AMANDA DEBOER BARTLETT "BRAIDED TOGETHER" VS KATHRYN JOSEPH "WE WERE MADE PREY": ZIVILISATION UND ARCHAISMUS - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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AMANDA DEBOER BARTLETT "BRAIDED TOGETHER" VS KATHRYN JOSEPH "WE WERE MADE PREY": ZIVILISATION UND ARCHAISMUS

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Das ist das besondere an Amanda DeBoer Bartlett. Die in Nebraska geborene Musikerin besitzt eine klassische Ausbildung, die man ihr aber nicht anmerkt. Vielleicht ist es eine romantisierte Vorstellung, dass das musikalische Genie keine Konservatorien besuchen muss. Mehr noch: Kann das verkopfte Studium den emotionalen Zugang zu einem Song gar verschütten? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Das technische Wissen kann helfen, Emotionen zu erzeugen.

So ist bei "Braided Together", dem zweiten Longplayer der Musikerin mit einer Stimme so funkelnd wie die Sonnenstrahlen im Morgentau, genau dies geschehen: Das Album klingt wie eine spontane Mischung aus Americana, (Irish) Folk und Country, geradewegs so, als sei die Frau mit ihren Mitmusikanten ins Studio gegangen, um das Album direkt, ohne mehrere Versuche, einzuspielen. Wie gesagt: Dass diese Frau eine musikalisch sehr versierte Frau ist, bestreitet keiner, "Braided Together" stülpt aber ihre Gefühle über ihre Fertigkeiten.

Schließlich besingt sie vor allem ihr eigenes Leben und gießt ihre Beobachtungen in zarte Songs, die wie ein Schwarm Schmetterlinge durch die Luft wirbeln. Lediglich "Skyscraper" mit seinem bluesig-verschleppten Rhythmus zeigt eine etwas dunklere Seite der Sängerin, die aber die Leichtigkeit in ihrer Stimme nie verliert, auch wenn die Songs vom teilweise nicht immer einfachen Werdegang der Sängerin künden.

Zwischen der Frage nach Identität ("I Have No Home") und die liebevolle Beobachtung ihrer Rolle als Mutter ("Mama Rolls On", "Nell My Bell") wird in "Quick Trips" ihr Leben auf der Straße zu einer Metapher für das Leben an sich: "How long do we get on this ride?" Eine wichtige Frage, besonders in diesen schnelllebigen Zeiten. Die Antwort gibt Amanda selbst am Ende von "Braided Together": "Cherry Blossom" blickt versonnen unter melancholischen Pianolinien auf die viel zu schnell verstreichende Jugendzeit, während "Sweet Annie" die Conclusio ihrer Beobachtungen in den einfachen aber vielleicht eindringlichsten Worten darstellt: "I guess life is mostly waiting and coping, learning how to listen, trying to keep hoping." Hört man ihrer glockenklaren Stimme zu (man mag an die großartige Eva Cassidy erinnert sein), fällt das Hoffen wieder leichter.

Wenn man aber gerade besonders auf der Suche nach ein paar lichten Momenten wie in den Stücken von DeBoer Bartlett ist, sollte man einen großen Bogen um Kathryn Joseph machen. Denn ihr neuestes Album "We Were Made Prey" ist eine Meditation über die dunklen, animalischen Seiten unserer Existenz. Dass Kathryn seit jeher nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens gastiert (rein musikalisch betrachtet), ist schon durch ihre früheren Veröffentlichungen bekannt. Mit diesem Album steigt die Schottin aber noch ein paar Stufen weiter in den menschlichen Hades hinab.

Dort angekommen, werden wir Zeuge unseres eigenen Verlangens. Kathryn kreiert eine Messe des Animalischen. Sie trägt Schicht für Schicht die zivilisatorischen Errungenschaften ab, bis am Ende nur noch die archaischen Urinstinkte übrigbleiben. Dieses Konzept zieht fast schon zwangsweise eine musikalische Neuausrichtung mit sich, die sich bei "WOLF." bereits anbahnt (man beachte die Großschreibung der Ein-Wort-Titel und der gesetzte Punkt - hier wird das Absolute dieses Albums auf allen Ebenen zelebriert).

Kathryn wählt aber nicht pumpende Beats oder verstörende Sounds, sondern injiziert ihre Dosis "Tiersein" subkutan. Flächige Elektronik, in "HARBOUR." auch mal mit ein paar Arpeggios angereichert, dazu Kathryns sanft angezerrtes, mal krächzendes, mal beschwörendes Organ, evozieren eine unterschwellige Bedrohungssituation. Ebenso geht "BEFORE." zunächst den Weg einer Herzschmerballade, doch die sich aufbauende Klangkulisse steigert die Intensität und endet in einen auditiven Rachefeldzug.

Die Kraft zieht "We Were Made Prey" vor allem aus der Idee, dass unsere animalischen Triebe uns stets begleiten und nur darauf warten, in einem schwachen Moment an die Oberfläche zu treten. So funktionieren auch die Songs von Kathryn Joseph: als umherschleichende Emotionen, die durch die gesellschaftlichen Konventionen mühevoll im Zaum gehalten werden. Doch wie bei "ROADKILL." blitzen sie dann auf, wenn sich der Klangteppich verdichtet und Kathryn in verfremdeter Stimme ihren Schmerz offenbart. Perfekte musikalische Inszenierung der dunkelsten Ecken unserer Seelen. Das geht tief.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 10.06.25 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 6/25>

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COVER © CARILLONIA (AMANDA DEBOER BARTLETT), PIAS/ROCK ACTION RECORDS/ROUGH TRADE (KATHRYN JOSEPH)

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