CRIME & THE CITY SOLUTION "SHINE", "THE BRIDE SHIP", "PARADISE DISCOTHEQUE" VS. TELEX "BOXSET": BERLIN-WIEN-BRÜSSEL - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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CRIME & THE CITY SOLUTION "SHINE", "THE BRIDE SHIP", "PARADISE DISCOTHEQUE" VS. TELEX "BOXSET": BERLIN-WIEN-BRÜSSEL

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Mit dem Ende von The Birthday Party, jener wilden, ungestümen Band aus Australien, die sich in England einen Namen machen konnte, wurde seit jeher der Fokus auf den mysteriösen Barden und Schriftsteller Nick Cave gelegt, der wenig später mit einem verschworenen Haufen, den er die Bad Seeds nannte, über Jahrzehnte erfolgreich den gesungenen Weltschmerz an den Mann (und auch die Frau) bringen konnte. Fast vergessenen wird dabei, dass der Rest der Geburtstagsparty sich einem anderen, nicht weniger charismatischen Sänger anschloss: Simon Bonney. Der hatte bereits Crime & The City Solution in den späten 1970er gegründet, aber noch vor einer ersten Platte wieder aufgelöst.

Es war Mick Harvey, der gerade mit Cave die Bad Seeds ins Leben gerufen hat, und der nun Bonney zu sich nach London holte, um Crime & The City Solution wiederzubeleben. Mit dem Umzug nach Berlin, wo sich auch Nick Cave aufhielt, begann die erste fruchtbare Schaffensphase für Crime & The City Solution. Während das Debüt "Room Of Light" noch einige Birthday-Party-Altlasten mit sich rumtrug, befreit sich "Shine" zwei Jahre später von den Post-Punk-Gängelungen und suchte nach einer neuen klanglichen Ausdrucksweise.

Bonney, der ähnlich exaltiert wie Cave singt, verdingt sich natürlich weiterhin in einen gitarrenlastigen Sound, der aber sich jeglicher Kategorisierung entziehen will. Dafür hat die Band sich in Berlin ungeschaut und richtig gute Verstärkung geholt. Chrislo Haas, der bei D.A.F., Der Plan und Liaisons Dangereuses die elektronische Musik maßgeblich mitprägte, ist ebenso auf "Shine" zu hören wie Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten. Das macht den Zweitling zu einem experimentellen Monster, bei der die Musik regelrecht aus den Lautsprechern explodiert.

"Shine" war der nötige Befreiungsschlag einer Band, die sich von allen Erwartungen lösen wollte. Vielleicht kommt das nachfolgende "The Bride Ship" deswegen vergleichsweise gezähmt rüber. Wohldosierter morbider Pathos ist im Titelsong zwar enthalten, aber "The Greater Head" oder "Keepsake" wirken überraschend aufgeräumt und sind auf einer Augenhöhe mit den Produktionen eines Nick Cave. Der Wettbewerb der Aussies um die Gunst der (Berliner) Hörerschaft belebt die Szene. "The Bride Ship", porduziert übrigens von keinem geringeren als Gareth Jones, zeigt, dass Bonney und seine Mitstreiter offensichtlich weiter musikalische Haken schlagen wollen.

Den Sänger indes verschlug es im Jahr der Wende nach Wien (zusammen mit Kollege Bronwyn Adams [Geige]). Die geographisch auseinandergerissene Band schafft aber dennoch mit "Pradise Discotheque" einen weiteren Meilenstein, in dem sich der Krach früherer Werke in einen impressionistischen Bastard aus Art- und Post-Rock transformiert. Dem Experiment als entscheidendes Momentum für die Entstehung der Songs wird immer mehr Raum gegeben. Das gipfelte schließlich in der vierteiligen "The Last Dictator"-Saga am Ende des Albums, bei dem sich Crime & The City Solution vollends aller Erwartungen entzieht und eine eigene Traumwelt realisieren, zu der der Hörer eingeladen ist, daran teilzuhaben.

In diesen drei Jahren gelang der Band drei großartige Alben, die zurecht neu aufgelegt worden sind. Schade, dass Bonney und Co. sich nicht mehr als Gegenpart von Nick Cave profilieren konnten. Crime & The City Solution brach auseinander, erst 2013 veröffentlichte die abermals neuformierte Gruppe ein weiteres Album, das bluesrockige, wesentlich eingängigere, aber nicht minder bewundernswerte "American Twilight". Die Alben zwischen 1988 und 1990 zählen aber zweifelsohne zu den aufregendsten in ihrem Portfolio, weswegen die Wiederveröffentlichung nur folgerichtig ist.

Crime & The City Solution sind nur ein Beispiel für die künstlerische Freiheit, die sich seit dem Ende der 1970er in der Popmusik immer mehr entfaltete und einherging mit einer breiten Akzeptanz dieser in den Mainstream einströmenden Avantgarde. Ein Highlight war sicherlich der Auftritt der Band Telex anno 1980 beim Grand Prix Eurovision de la chanson, wie der Eurovision Song Contest damals noch hieß. Ihr naiv-kühles "Euro-vision" präsentierten sie mit einer minimalen wie humoristischen Performance. Ihr Wunsch, bei diesem Wettbewerb entweder den ersten oder letzten Platz zu belegen, ging nicht in Erfüllung. In Portugal erkannte man wohl die Besonderheit dieser Band und vergab für ihren Auftritt zehn Punkte.

Mit insgesamt 14 Punkte schafften sie also Rang 17, der vorovorletzte Platz. Es war das Ergebnis einer unerwarteten Reise, die zwei Jahre zuvor ohne große Ambitionen gestartet wurde. Keyboarder Marc Moulin, zuvor eher im Jazz- und Fusionbereich tätig, gründete mit Sänger Michel Moers und Dan Lacksman Telex, um Electro-Coverversionen bekannter Hits zu spielen. Einige fanden sich bereits auf dem ersten Album "Looking For Saint-Tropez" wieder: "Ca plane pour moi" von Plastic Bertrand und "Rock Around tThe Clock" von Bill Haley. Die beiden Stücke wurden ihrer Rockwurzeln entrissen und in einen seltsam spröden Synthesizersound gepackt, der noch weniger Wärme ausstrahlten als jene von Kraftwerk.

Telex, benannt nach einem schon damals in die Jahre gekommenen Fernschreiber, lieferte elektronische Tanzmusik mit einem Augenzwinkern - ein Novum in der noch relativ jungen Geschichte synthetischer Klangerzeugung. Das nachfolgenden Album "Neurovision", auf dem der Eurovisionsbeitrag enthalten ist, verweilte ebenfalls in dieser Zwischenwelt aus Lo-Fi-Elektronik mit Dilettanten-Charme und anarchischem Witz. Die Erfolge schlugen sich zwar nicht unbedingt in hohe Verkaufszahlen nieder, aber in der Aufmerksamkeit anderer Musiker. So lernten Telex Russel und Ron Mael von The Sparks kennen. Beide verfolgten den selben konzeptionellen Witz, weswegen das 1981er Album "Sex" auf den Texten von den Mael-Brüdern basierte.

Damit einher ging auch die neue, poporientiertere Musik, die sich nicht mehr den aktuellen Strömungen wie New Romantic verwehrte, aber noch genügend Distanz wahrte, um nicht zu anbiedernd zu wirken. Songs wie "Drama, Drama", "Excercise Is Good For You" und das jazzig swingende "Sigmund Freuds Party" gehören sicherlich zu den stärksten Nummern von Telex überhaupt.

Das Trio hat sich in den modernen Synthesizer-Sound festgebissen und suchte auf ihrem nächsten Album "Wonderful World" nach der größten Schnittmenge zwischen elegantem New Romantic, stolpernder DIY-Elektronik und dekonstruierender Komik. Im Titelsong gelang ihnen das noch einmal überragend gut, während der Rest der Platte zwar immer noch auf einem hohen Niveau operierte, aber sich auch schon einige Abnutzungserscheinungen an der Telex-Idee bemerkbar machten. Der höhere Anteil funkiger Elemente sollte aber noch mal erwähnt werden.

Denn 1988 kam das vielleicht unterbewerteste Album von Telex heraus: "Looney Tunes" zeigt ein gereiftes Trio, das sich vor allem in der Kunst des Samplings verstand und dieses auf die komödiantische Spitze trieb. Fast trotzig beginnt das Album mit "I Don't Like Music" und lässt im folgenden den Unbill am Hörer aus: Klassische Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen sind passé, es dominieren surreale Versatzstückcollagen, die bei "Temporary Chicken" und "Peanuts" bereits den New Beat vorwegnehmen. Erst das abschließende "Rendez-vous dans l'espace" hebt noch einmal die alten Tugenden der Band hervor, doch eher nur, um sich von ihnen zu verabschieden. "Looney Tunes" jedenfalls verkaufte sich mies. Immerhin rief der Sound der Platte das berühmte Motown-Label auf den Plan, die mit ihnen die nächste Platte veröffentlichen wollten.

Doch zur Zusammenarbeit kam es nicht mehr, da sich das Dreiergespann auf ihre Soloarbeiten konzentrierten. Offiziell war Telex nie aufgelöst, doch kaum jemand hätte gedacht, dass sie 2006, nach fast 20 Jahren Funkstille, noch einmal ein Album veröffentlichten. "How Do You Dance?" dürfte jene versöhnen, die sich mit "Looney Tunes" von der Band verabschiedet haben. Denn der letzte Longplayer feierte noch einmal ihren retrofuturistischen Synthesizer-Humor, der im 21. Jahrhundert anders wahr genommen wurde. Vor allem der Rückgriff auf ihre Lieblingsbeschäftigung, der Entrockung der Rockmusik, begeistert nach wie vor. "Jailhouse Rock" von Elvis Presley, "On The Road Again" von Canned Heat und "La Bamba" von Richie Valens sind unantastbare und über jeden Zweifel erhabene Coverversionen, die in ihrer Schrulligkeit unerreicht sind.

Durch den Tod von Marc Moulin zwei Jahre nach "How Do You Dance?" wurde Telex zu den Akten gelegt, die verbliebenen Mitglieder möchten die Erinnerung an ihr Werk weiter am Leben halten. Die liebevoll remasterte Box mit allen Alben (sowohl als CD- als auch als Vinyl-Konvolut zu erstehen) ist ein Muss für jeden Fan elektronischer Klangerzeugung, denn Telex beeinflusste das Genre, indem sie sich ihm entzog und mit einem Schmunzeln auf ihn blickte. Ein teurer Spaß, zugegeben, und wenn man sich auch für Crime & The City Solution erwärmen kann, erst recht. Doch die beiden Bands sind, trotz eher bescheidenerem Erfolg, für ihre Sparten einfach nicht wegzudenken.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.04.23 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "ZEITGEIST+ VOL. 2">

Webseite:
www.crimeandthecitysolution.org
www.facebook.com/ThisIsTelex

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