16/23: EGO AMP, MIND IN A BOX, GEORGE KOCHBECK, SYMPHONIC NOISE CULT, DIE SELEKTION: FILM AB! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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16/23: EGO AMP, MIND IN A BOX, GEORGE KOCHBECK, SYMPHONIC NOISE CULT, DIE SELEKTION: FILM AB!

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Kaum ein anderes Electro-Projekt hat sich so bedingungslos der fantastischen Welt des Films gewidmet wie EGOamp. Mastermind Asmodi Caligari tauchte bereits mit seinem ersten Album "Welcome To The Cabinet" von 2011 ganz tief in die goldene Ära der Stummfilme ein. Auf seinem aktuellen Werk "Cinéaste" streift der Mann durch die verschiedenen Filmklassiker der letzten rund 100 Jahre. Zusammen mit Jane Overnight und René Castle hat der Frontmann ein interessantes Konzeptalbum geschaffen, in dem jeder Song einem Streifen zugeordnet wird. Der angedunkelte Electro-Pop-Kosmos, in dem sich EGOamp bekannterweise aufhalten, passt natürlich besonders gut zu solchen Stücken wie "Metropolis" oder "Un chien andalou" ("Ein andalusischer Hund",DAS surrealistisches Meisterwerk von Luis Buñuel von 1929). Es ist der Gruppe Komfortzone, in der sie erwartungsgemäß abliefern. Der Emotionalität von "Breaking The Waves", einem Meilenstein des Gefühlskinos aus dem Jahr 1996 von Lars von Trier, kommt das Dreiergespann mit schleppendem Dreivierteltakt daher und erinnert an die bluesigen Synth-Pop-Eskapaden von Depeche Mode während ihrer destruktiven "Songs Of Faith And Devotion" Phase.Und gerne hätte man auf dem ikonischen "Lola rennt"-Soundtrack auch EGOamps musikalische Verbeugung vor diesem modernen deutschen Filmklassiker gehört. "Cinéaste" überrascht in mehrerlei Hinsicht. In erster Linie entkommt EGOamp ihrem eigenen Klischee, sich vor allem auf die expressionistische Frühzeit des Kinos festzulegen, in zweiter Linie veranlassen die unterschiedlichen Filme die Band dazu, sich in ihren Strukturen zu öffnen und ihrem eigenen Sound neue Facetten abzugewinnen.

Würde man einen Film zu den Alben von Mind.In.A.Box drehen, müsste man wirklich das große Besteck auffahren. Denn das österreichische Electro-Pop-Projekt hat einen detaillierten Cyperpunk-Kosmos geschaffen, welcher mit jeder weiteren Veröffentlichung weiter verzweigt wird. Das letzte Album "Black & White" führte diese Entwicklung weiter und trieb den Musiker Stefan Poiss in für ihn neue Regionen. Nun legt er noch mal nach: "Shades Of Gray" ist eine EP mit verschiedenen Neuabmischungen, teilweise vom Musiker selbst, teilweise ist das Material durch fremde Hand gegangen. Wer den Werdegang von Mind.In.A.Box aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass MIAB gerne ein Addendum nachschiebt, um einige Songs noch besser auf die Diskotheken zuzuschneiden. Dass die Wahl auf "Integrate" und "New Wave Propaganda" fiel, macht durchaus Sinn, haben diese beiden doch ein großes Potenzial, auch von Discjockeys gespielt zu werden. Besonders letztgenannte Nummer ist im Club Mix dank eines zugefügten Drum-Part noch ein bisschen bombastischer. Im internen Duell mit dem Bell Mix schneidet er aber etwas schlechter ab, weil in dieser Version die Freude am Spiel mit dem vorhandenen Material ansteckend ist. Apropos: Mit dem  non Album Track "Fire And Lace" hat MIAB ein absolut unschlagbares Verkaufsargument auf die EP gepackt. Allein wegen dieses Stückes lohnt sich der Erwerb von "Shades Of Gray", vereint es doch alle Vorzüge dieses Ausnahmeprojekts: wunderbare Arpeggio-Linien, mächtige Basslinien und druckvolle Beats. Abgerundet von zwei Remixen von Master Mechanic (vor allem "The Death Of White" ist spitzenklasse) ist "Shades Of Gray" ein gelungenes Sequel zum grandiosen Album geworden.

Mit Filmen kennt sich auch George Kochbeck aus. Oder besser gesagt: mit Fernsehen. Schließlich gehört er zu einen der renommiertesten deutschen Serienkomponisten. "Balko", "SOKO Leipzig", "Wolffs Revier"...George lieferte den passenden Klang. Der Mann aus Gütersloh ist eine Bank, wenn es darum geht, Krimis mit entsprechender Musik zu bereichern. Daneben veröffentlicht er unter dem Titel "Short Stories" auch Kompositionen, die losgelöst sind vom TV-Universum. Natürlich lässt ihn aber diese Welt nicht los, und so hört man auch im dritten Teil viel von seiner Leidenschaft. Genauer gesagt könnten die Instrumentale auch für veschiedene (Fernseh)filme komponiert worden sein. "April Moves" beispielsweise klingt mit seinen Synthieteppichen und den entspannten Gitarrenlicks wie die Untermalung einer Traumsequenz, während "Cassette Drama" so sinister wie ein dystopischer Science-Fiction-Schinken daherkommt. Und "To Faye" könnte ein Historiendrama perfekt untermalen. So etwas zu schaffen - mittels Musik konkrete Bilder vor dem geistigen Auge aufflackern zu lassen - ist nicht allein mit Technik oder Handwerk zu schaffen. Dazu gehört auch Talent, mit dem der Komponist über Gebühr beschlagen ist. "Short Stories" ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn Kochbeck bleibt in bei den meisten Songs in einem Zwei-Minuten-Korsett, das er aber perfekt ausfüllt und man am Ende nie das Gefühl hat, die Miniaturen seien nicht zu Ende erzählt. Seine Vielseitigkeit, sowohl mit elektronischem, als auch mit klassischem Instrumentarium überzeugend umzugehen, belegt einmal mehr das enorme Wissen des mittlerweile 68-jährigen. "Short Stories 3" ist ein Album zum Abtauchen in die Weiten des eigenen zerebralen Lichtspielhauses.

Ebenfalls im Soundtrack beheimatet ist Ulrich Beutgen, der einen Teil der relativ neuen Formation Symphonic Noise Cult ausmacht. Der andere, nicht unwesentliche Teil ist Winus Rilinger, den man als Musiker von The Eternal Afflict kennt und der der Schwarzen Szene den Everblack "San Diego" in den frühen 90ern bescherte. Komplettiert mit einem Sänger aus den Staaten, dessen angeschmirgeltes Organ an eine etwas enigmatischere Version von Cyan, dem Frontmann von The Eternal Afflict, erinnert, schlagen Symphonic Noise Cult dezent den Weg dieser erfolgreichen Szeneband ein. Das liegt aber nicht daran, dass sie es darauf abgesehen haben, so zu klingen, sondern eher an der Tatsache, dass Rilinger und Beutgen einfach ihren Stil haben, den sie auf "Behind The Curtain" mit großer Spielfreude ausbreiten. Der dunkle Duktus der Platte ist Rilinger zu verdanken, während Beutgen einige scheinende Momente in die Stücke einbaut und sie davor bewahrt, in ein zu stereotypes Gothicformat zu fallen. Große Momente gibt es reichlich auf der Platte, die mit 16 Songs auch bis zum Rand gefüllt ist. Highlights sind sicherlich die sehr gelungene Coverversion der Stranglers-Ballade "Strange Little Girl" sowie die nicht minder interessante Inerpretation von The Cures "Lullaby". Aber auch das treibende "The Dirt We Are" oder "No Song For Lovers", dessen Fundament ein üppiger Electro-Rock mit 80er-Kante ist (an manchen Stellen ist man geneigt, an die Simple Minds zu denken) bleiben für länger im Gedächtnis. Auf "Behind The Curtain" demonstrieren die gestandenen Musiker ihr gesamtes Können und belegen, dass es nicht die große Innovation benötigt, um gehört zu werden. Manchmal reicht einfach nur eine unbändige Spielfreude.

Filme haben die Möglichkeit, dass Unmögliche wahr werden zu lassen. Eine etwas plumpe Überleitung zu dem, was Die Selektion aus Stuttgart machen. Denn die Band schafft es, scheinbar unvereinbare Elemente zusammen zu bringen. Knackige Electro- und EBM-Strukturen werden mit sehnsüchtigen Trompetenklängen von Hannes Rief vermischt, während Sänger Luca Gillian mit alertem Organ hochphilosophische Texte vorträgt. Geben wir dem Kind einfach mal einen Namen: Diskurs-Electro, natürlich angelehnt an die Hamburger Schule. Diesen Diskurs-Electro nun praktizieren Die Selektion bereits seit 2010 und auch unter tatkräftiger Mithilfe von Max Rieger, einer zentralen Größe in der Stuttgarter Subkultur (Die Nerven, All Diese Gewalt). "Zeuge aus Licht" ist der Nachfolger des bereits 2017 erschienen Zweitlings "Deine Stimme ist der Ursprung jeglicher Gewalt" und konzentriert die genannten Elemente einmal mehr auf sehr beeindruckende Weise in neun nonkonforme und doch eingängige Songs. Mal in bester DAF-Manier wie in "Der Katalog", mal mit einer großen Portion Achtziger-Gefühl, der "Drei Gesichter" geradezu unverschämt eingängig macht. Und dass man bei "Der rote Faden" an die frühe Sample-Technik denkt, ist sicherlich auch kein Zufall. Nur "Instrument" erlaubt sich, anheimelnd balladesk daherzukommen, ehe das abschließende "Mein Fundament (uns gehört die Welt)" einen Sog aus funkelnden Synthietupfern und somnambulen Trompeten bildet, das von knalligen Maschinenklänge zerschossen wird. Am Ende intoniert Luca unter breiten Synthieflächen: "Uns gehört die Welt, wir müssen sie uns nur nehmen." Das machen sie mit diesem Album zweifellos. Großes Kino!

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 17.10.23 | KONTAKT | WEITER: ROBERT SCHROEDER VS. LAMBERT RINGLAGE>

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