mit "The Nocturnal" zum ausgelassenen Ian-Curtis-Gedächtnitanz einladen.
Dazwischen wird es bei An Earlier Autumn indiepoppig, Soft Riot lässt in "The Lost Weekend" den elektronischen New Romantic Sound wieder aufleben und The Lust zeigt eine fast schon unverschämte Hinwendung zum Radio-Pop mit Frauengesang.
Überhaupt muss lobend anerkannt werden, dass sich Axel bewusst Gedanken zur Rolle der Frau in dieser Subkultur auseinandersetzt. Und es muss auch nicht immer die Engelsstimme sein. "Betty Goes To Hell" von Lizard Prom ist ein creepy Furienstück, das so manchen Möchtegernmacho in die Flucht schlagen wird ob des energischen Ausbruchs der Sängerin. Starke Töne des vermeintlich schwachen Geschlechts - hier finden wir sie zuhauf, was "La Danse Macabre" ein weiteres Mal von anderen Samplern abhebt, die gerne das martialisch-maskuline Rollenbild pflegen und die Frau zumlasziv-erotischen Lustobjekt degradieren.
Mit der intensiven Pianoballade "Ireland" von Scarrow beschließt ebenfalls eine Frau dieses wunderbare Kompendium, dessen Dichte an neuen Lieblingsbands mehr als nur verwunderlich ist und das Ergebnis der tiefen Liebe des Zusammenstellers für den immer noch bestehenden Independent-Charakter dieser Subkultur darstellt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 10.03.2020 | KONTAKT | WEITER: KJELLVANDERTONBRUKET VS. SHADOWORLD VS. JONATHAN WILSON>
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atseacompilations.bandcamp.com/album/la-danse-macabre-7
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