DAGOBERT "SCHWARZ" VS. MAMORÉ "MAMORÉ" VS. VOODOO BEACH "WONDERFUL LIFE": ECKE TRIFFT KANTE
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Es ist alles fürchterich bei Dagobert. Sein ganzes Album "Schwarz" scheint das Ende einer Beziehung zu thematisieren - einhergehend mit dem Wunsch des lyrischen Ichs, dem Dasein Lebewohl zu sagen. Zumindest singt er gleich zu Beginn unter gravitätischen Bläsern und mit viel Chor und Piano-Alpträumerei von der "Todessehnsucht". Nur der Tod sei es, der die Not lindere. Lebensfreude klingt definitiv anders.
Doch irgendwie kann man Lukas Jäger, wie Dagobert eigentlich heißt, nicht wirklich über den Weg trauen. Die Geste ist so groß, der Weltschmerz so omnipräsent, dass es vielleicht eine geschickt gelegte Finte ist. "Schwarz" will, dass wir uns in den allgemeinen Trübsinn verlieren, dass wir dem melancholischen Dagobert-Sound auf den Leim gehen. Derart weltabgewand inszeniert sich nicht einmal die düsterste Wave-Kombo.
Der Kitsch, der sich vermeintlich durch die Stücke drückt, kann man - und sollte man - nicht allzu ernst nehmen. Nichtsdestotrotz finden sich wie in "Das Omen" unter federleichter musikalischer Begleitung einige lyrische Schönheiten, die Dagobert als großen Texter und Musiker auszeichnen, der er ja schon immer war, wenngleich seine Musik bisweilen schmerzhaft ins Schlagereske schlingerte. Auf "Schwarz" setzt der Mann aus der Schweiz nun seine helle und gleichzeitig kraftvolle Stimme in den Vordergrund.
Über das Album hinweg tänzeln die Songs auf dem schmalen Grat zwischen Klischeeausweidung und Kunstanspruch. Dreh- und Angelpunkt bildet dabei "Rabensinfonie", das via unheilvollen Stromgitarren, waberndem Synthiebassteppich sowie finaler Orgelmelodie aus dem Hades, mit seiner absoluten Hoffnungslosigkeit lockt, aber gleichzeitig uns daran erinnert, dass wir es hier mit einem hochintelligenten Musiker zu tun haben, bei dem man auch jegliches Stilmittel auf seine Wirkung hin abklopfen muss, bevor man ihr unreflektiert erliegt.
Deswegen ist "Schwarz" ein so wundervolles Album geworden: Es gibt vor, eine Gothic-Scheibe zu sein, obwohl sie eigentlich das melancholische Sentiment in der Musik an sich hinterfragt und ein Stück weit auch karikiert. Ganz schön schlau, der Dagobert.
Während manche schon fleißig an den Listen für die Alben des Jahres basteln, wartet unsereins immer noch ziemlich lange, denn es kann noch auf den letzten Drücker eine richtige Granate erscheinen. Womit wir bei Mamoré aus Jena sind, deren selbstbetiteltes Debüt so ein unglaublicher Knaller ist. Doch hat sich diese Explosion bereits angebahnt. "Ich seh dich" ist eine der vielen Vorabauskopplungen, das, auch dank des Musik-Clips in krisseliger VHS-Ästhetik, einen an die glorreichen Zeiten der Neuen Deutschen Welle erinnert.
Dabei sind sie sich nicht zu schade, jene NDW-Phase zu zitieren, die für viele eigentlich schon das Ende der einst subversiven Bewegung bedeutete. Mamoré klingt nämlich nach dem frühen Joachim Witt und nach Falco, nach Freibadsaison, jeder Menge Eis und heißen Teenieküsse. Wer sich noch an das wunderbare "Ich liebe Dich" von Clowns & Helden aus dem Jahr 1986 erinnert, hat zumindest stilistisch schon eine gute Vorstellung davon, was einen auf "Mamoré" erwartet.
Zu keiner Zeit macht Sänger Eric Schulz einen Hehl aus seiner Liebe für den damals so beliebten Gesangsstil: etwas drüber in seiner Dramatik, die Texte stakkatohaft weggenuschelt. Damit hat er jeden 80er-Nostalgiker binnen weniger Sekunden auf seine Seite gezogen. Selbst das damals so beliebte Sprechen von Musiktexten wie bei "Pfeil ins Herz" lässt der Mann nicht aus.
Nur bei "Die Hatz" verlassen Mamoré mal kurzzeitig den melodiösen Power-Synth-Rock und fahren punkigere, entfernt an die Zackigkeit von DAF gemahnende Elemente auf, die am Ende völlig aus den Fugen geraten - am Ende löst ein amüsanter Studiodialog die scheinbar paranoide Atmosphäre gekonnt wieder auf.
Mamoré haben Spaß am Zitat und sind gleichzeitig großartige Musiker, die ganz genau wissen, wie gute Songs funktionieren. Die Band ist eigentlich gute 40 Jahre zu spät dran, werden aber sicherlich von der momentan prosperierenden neuen NDW-Bewegung profitieren.
Die jüngere Pop-Geschichte hat es bereits vorgemacht. "Wonderful Life" als Titel birgt meistens eher das Gegenteil davon. Denken wir einfach mal an Blacks melancholische Ballade von 1986, das auch dank des stimmungsvollen Musik-Videos in Schwarz-Weiß-Optik ein großer Hit geworden ist, die Schönheit des Lebens aber auf sarkastische Weise beschrieben wurde.
2009 hat die Karriere von Hurts durch die Single "Wonderful Life" Fahrt aufgenommen. Darin besingt die Band einen Mann, der gerade dabei ist, seinem Leben ein Ende zu bereiten (die Nähe zum bekannten Weihnachtsfilm "Ist das Leben nicht schön?" kommt sicherlich nicht von Ungefähr). Auch hier scheint es nicht viel Wundervolles zu geben.
Bereits der noisige Post-Punk-Sound ist ein Indiz dafür, dass auchim Hause Voodoo Beach das Leben nicht gefeiert, sondern zynisch kommentiert wird. Dabei geht die Gruppe um Sängerin Heike Marie Rädeker nicht zimperlich mit den Hörern um, entführt sie in teilweise psychedelische Soundlandschaften (inklusive kontemplativer Fieldrecordings wie in "23"). Doch wo einst der gemeine Hippie in den kaleidoskopischen Klängen auf dem Weg zur Bewusstseinserweiterung war, sind die halluzinogenen Töne auf "Wonderful Life" eher so etwas wie eine Fluchtreaktion, um der Realität zu entkommen. Schließlich bietet diese nicht wirklich Anlass zur Freude.
Da wird in "Die Hand" vor großen Energiesaugern im Bekanntenkreis gewarnt, während "Meine Freunde" auf die eigene Bindungsunfähigkeit schielt und in "Meine Seele" das lyrische Ich zum Ergebnis kommt "Ich bin desolat". Voodoo Beach geben einen bissig-bösartigen Kommentar zum Leben in den 20ern des 21. Jahrhunderts ab, verbunden mit einer Hoffnung, die am Schluss in "Euphorie" explizit vorgetragen wird: "Nichts bleibt für die Ewigkeit" singt Marie in beschwingtem Dreivierteltakt und äthersichem Saitenspiel. Treffender hätte das Schlusswort für diese wahrhaft dunkle Platte nicht sein können.
Bei Voodoo Beach ist das Leben ein Kampf, bei Dagobert eine Revue im Angesicht des Todes und bei Mamoré ein wehmütiges Zurückblicken in eine Zeit, in der zwar vieles nicht besser, aber vielleicht einfacher war. Allen drei Alben ist aber der besondere künstlerische Ausdruck eigen. Sie machen "Schwarz", "Mamoré" und "Wonderful Life" zu großartigen Höhepunkten vor dem demnächst auslaufenden Jahr.
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