KIRA MCSPICE "THE COMPARTMENTALZATION OF DECAY" VS. ABBEY MASONBRINK "RISING": LEIDEN UND WIE DAMIT UMZUGEHEN SEI
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Der künstlerische Akt ist ein intensiver, bisweilen ein schmerzvoller. Denken wir nur an Marina Abramovics legendäre "Rhythm 0" - Performance von 1974 in Neapel. Die Künstlerin stand regungslos im Raum, auf einem Tisch waren 72 Gegenstände, unter anderem Trauben und Honig, aber auch ein Rasiermesser und ein geladener Revolver, mit denen die Zuschauer sechs Stunden lang Handlungen an ihr ausüben durften. Nach und nach wurden diese hemmungsloser - sie wurde sexuell übergriffig berührt, ihre Kleider zerschnitten. Jemand ritzte die Haut an ihrer Kehle und leckte das heraustretende Blut ab; schließlich hielt jemand die Pistole an Abramovics Kopf, den Finger am Abzug. Es entstand eine hitzige Atmosphäre in denen sich zwei Gruppen bildeten: Die einen wollten die Künstlerin beschützen, die anderen sie weiter als Objekt nutzen. "Wenn du alles dem Publikum überlässt, dann kann es dich töten", so ihr Resümee.
Kunst ist bei dieser Frau eine körperlich-psychische Grenzerfahrung gewesen. Das ist bei Kira McSpice und ihrem superben "The Compartmentalization Of Decay" ähnlich zu bewerten, ihr innerer Antrieb ist jedoch ein anderer. Denn Kira ist Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden. Das allein ist die Triebfeder führ ihre Musik, in der sie sich dem Thema aber auf einer anderen Weise nähert. Sie "überschüttete", wie sie es nannte, dieses fürchterliche Ereignis mit Metaphern und setzte es so stark verklausuliert in Szene.
"The Compartmentalization Of Decay" bildet dabei den Versuch, sich dieses schlimmen Ereignisses zu entledigen. Die Intention versteckt sich im Titel: "Compartmentalization", zu deutsch: Abschottung. Kira versucht, über ihre Kunst, das erlebte Grauen zu verarbeiten, wohlwissend, dass sie dieses Thema immer wieder beschäftigen wird. Das Leid und der Schmerz versteckt sich in den ätherischen Songs, in denen Kira teiweise elbengleich singt. Ihr durchdringendes Organ lässt erahnen, mit welcher Intensität sie ihre Lieder eingesungen hat. Kira selbst bezeichnete die Arbeiten am Album als Form einer Therapie, in der sich auch der Schmerz erneut offenbart. Während der Aufnahmen habe sie durchgehend schlecht und unruhig geschlafen.
Sie hat das Album gemacht, aber das Album hat auch etwas mit ihr gemacht. Dies überträgt sich auf die Hörerschaft, die von den anschwellenden Akkorden von "Knife Like A Spile" und der zwischen Katie Stelmanis von Austra und Kate Bush sich bewegenden Stimme, gefangen genommen werden. Jedes ihrer Stücke wandert zwischen größter Innerlichkeit ("Blackfly" arbeitet mit einer ähnlich ruhigen Bass-Arpeggio-Linie wie New Model Armys "Ballad") und expressionistischem Furor (exemplarisch steht dafür "To Lead Me Home", dass in seinem redundanten Anfang den Vibe von Laurie Andersons "O Superman" in sich trägt, ehe ein Klangsturm losbricht und alles niederzureißen droht).
Die Platte erzählt vom Leiden, ohne es direkt zu benennen, aber man fühlt den Schmerz und das sich bedingungslose Öffnen der Sängerin gegenüber der Emotion wie auch gegenüber der Hörerschaft. Dass diese nach den letzten Takten erschöpft und vielleicht auch verstört versucht, das Gehörte zu erfassen und zu verstehen, ist mit Sicherheit beabsichtigt. Kira McSpice will, dass man sich mit ihr als Künstlerin und mit ihrer Kunst auseinandersetzt. "The Compartmentalization Of Decay" findet dafür buchstäblich die richtigen Töne.
Ebenfalls hat es sich Abbey Masonbrink zum Ziel gesetzt, ihr erstes Album "Rising" nicht als kleinen musikalischen Happen für Zwischendurch zu konzipieren. Rein musilaisch betrachtet eine Mammutaufgabe, denn als Banjospielerin hätte die aus Kansas stammende Musikerin sicherlich schnell in einen folkloristischen Duktus fallen können, oder einen sehr beliebigen und zig mal gehörten Americana, Bluegrass oder Folk aufs Tablett bringen können.
Stattdessen hat sie einen sehr schlauen Trick angewendet. Mittels diverser Halleffekte und beigemengter Electroklänge verändert sich die Stimmung ihres Instruments. Auf einmal wirkt das Banjo eher wie aus einem unbekannten Land. In Verbindung mit verhallten Geigen, Synthietupfern und einem angenehm im Hintergrund agierenden Schlagzeug, wird der amerikanische Sound dekonstruiert und in eine surreale Welt gepackt. Abbey fügt sich der Musik auf "Rising" (bei denen übrigens Ryan und Robert Pope von den Get Up Kids mitmischen, letzterer im wahrsten Sinne des Wortes: Er produzierte auch Kiras Erstling) mit einem schnörkellosen, aber dennoch eindringlichen Gesang, der wie in "Goodnight" spannend dezente Verfremdungen sogar verträgt.
Dass wir es hier mit einem außergewöhnlichen Album zu tun haben würden, belegt gleich der Opener "Can You Hear Me" bei dem sich bereits die musikalische Matrix von Abbey Masonbrink in voller Pracht entfaltet. Das Banjo wird selbstvergessen gezupft, während lamentierende Geigen ein Gefühl von großer Melancholie heraufbeschwören. Zwar bleibt die Musikerin ihrem leicht mystifizierten Dark Folk treu, gönnt sich aber immer wieder kleine experimentelle Ausflüge. Da wird bei "Smoke Rising" die Stimme auch mal durch elektronische Hilfsmittel als Instrument umgefruchtet, mit dem sie dann dezent aber wirkungsvoll hantiert.
"Ride" hingegen zeichnet sich durch eine stoische Rhythmussektion aus, über die das Banjo redundant und psychedelisch rollt. Wie bei allen Songs auf "Rising", bewegt sich auch diese Nummer in einem sehr traumwandlerischen Modus. Dabei sind die verhandelten Themen alles andere als traumhaft. Abbey befasst sich auf ihrem Album mit verschiedenen Forrmen des Leidens, die sich auf allen Leben der menschlichen Existenz abspielen. Deren Schmerzen kann sie vielleicht nur erahnen, schafft es aber dennoch, sich behutsam diesem Sujet zu nähern.
Ihre Songs wirken dabei wie kleine safe spaces, in denen sich die geschundenen Seelen einen Moment erholen können. "Don't Look Back" bildet dabei eine der für das Album programmatische Nummer. Stets ist der Blick bei Abbey Masonbrink nach vorne gerichtet, wobei ihre Musik die leise Verzweiflung der momentanen Situationen eingedenkt. "Rising" ist Schmerz, Trost und Hoffnung zugleich - und vielleicht eine der schönsten Banjo-Alben überhaupt.
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