SWEET WILLIAM: VERÄNDERUNG ALS KONSTANTE
Es ist einfach so: Wer am lautesten schreit, bekommt die meiste Aufmerksamkeit. Wo die Show am spektakulärsten ist, versammeln sich die Menschen recht schnell, um sich von diesem, bisweilen faulen, Budenzauber vereinnahmen zu lassen. Denn oftmals täuscht das optische Tamtam auch über etwaiges Unvermögen an anderer Stelle hinweg. Das ist um so bitterer, als dass nicht wenige hochtalentierte Musiker mit wesentlich bescheideren Mitteln nie die große Aufmerksamkeit erhalten werden.
Es tut daher Not, als Zuhörer und Konsument den Blick von den pompösen Headlinerauftritten abzuwenden und hinter das Blendwerk aus zuckenden Stroboskoplichtern und farbenfrohen Scheinwerfern zu blicken. So landet man schnell bei Gruppen und Musiker/innen, die im allgemeinen Taumel nur wenig bis gar nicht gehört werden und permanent unter dem Radar von Presse und Szenegängern fliegen. Unprätentiös aufgespielt und nur mit dem Ziel, der Kunst an sich zu dienen, entsteht hier Wahrhaftiges, das vor allem sich selbst genügt.
Schließlich ging es Oliver Heuer nur um eins, als er im Oktober 1986 beschloss, Sweet William zu starten: "Als wir anfingen, war für mich schon relativ früh klar, dass die Musik ein wichtiger Teil meines Lebens sein würde." Sie sei sogar ein Grundbestandteil seines Alltags – wie essen, trinken und schlafen. Da spielte es auch keine Rolle, dass er von der Materie noch wenig Ahnung besaß und lediglich mit einer "verstimmten, geliehenen Akustikgitarre" zusammen mit Bodo Rosner am Bass und Schlagzeuger Marius Nagel melancholischen Rock und Wave für sich entdeckt hat.
"Wir haben autodidaktisch einfach drauf los gespielt. Wenn ein Stück dabei herauskam, wurde es mit einem Kassettenrecorder aufgenommen, um es sich dann zuhause hundert Mal anzuhören." Da die Ergebnisse keinem studiotechnischen Standard entsprechen, hat Oliver sich dazu entschieden, elf Songs aus der Sweet-William-Ursuppe rauszusuchen, um sie unter professionellen Rahmenbedingungen zusammen mit Marius Nagel neu einzuspielen. "The Early Days 1986-1988", welches letztes Jahr erschienen ist, offenbart die Band als astreine Schwarz-Rocker, die tatsächlich auf Augenhöhe mit The Mission, Bauhaus, Red Lorry Yellow Lorry oder Sisters Of Mercy waren.
Am grundsätzlichen Trial-And-Error-Verfahren, wenn es an die Realisation der Stücke geht, hat sich bis heute nicht viel geändert. "Wenn mich eine neue Idee nicht nach ein paar Versuchen packt, dann hat es keinen Sinn, damit weiter zu machen", beschreibt Oliver seine Vorgehensweise. "Dann mache ich lieber etwas Neues". Hinzu kommt, dass der Musiker so freigeistig wie nur was an jedes neue Werk herangeht und sich nicht gerne etikettieren lässt. Nach den Wave-Anfängen begannen die stetigen Häutungen von Sweet William, die das Experiment nicht scheuten und spätestens mit dem 1998er Werk "Show" in einen progressiven Rock-Stil mündeten - tönerne Kleinode in üppiger Überlänge mit arabesken Songverläufen inklusive. Vor drei Jahren - und damit pünktlich zum 30-jährigen Bandbestehen - kam "Time" heraus, das einerseits auf die New-Wave-Frühhase zurückblickt, aber gleichzeitig mit Streicherarangements und elektronischer Minimalarbeit zeitgenössisches Klangmaterial bereithält. Eine weitere Facette im Sound-Portfolio von Sweet William.
"Das erste Album 'These Monologues' war sehr geprägt durch Bands wie Joy Division, obwohl es immer schon so war, dass ich und auch die anderen Bandmitglieder sehr viele verschiedene Musikrichtungen gehört haben", erklärt Oliver die klangliche Breite der Gruppe. Doch nicht jeder konnte sich mit der künstlerischen Freiheit, die sich Sweet William selbst zugestand, anfreunden. Am allerwenigsten ihr Label Hyperium, das sich damals geweigert hat, "Show" zu veröffentlichen. "Ihr passt nicht mehr in unser Konzept", sollen sie laut Oliver gesagt haben. "Da wir noch für ein weiteres Jahr vertraglich gebunden waren, dauerte es fast eineinhalb Jahre, bis das Album dann auf Dion Fortune erschien. Das wirft einen schon zurück." Schwer zu sagen, ob diese vierjährige Zwangspause zwischen "Show" und dem Vorgänger, ausgerechnet "Development Through The Years" betitelt, ein entscheidender Grund gewesen ist, weshalb Sweet William nie die ganz große Aufmerksamkeit erhalten hat. Förderlich jedenfalls war es nicht.
Trotzdem überwiegen für den Frontmann die positiven Ereignisse: "Wir sind zwölf Jahre lang durch Europa getourt – haben viel gesehen und lauter nette Menschen kennengelernt." Auch innerhalb der Band pflegt man einen freundschaftlichen Umgang: "Bei uns gab es nie eine längere Besetzung, bei der es unpersönlich blieb. Die so oft zitierte Chemie muss stimmen – sonst kann ich mit jemanden keine Musik machen. Im Endeffekt ist es immer noch wie 1986 – ich bin sehr dankbar, dass ich weiter diesen Beruf ausüben kann." Die Arbeiten gestalten sich indes sehr produktiv: Kaum ein Jahr vergeht, in dem Sweet William nicht etwas veröffentlicht - seien es nun reguläre Alben, Live-Mitschnitte oder Wiederveröffentlichung von Songs aus ihrem, scheinbar großen, Archiv.
Erfreulicherweise bringen Sie ihr Oeuvre immer noch an den Mann. Weltweit sogar. Zwar nur in kleinen, aber gleichbleibenden Auflagen. "Wir sind wohl seit vielen Jahre eine kleine Konstante in der Indie-Musikwelt", gibt sich Oliver bescheiden. Ob die zunehmende Digitalisierung und Verfügbarkeit im Netz ihrer Bekanntheit dienlich geworden ist, kann der Sänger schwer beurteilen. "Musik ist ein schnell konsumierbares Produkt geworden. Oft wird sie nicht mehr so wahrgenommen wie früher. Man kann ein Lied schnell skippen, wenn einem zum Beispiel das Intro zu lang ist. Ich glaube, das Album hat auch nicht mehr den gleichen Stellenwert wie zu Vinyl-Zeiten; da hat mich sich noch die ganze Platte angehört. Heute werden eher einzelne Lieder gestreamt oder gedownloaded. Aber so ist es halt." Da schwingt auch ein bisschen Wehmut eines Mannes mit, der in der Hochphase haptischer Tonträger, sei es nun Schallplatte oder Compact Disc, groß geworden ist.
Aber Oliver ist kein Mann, der hadert. Weder mit einer vermeintlich goldenen Ära im Rockbusiness, noch mit seinem eigenen Schicksal. "Es ist alles ok wie es gelaufen ist", resümiert er seine 33-jährige Beziehung zur Musik. "Es gab sicherlich Momente, wo man sich grösseren Erfolg erhofft hätte, aber wenn das zu bestimmten früheren Zeiten stattgefunden hätte, bin ich mir nicht sicher, ob das so 'gesund' gewesen wäre. Ich bin heute sehr froh, Musik auf diesem Niveau machen zu können. Wir haben ein tolles Label, alle musikalischen Freiheiten und können veröffentlichen wann wir wollen. Das alles in kleinen Auflagen – aber das ist schon ein Privileg."
Das Ende der Fahnenstange ist bei Sweet William also noch lange nicht erreicht: "Es wird die nächsten Tage ein Live Mitschnitt von einem Festival in Strasbourg in limitierter Auflage erscheinen", gibt Oliver preis. Und das ist nur ein Projekt, das dieses Jahr ansteht. "Momentan werden einige ältere Alben überarbeitet – viele Auflagen sind fast ausverkauft und wir werden einiges mit neuen Covern wiederveröffentlichen. Es gab letztes Jahr eine limitierte CD Box unserer 'Rarities'-Reihe, auf denen sich Studio Outtakes und unveröffentlichtes Material befinden. Auch diese erste Auflage ist ausverkauft. Es wird neue Rarities Alben geben und das alles auch wieder als CD Box – alle CDs im Vinyl Look." Das wichtigste aber ist: "Wir arbeiten an einem neuen Studio Album – ich denke das wird im Herbst erscheinen, wahrscheinlich auf Vinyl." Und da Veränderung die einzige Konstante in Sweet Williams Karriere - und wohlmöglich der wichtigste Grund für ihr langes Bestehen - ist, kann mit Fug und Recht behauptet werden: Langeweile wird nicht aufkommen.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.02.2019 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 2/19>
Webseite:
www.sweetwilliam.de
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