BLUE BUTTER POT "JEWELS & GLORY" VS. ¡PENDEJO! "TOMA" VS. ADRIAN SUTHERLAND "WHEN THE MAGIC HITS": AUF DER ANDEREN SAITE - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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BLUE BUTTER POT "JEWELS & GLORY" VS. ¡PENDEJO! "TOMA" VS. ADRIAN SUTHERLAND "WHEN THE MAGIC HITS": AUF DER ANDEREN SAITE

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Dass wir anhand der aktuellen Technik und mithilfe von diversen Softwareprogrammen in der Lage sind, ein komplettes Orchester aus dem Rechner zu ziehen, ist schon eine feine Sache. Doch Synthesizer haben einen Nachteil: Sie sind zu perfekt. Kein Schlag liegt neben dem Takt, jeder Klang tritt perfekt aus den Boxen. Kurzum: Es fehlt das menschliche Moment.

Das Gegenteil davon ist eben ein handgemachter Sound, der mit ganz viel Seele und teilweise aus der Improvisation heraus geboren ist. In dieser Sache besonders plakativ geworden ist "Jewels & Glory" der französischen Blue Butter Pot. Bei ihnen rockt und rollt es nämlich ganz gewaltig. Im Kern sind die beiden Musiker Ray Bonnet und Olivier Le Normad zwei waschechte Blues-Rocker, die ganz offen ihre musikalische Sozialisation ans Revers geheftet haben.

Man muss sich einfach nur die Ouverture zu "To Each His Own" anhören: So viele indirekte und direkte Zitate aus der Rockgeschichte (beispielsweise das markante Riff von Ten Years Afters "Love Like A Man") zum Besten zu geben, belegt die Leidenschaft des Zweiergespanns für den immer etwas leicht überheblich wirkenden Langhaar-Rock aus den 1970ern. Doch einfach nur nachmachen wäre langweilig.

Bei "Jewels & Glory" ist diese Spielart der E-Gitarren-Musik daher nur Ausgangspunkt für weitere Expeditionen. Vor allem gesanglich ereignet sich einiges auf der Platte, weil Blue Butter Pot sich gerne auch mal im Rap versucht und damit entfernt an die Red Hot Chili Peppers erinnert. Dazu kommt noch ein bisschen ZZ-Top-Breitbeinigket und die für Garage typisch angezerrten Vocals.

Vor allem wissen die Jungs aber mit ihren Instrumenten umzugehen und ihnen Melodien zu entlocken, die sich ohne Umwege in die Gehörgänge einnisten und einen nicht mehr loslassen. Der shuffelige Rhythmus beispielsweise bei "Proxy Living", oder die brodelnden Gitrarrenläufe, begleitet von einer Route-66-Mundharmonika bei "To Each His Own". Und dann ist da noch das cool-bluesige "Bad Sides", das sich über acht Minuten von einem introvertierten Track zu einem wahren Rockmonster entfaltet.

Mit "Jewels & Glory" möchte man das Duo auf jeden Fall überhäufen angesichts dieser überaus gelungenen Platte, die in Zeiten immer knapperer und aufs Wesentliche reduzierten Popsongs das nötige Gegengift versprühen und sich an sprudelnden Soli laben.

In erbrechender Regelmäßigkeit müssen wir uns darauf gefasst machen, dass Bands auf einmal den unglaublichen Drang verspüren, fremde Kompositionen in ihr Repertoire aufnehmen zu müssen. Was folgt, sind die allseits geliebt-gehassten Coverversionen. Ihr Gelingen hängt von dem Ideenreichtum der Interpretierenden ab.

Jüngst zeigte beispielsweise Depeche Modes Dave Gahan, wie es nicht geht. Er hat Metallicas "Nothing Else Matters" in ein in ein komatöses Electro-Waber-Gedöns verpackt und darüber so gleichmäßig spannungsarm gesungen, dass man befürchten musste, dass er gleich vor dem Mikrofon einschläft.

Dann doch lieber die Idee der spanisch singenden Niederländer von ¡Pendejo!: Sie haben sich auf ihrem aktuellen Album "Toma" Metal-Klassiker wie "Wrathchild" von Iron Maiden oder "The Wizard" von Black Sabbath zu Eigen gemacht. Das bedeutet in ihrem Fall: Sie kleiden die Nummern in klassische Hard- und Stoner-Rock Gewänder und setzen on top energetisch eingespielte Blechblasinstrumente ein, die den Nummern einen Hauch Mariachi verleihen.

Diese Mischung funktioniert auf musikalischer Ebene und wird um einen weiteren Exotikfaktor bereichert: ¡Pendejo! haben die Texte auch in spanisch umgedichtet. So entsteht aus den einstigen Klassikern der Rock-Geschichte sehr eigenständige Interpretationen, die es zu hören wert sind - vor allem live dürften solche Stücke sämtliche Konzerthallen zum Einsturz bringen.

Welche unbändige Kraft ¡Pendejo! nämlich auf die Bühne entfalten, lässt sich auch auf "Toma" ansatzweise erahnen. Die zweite Hälfte des Albums besteht nämlich aus Live-Versionen ihrer eigenen Songs. Und da merkt man sofort, dass die Jungs es lieben, vor Publikum zu spielen. Wie sehr dürften sie anhand der momentanen Situation daher darben. Aber nicht nur sie, sondern auch die Fangemeinde, die sich seit ihrem 2010er Debut "Cantos A La Vida" stetig vergrößert - insbesondere in Spanien und Lateinamerika. Sie würden ihre "Heroes" sicherlich gerne wieder mal sehen. "Toma" ist in dieser Hinsicht da zwar nur ein kleines Trostpflästerchen, aber besser als nichts.

Nach all dem großartigen Schweinerock wenden wir uns einem Mann zu, der es sich offenkundig auf die Fahnen geschrieben hat, mit seiner Musik Geschichten zu erzählen, die von leichter Melancholie, großer Euphorie, stillen und aufregenden Momente, aber auch von gesellschaftlichen Problemen handeln. Adrian Sutherlands Solo-Debüt "When The Magic Hits" ist dabei das Ergebnis seiner bereits einigen Jahren andauernden Karriere als Musiker, Buchautor und Aktivist.

Aufgewachsen in Attawapiskat First Nation an der James Bay in Kanada, ist er als Bewahrer indigener Kulturgüter aufgetreten (er beherrscht auch die dortige Sprache Mushkegowuk Cree perfekt) und mit einigen Musik-Awards ausgezeichnet. In seiner Heimat weltberühmt, erlebt ihn der Rest des Erdenballs nur sporadisch; in Deutschland hatte er 2019 einen Auftritt auf dem Reeperbahnfestival, der allerdings soll sehr fulminant absolviert worden sei.

Würde man einen seiner Songtitel zur Beschreibung seiner Person heranziehen, könnte man Adrian Sutherland als "Politician Man" bezeichnen, obgleich in diesem Song nicht von sich selbst singt, sonderm die Machthaber anruft und sie direkt fragt, wann es endlich für die Bevölkerung besser wird. Die und andere, mal persönlichere, mal allgemeingültigere Stories verpackt er in sehr entspannten Gitarrensound, der einem ein behagliches Gefühl vermittelt, während sich der Weltschmerz unterschwellig in die Kompositionen einschleicht. Das wird beim fulminanten Titelsong deutlich, vor allem aber bei der getragenen Nummer "Once That Was You", der in seinen junbilierenden Momenten an die frühen Tage der Bee Gees erinnert. Es ist das vielleicht schönste und intensivste Stück des Albums.

Dieser strahlt sogar derart stark, dass man darüber fast vergisst, dass es auf "When The Magic Hits" noch weitere wunderbare Nummern zu entdecken gilt. Vor allem "Respect The Gift", der extrem groovend die Gesellschaft dazu auffordert, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Denn: "You can't change the world, if you don't do your part". Ein wichtiger Gedanke, der all jene erreichen sollte, die meinen, dass sie alleine nicht viel zu verändern vermögen.

Die Revolution, so hat es damals auch Tracy Chapman gesungen, ist ein Flüstern, ein leises sich Dagegenaussprechen. Erst, wenn es alle machen, wird aus dem Flüstern ein bedrohlicher Lärm, der den "Politician Man" dazu zwingt, andere Wege einzuschlagen. Hierzulande hat sich nach der Wahl die Trendwende noch nicht abgezeichnet, aber solange es Künstler wie Adrian Sutherland gibt, die sich deutlich äußern (und auch genügend, die ihm zuhören), bleibt die Hoffnung bestehen, dass es mit der Welt eines Tages wieder bergauf geht.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 08.10.21 | KONTAKT | WEITER: EX LIBRIS "POTZBLITZ - 31+1 ERLEUCHTENDE LIEBESERKLÄRUNGEN AN MEINEN LIVECLUB">

Webseite:
www.thebluebutterpot.com
www.pendejoband.com
www.facebook.com/attaboyadrian

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COVER © ART FORCE ONE/BROKEN SILENCE (BLUE BUTTER POT), CHANCHO RECORDS (¡PENDEJO!), MIDNIGHT SHINE RECORDS/TIMEZONE (ADRIAN SUTHERLAND)

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