DUOPHONIC NOISE CONSTRUCTION "DISTORTED REALITY" VS. LA MACHINE "CONTRÔLE TOTAL": TRADITION TRIFFT INNOVATION
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Dass nun sowohl Vater als auch Sohnemann ein gemeinsames Projekt ins Leben rufen würden, war nicht unbedingt abzusehen. Denn üblicherweise versucht eine nachfolgende Generation einen eigenen Weg zu gehen, der sich bewusst von dem der Eltern unterscheidet. Doch Duophonic Noise Construction, wie sich Sevren und LMX zusammen nennen, ist die berühmte regelbestätigende Ausnahme. Mehr noch: "Distorted Reality" klingt von der ersten bis zur letzten Note, als habe kein Weg zwischen den beiden vorbeiführen können. Das Album wirkt in seiner Gesamtheit so schlüssig und homogen, dass man, selbst wenn man es nicht wüsste, dass hier Vater und Filius am Werk sind, glaubt, zwei Künstler zu erleben, die sich und ihre Musik sehr gut verstehen.
Wer nun welchen Part bei den insgesamt elf Songs übernommen hat, lässt sich nicht genau ausmachen, da die Stücke keine erkennbar solitäre Handschrift von einem der beiden besitzt. Es ist aber zu vermuten, dass die harshen, industriellen Rhythmen auf des Vaters Erfahrung in diesem Genre zurückzuführen ist. Die teils atmosphärischen Sounds sowie das hochdefinierte Klangbild lassen auf das moderne Wissen des Sohnes schließen. Anyway: Die Songs sind hörbar Produkte aus Tradition und Innovation. Schätzungsweise konnten beide auf "Distorted Reality" voneinander lernen.
Die gemeinsame Arbeit hat vor allem großartige Tanznummern hervorgebracht, die perfekt zwischen Eingängigkeit, Aggressivität und Melodik austariert sind, während sich in den Texten Gesellschaftskritik mit persönlichen Beobachtungen abwechseln und auf metaphorischer Ebene verhandelt werden. Mehr als um die Message geht es aber um das Sentiment. Wenn wie bei "Foreign News" der Refrain "We dig deeper, don't shoot the messenger" geradezu verzweifelt alert (und im Finale repetitiv) vorgetragen wird, geht es spürbar um Dringlichkeit, nicht um Moral.
Auch das peitschende "Shame" und "Privacy" triggern in erster Linie das Emotionszentrum (und massieren in zweiter Linie die Beinmuskulatur). So läuft "Distorted Reality" von Anfang bis Ende wie aus einem Guss aus den Boxen, ohne aber vorhersehbar oder gar monoton zu wirken. Vater und Sohn sind für sich schon respektable Musiker. Doch die Synergien, die sie als Duophonic Noise Construction freiwerden lassen, hievt beide auf ein neues Level. Bitte in Zukunft mehr von diesem Generationenprojekt!

So stammt auch "La Machine" im Original von Dani, einem Mannequin aus den 1960er Jahren. Als Teil der damaligen Yé-Yé-Bewegung in Frankreich, nahm der Minimalismus des Stücks und Dani aggressiver Gesang den späteren Punk bereits vorweg. La Machine verpasst dieser Nummer ein minimalelektronisches Gewand und macht aus dem anarchischen Zweiminüter einen dystopischen Electro-Soundtrack.
Denn darum geht es auf dem Debüt "Contrôle Total": mittels retrofuturistischer Stilmittel auf die menschlichen Schwächen verweisen und diese sichtbar machen. Daher auch das hohe Aufkommen von Coverversionen. Neben "La Machine" wurde auch "Vamos A La Playa" von Righeira in seiner Ursprungsversion neu interpretiert. Denn der vermeintliche Italo-Disco-Sommerhit entpuppt sich bei genauerem Hinhören als sarkastisch-apokalyptischer Song über das Leben nach der Atombombe.
Ebenso zeichnet "W454" eine entmenschlichte Gesellschaft, in der Menschen nur noch eine Buchstaben- und Zahlenfolge darstellen. Das Lied sang Michel Sardou bereits 1976 ein und grenzte den Anfang dieser Entwicklung um das Jahr 2000 ein. Sardou hat seinerzeit ein visionäres Stück zwischen Disco und pompösen Pop kreiert, das erschreckend nah an unserer Realität ist (ein Kind des Tech-Milliardärs Elon Musk heißt X Æ A-Xi - gut, es ist Elon Musk! Dennoch ist diese Entwicklung erschreckend).
Eigenkompositionen wie "Machineville", "Suture" oder "Invasion Humanoide" strahlen eine distanzierte, kraftwerk'sche Strenge aus und wirken wie aus einer Zeit, in der der nukleare Winter längst Einzug auf Erden gehalten hat. Doch ein Stück wie "F.F.P.2" wirft einem kritischen Blick auf die - gerade in Frankreich strengen - Ausgangskontrollen während der Corona-Pandemie und verweist dabei auf die bereits jetzt schon stattfindenden Veränderungen.
Nimmt man es genau, ist "Contrôle Total" das vielleicht deprimierendste Synthie-Pop-Werk. LA Machine klingen noch unmenschlicher als Kraftwerk. Eine Leistung, die man erst einmal hinbekommen muss. Doch gerade weil der Erstling so absolut vernichtend in seiner Aussage ist, besitzt es eine magnetische Anziehungskraft, die auch nach dem Hören des Werks weiter Bestand hat.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 25.04.25 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "GOING OUT OF MY HEAD - ADVENTURES ON THE INDIE DANCEFLOOR 1995-1999">
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