ISOLATION BERLIN "GEHEIMNIS" VS. ELSA "WELT IM PROFIL": HALLO, LIEBE LEIDENDEN!
Man ist geneigt, sich bei Isolation Berlin als Hobbypsycholge zu versuchen. Einfach, weil Sänger Tobias Bamborschke seine Song-Protgaonisten so anlegt, dass die Versuchung groß ist, autobiografische Züge ausfindig machen zu wollen. Nehmen wir also an, der Mann singt wirklich über sich und seine Gedanken, dann ließt sich das dritte Album "Geheimnis" wie das Psychogramm eines Mannes, der in dieser Welt nicht zurecht kommt.
Auch wenn er in "Private Probleme" und unter Zuhilfenahme nöliger Gitarren und drohender Pianolinien immer wieder beteuert: "Ich will nicht darüber reden", so scheint doch genau das Gegenteil der Fall zu sein. Und wo beginnt man bei der Problemsuche klassischerweise? In der Kindheit. Diese war wohl, mag man dem Song "Ich hasse Fußballspielen" Glauben schenken, lieblos und leistungsgebunden.
Die Eltern versuchen, den Filius zu einem starken Mann zu machen, während dieser mit der Pein leben muss, dass ihn "kein Schwein" beim Sportunterricht ins Team wählt, er alleine in der Cafeteria hockt und sich nicht mit den Hausaufgaben rumschlagen möchte. In dieser gefühlskalten Umgebung, die durch den pluckernden Drumcomputer und der Alleinunterhalterorgel sogar noch verstärkt wird und die bemitleidenswerte Loser-Geschichte fast schon plakativ dem Hörer ins Gesicht drückt, fallen die entscheidenden zwei Sätze: "Ich wünschte, alle wären tot. Oder wenigstens ein bisschen netter."
Es sind die ersten Frustrationen, die sich in der Schulzeit aufgebaut haben und sich im darauffolgenden Stück "Stimme Kopf" zur ausgewachsenen Gewaltphantasie vergrößern. "Da ist 'ne Faust in meiner Tasche, die will da endlich raus(...)Irgendwann rast' ich aus und dann lacht keiner mehr." Nun zieht Bamborschke natürlich nicht mit geladener Pistole durch die Stadt und knallt Menschen um. Aber er hat eine Waffe, und das ist die Musik, die im Vergleich zu den Vorgängeralben nun ausgefeilter und detaillierter daherkommt.
Und überraschender: Der Opener "Am Ende zählst nur du" kommt rein akustisch und geradezu romantisch-verträumt daher. Man hatte fast die Befürchtungen gehabt, Bamborschke und seinen Mannen wurden die Post-Punk-Zähne gezogen. Doch bei "Enfant Terrible" ist alles wieder gut. Beziehungsweise: nicht gut. Da geht es wieder um eine gestrandeten Persönlichkeit, die sich von seiner Freundin getrennt hat und nun die Welt verflucht. Der Szenerie nach zu urteilen, geht es um einen Sänger. Vielleicht um Bamborschke selber.
Am Ende des Albums ist aber das "Enfant terrible" zum "Enfant perdu" mutiert. Während ein in Hall gepacktes Klavier traurige vor sich hindudelt, wird ein Sänger beschrieben, der mal ein gefeierter Star war, aber mittlerweile in Vergessenheit geraten ist. Hier hofft man dann doch nicht, dass Bamborschke über sich und seine Befindlichkeiten singt, denn schließlich ist noch lange nicht Schluss für Isolation Berlin. Vor allem die schummrigen, vage an Velvet Underground erinnernden Songs "Geheimnis" und "Von einer der hier sitzt und Bleistifte spitzt" belegen, dass die Jungs noch einige musikalische Pfeiler im Köcher haben.
"Mitsingen und nachdenken" - das ist das Credo, nein, vielmehr die amtliche Präambel und verbindliche Handreichung an den Hörer, wenn er sich an die Songs von ELSA heranwagt. Denn im Gegensatz zu den Isolationsberlinern, betreiben ELSA auf ihrer EP "Welt im Profil" ein entfesseltes Spiel mit Worten und Bildern, deren Sinnhaftigkeit sich erst nach mehrmaligen Durchläufen erschließt.
In einem aufgerüschten Indie-Pop-Rock-Mix mit jeder Menge Achtziger-Flockigkeit skizziert das Ensemble um Sänger Pipo Fuhs nicht Geschichten, sondern Gefühlszustände und innere Beobachtungen eines Individuums, das in den 2020ern sein junges Erwachsensein analysiert. Hauptthema ist das soziale Medium, das in "Welt im Profil" als Ort der unerreichbaren Wünsche und grandioser Scheinliebe entlarvt wird. Doch geht es auch hier um mehr.
Der junge Mensch von heute ist umgeben von vielen Likes und Freundschaftsanfragen, von Insta-Fame und Bubble-Zugehörigkeiten. Doch wie es die Österreicher im Titelsong knackig auf den Punkt bringen: "Füll die Luft zwischen den Räumen, die so leer sind wie wir." Hinter der gephotoshoppten Fassade gibt es nicht viel zu entdecken. Doch auch das Nichts kann Stoff für Songs sein.
Was bleibt, ist das Feiern seines eigenen Scheiterns. Wenn es gleich zu Beginn von "Alles ist gone" heißt: "Ich wäre bestimmt engagierter, würde ich nicht jeden Abend ins Glas schauen", steht er wieder vor einem, der ewige Verlierer, der sich in dieser Gesellschaft nicht zurechtfindet, damit aber durchaus gut zurecht kommt und dadurch seine Existenzberechtigung definiert. In diesem Song, der so explizit wie selten auf der EP daherkommt, zeigt sich die Ambivalenz einer Generation, deren Gesinnung sich auch in der letzten Bundestagswahl widerspiegelt.
Denn bei den Erstwählern haben vor allem die FDP und die Grünen die meisten Stimmen erhalten - unterschiedlicher könnten die Ansichten also nicht sein. Zwischen leistungssüchtigen Jungunternehmern skalierbarer Start-Ups und mahnenden "Fridays For Future"-Aktivisten, findet sich der Twentysomething in einer Situation wieder, die es ihm schwer macht, die richtige Entscheidung zu treffen. Eins steht nur fest: Es muss etwas getan werden.
"Wir warten auf gar nichts" proklamieren Elsa daher am Ende von "Kind" und mit druckvoller Geste. Dieser Satz ließt sich wie die eigentlich unvereinbare Zusammenführung aus Resignation und Aktionismus. In diesem Satz findet sich all die Hoffnungslosigkeit gegenüber der Elterngeneration, die eine kaputte Welt hinterlassen hat, aber auch der Wunsch nach Veränderung, nach der Beendigung des Stillstands. Ein "weiter so!" darf es nicht mehr geben.
Die Songs von "Welt im Profil" wachsen über sich hinaus und werden zum Spiegelbild einer Generation, die teilweise ziemlich "lost" zu sein scheint, sich aber dennoch zurechtfinden wird, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Im Gegensatz zu Isolation Berlin, bei denen die Wut über die deprimierende Gesamtsituation deutlich hörbar ist, geben sich ELSA zurückhaltender und feinfühliger. Doch leiden und daran ein Stück weit verzweifeln, das können beide sehr gut.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 02.11.21 | KONTAKT | WEITER: NEU SIERRA VS. MARISSA NADLER>
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Cover © Staatsakt/Bertus/Zebralution (Isolation Berlin), Assim Records/Rough Trade (ELSA)
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