THE JAZZ BUTCHER "THE HIGHEST IN THE LAND": TESTAMENT EINES EWIGEN GEHEIMTIPPS
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Es passiert nicht selten, dass Künstlerinnen und Künstler im Hinblick auf den herannahenden Tod ihr letztes Album wie eine Totenmesse konzipieren. Unzählige Beispiele gibt es dafür: David Bowies "Dark Star" (2016) erschien zwei Tage vor seinem Ableben und verhandelt, natürlich textlich verschlüsselt, seinen Kampf gegen den Leberkrebs, den er vor der Öffentlichkeit geheimhielt. Ebenso liest sich "You Want It Darker" des im gleichen Jahr wie Bowie verstorbenen Leonard Cohen wie das künstlerische Vermächtnis eines Mannes, der zusehends gebrechlich wurde und mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Und Johnny Cashs letztes Werk "Ain't No Graves" zeigt unverblümt einen todkranken Mann, dessen Stimme deutlich geschwächt ist, was das Werk aber umso eindringlicher machte. Das Werk erschein 2010, sieben Jahre nach seinem Tod.
Manchmal, wie bei Warren Zevons musikalischem Testament "The Wind" von 2003, wirken solche Alben unglaublich zynisch. Wenn er, aufgrund seines Lungenkrebses, kurzatmig Dylans Klassiker "Knockin' On Heaven's Door" intoniert, dann ist da auch die Verbitterung eines (über lange Zeit drogenabhängigen) Künstlers zu hören, der es nur zum One-Hit-Wonder ("Werewolves Of London") geschafft hat und dem ein größeres Interesse verwehrt blieb.
Doch was sollte ein Pat Fish sagen? Er war sogar ein No-Hit-Wonder. Als The Jazz Butcher, das er zusammen Max Eider ins Leben rief, war er bereits in den frühen 80ern unterwegs und konnte sogar zeitweise für ihr zweites Album "A Scandal In Bohemia" von 1984 auch David J und Kevin Haskins von Bauhaus als Gastmusiker gewinnen. Dennoch flogen The Jazz Butcher immer konsequent unter dem Radar der Hörerschaft, waren aber ausgemachte Presselieblinge und bei Kollegen hoch angesehen.
Eine späte Genugtuung erfolgte mit einer Wiederveröffentlichung des Oeuvres als hübsche CD-Boxen in den 2010ern. Die Rereleases erschienen zur richtigen Zeit, denn sie zeigten Fishs ganzes Können als sarkastischen und humorvollen Musiker mit einer ordentlochen Portion Antirock. Der Jazz Butcher war Indie-Pop zu einer Zeit, als es noch gar kein "indie" gab. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet muss man konstatieren, dass Pat Fish ein sträflich unbesungener Alternative-Held ist. Das sollte wenigstens mit seinem posthum veröffentlichten Album "The Highest In The Land" nun noch geschehen.
Denn wie selbstironisch bitte kann man mit seinem eigenen Lebensende umgehen? in "Time" singt er zu einem tickenden Rhythmus "My hair's all wrong, my time ain't long. Fishy go to Heaven, get along, get along" und reimt dabei den Titel trocken mit "a one-way ticket to a pit of Council lime" (ein Hinweg-Ticket zur Kalkgrube der Gemeindeverwaltung). Das ist bitter, aber auch amüsant und unterhaltsam, weil The Jazz Butcher mit einem smoothen Jazz-Blues mit leicht dubbigen Gitarren nicht eine Spur von Traurigkeit aufkommen lässt. Pat Fish nimmt den Exitus eben hin. Was nützt all das Greinen? Dann doch lieber cool mit Sonnenbrille in die Gruft.
Dieser Song offenbart aber nicht nur, dass The Jazz Butcher eine schwarzhumorige Indie-Kapelle, sondern der Frontmann auch lyrisch beschlagen wie kein zweiter ist. Mit "Running On Fumes" gelingt ihm sogar eine kleine Inide-Folk-Perle, die eines Bob Dylan ebenbürtig ist.
Natürlich ist es nie zu spät, The Jazz Butcher neu oder wiederzuentdecken. Doch ein bisschen traurig ist es schon, zu wissen, dass es keine Musik mehr von ihm geben wird. So klingt auch das abschließende "Goodnight Sweetheart" wie Pats Schwanengesang. Auch wenn er sich laut Titel von seinem "Sweetheart" verabschiedet, scheint er eigentlich seiner kleinen aber treuen Fanschar lebewohl zu sagen. Aber nicht im Groll oder verbittert darüber, dass er nie die Anerkennung erhalten hat, die ihm eigentlich zugestanden hätte. Gefasst wirkt der Mann am Ende, wenn er abschließend ein sonores "Good Night" in die Welt hinausschickt, auf der er nicht mehr lange verweilen sollte.
Der Tod im vergangenen Oktober kam zwar überraschend, Pat litt aber bereits zuvor an einer Krebserkrankung. Vielleicht hat er gewusst, dass dieses Album sein letztes sein würde. "Selbsterkenntnis, Dringlichkeit" waren die Worte, die er in privaten Randnotizen zu seinen Texten an Produzent Lee Russell schrieb. Er muss wohl gefühlt haben, dass seine Zeit nur noch knapp bemessen war. Das macht "The Highest In The Land" zu einem existentiellen Album von ungeheurer Spannung - und zum Schönsten, was dieser unterbewertete Musiker der Nachwelt hinterlassen konnte.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 11.02.22 | KONTAKT | WEITER: BIANCA STÜCKER VS. GABRIA>
Webseite:
www.jazzbutcher.com
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