2/19: LMX, WIEGAND, WHITE LIES, IT'S FOR US, MOES ANTHILL - VERSCHWENDE DEINE MELODIEN
Fünf Alben, fünf verschiedene stilistische Ausrichtungen. Dennoch wirken sie wie aus einem Guss, wenn man sie ohne Unterbrechung anhören würde. Grund dafür sind die wundervollen Melodien, die sich die Musiker erdacht haben.
Bei LMX darf man noch ein klein bisschen mehr staunen. Denn das Projekt, welches mit "Dimension Shift" ein amtliches Debüt voll von prägnanter Elektronik in Chrom-Optik hervorgebracht hat, wird von einem 15-jährigen Talent geführt. Es handelt sich dabei um den jüngsten Sproß von Sevren Ni-Arb, der seinerseits mit seinem Projekt X Marks The Pedwalk schon lang kein Unbekannter in der Abteilung für elektronische Körpermusik mehr ist. Das Faible für treibende Maschinenklänge schlug also auch bei LMX nieder. Mit zwölf Jahren habe er laut Pressemitteilung bereits seine ersten Songs auf dem Smartphone kreiert. Später folgte ein kleines Studio in seinem Zimmer, wo sich der Reifeprozess seiner Ideen vollzog. Am Ende steht mit "Dimension Shift" ein wahres Monstrum von einem Album, das hypnotisch-kalt seine Sequenzen aus den Boxen schießt, während knackige Bässe und tonnenschwere Beats als stabile Fundamente der insgesamt elf Nummern dienen. Futuristisch kühl nimmt sich das Album aus, wie auch das Cover, das als Referenz auf die Musik von LMX zu sehen ist. Die Klarheit der Stücke wird durch die Architektur ihres Gerüstes aufgebrochen, zersplittert vor einem, um an anderer Stelle wieder zusammengesetzt zu werden. Flirrend-körnige Soundteppiche und vertrackte Rhythmen berühren auf Anhieb und ganz ohne Gesang. Ein wichtiger Beleg dafür, dass Sevrens Filius bereits mehr auf den Kasten hat, als so manch alt eingesessener Szene-Liebling. "Dimension Shift" weist in die Zukunft, die für LMX sehr verheißungsvoll zu sein scheint.
Manchmal dauert es aber mit dem ersten Album etwas länger. Helge Wiegand beispielsweise hat ebenfalls in Teenagerjahren damit begonnen, Songs zu schreiben. Doch sein Weg führte ihn erst einmal in die zweite Reihe des Musikbusiness. Als Live-Keyboarder bereicherte er in den letzten Jahren die Shows von Diorama und T.O.Y. In Kollegenkreisen ist sein Talent längst fraglos anerkannt; allein es fehlt das erste eigene Werk. An dieses hat sich Helge, dessen Nachname dann auch für sein Projekt herhalten sollte, im vergangenen Jahr gearbeitet. "Released" heißt es und birgt auch ein tiefseufzendes "endlich" in sich. Doch der Titel kann anhand der Stücke auch anders gedeutet werden. Denn "Released" bedeutet nicht nur "veröffentlicht", sondern auch "losgelassen", freier interpretiert "entfesselt". Und damit sind wir bei dem Kern aller Wiegand-Songs, die sich in puncto breitwandigem Electro-Pop nicht auch nur einen Jota zurückhält. So wird "Little Man" zur einer wunderbaren Hymne an den eigenen Sohn (der später sicherlich stolz darüber sein darf), während "Time" Wiegands eigene Jugend beleuchtet, getragen von einem treibenden Rhythmus und verhallten Gitarren, die an manchen Stellen eine federleichte Melancholie ob der vergangenen Zeit durchschimmern lassen. "Floating Away" hingegen lebt im Moment, sucht nach dem Glück in der Gegenwart. Dass "Released" schlussendlich in einer Reihe mit Veröffentlichungen von Alphaville, T.O.Y., Final Selection und Felix Marc zu stellen ist, verwundert angesichts seiner Vita nicht. So jubilierend und verschwenderisch ausgestattet zeigen sich aber die wenigsten seiner Zunft.
In Sachen tonaler Verschwendung geben sich die White Lies seit Jahren schon meisterlich. Ihr Debüt "To Lose My Life" von vor zehn Jahren hob den reanimierten Post-Punk auf ein stadiontaugliches Level und machte sie schlagartig berühmt. Ihr fünftes Album, sinnigerweise "FIVE" getauft, ist ein einziges, riesiges Ausrufezeichen, ein vor Selbstbewusstsein strotzender Status Quo. Andere Gruppen würden beispielsweise "Time To Give", eine siebenminütige Halbballade mit einem furiosen Synthiefinale, sicherlich erst als Endpunkt ihres Albums setzen. Nicht so die Londoner: Graniten steht da dieser Song und zeigt das Selbstverständnis einer Band, die sich im Laufe der Jahre eine eigene musikalische Sprache erarbeitet hat, die sich zwar immer noch an den melancholischen Wave-Sound der 80er anlehnt (so hört man bei "Never Alone" deutlich Killing Joke an die Tür klopfen), aber gleichzeitig mit jeder Menge Hall, großflächigen Keyboardstimmungen und melodieverliebten Gniedeleien viel Euphorie und Positivismus verbreitet. Auf dieser Grundlage lässt es sich natürlich vortrefflich experimentieren. "Kick Me" verlässt beispielsweise die sicheren Pfade in Richtung progressiven Bombast à la Pink Floyd. Diesen Exkurs meistern sie aber genauso lässig wie den wesentlich elektronischer ausgelegten Song "Tokyo", welches den momentan überpräsenten Synth-Wave amerikanischer Prägung kurz andeutet. Dass auf White Lies Verlass sein sollte, war klar. Dass "FIVE" dann aber doch mit so einer Macht über den Hörer rollt, war nicht abzuschätzen.
Nicht weniger mysteriös ist die Tatsache, dass in den skandinavischen Ländern regelmäßig einschneidend gute Veröffentlichungen das Licht der Welt erblicken - und das genreunabhängig. Dieses Mal dürfen sich Liebhaber klassischen Waves mit einnehmend schönen Frauengesang freuen. It's For Us zweites Werk "Stay" zeigt eine deutliche Weiterentwicklug zum Vorgänger "Come With Me" von vor rund zwei Jahren. Damals eiferten sie noch deutlich den großen Vorbildern wie Siouxsie & The Banshees hinterher. Mittlerweile kristallisiert sich aber eine eigenwillige Spielart der Stockholmer aus. Vielleicht liegt das auch an den persönlichen Schicksalsschlägen, die Sängerin Camilla Karlsson erleiden musste - von einer gescheiterten Beziehung bis zum Krebstod ihrer Mutter. Doch von allgemeiner Trauer ist auf "Stay" nichts zu spüren. Eher vermittelt das Werk so etwas wie eine Aufbruchsstimmung, ein sich Auflehnen gegen die Widrigkeiten des Lebens. Die echobelegten Gitarren fordern viel Raum, das Schlagzeug treibt die Stücke voran und darf sich in "Kaos" als Hauptakteur aufspielen und in "Curse" machomäßige Fills vom Stapel lassen. Auch "Stay" ist geleitet von einem melodiösen Moment, der mit großem Gestus ausgebreitet wird. "Dream Is Over" und das literarische "Catcher In The Rye" mögen exemplarisch für die Weiterentwicklung der Band stehen: Das Vierergespann gönnt sich zum lakonisch schwermütigen Post-Punk eine Prise Pop-Appeal. Das macht "Stay" bei aller manifestierten Tristesse nie zu niedergeschlagen.
Im besten Fall gelingt das Kunststück, die Tragödie des Lebens in einen geschmeidigen Pop-Song zu packen. In perfekter Weise gelang das Travis, als sie 2001 mit "The Invisible Band" einen Meilenstein leichtmelancholischen Indie-Pops veröffentlichten. Verwundern würde es nicht, wenn die Schweizer von Moes Anthill dieses Werk etwas genauer studiert hätten. Denn bereits der Opener "Retire, Restore" des vierten Albums "Quitter" wartet wie einst "Sing" mit einem tippelnden Banjo auf und zitiert damit auch Americana-Geschichte. Davon ausgehend entfaltet sich ein nach einnehmenden Melodien süchtelndes Werk, das sich bei "Yours Is Mine" anschmiegsam wie eine warmer Sommerregen anfühlt, nur um beim folgenden "Virtual World" aufmüpfig rockig-grungige Zitate anzuführen und in "No Name Brass Bands" verschleppten Garagen-Blues mit verlangsamten Bluegrass zu vermischen, der sich in ein Up-Tempo-Finale hochschraubt. Bei "Quitter" stimmt vieles, wenn nicht sogar alles. Das mag auch daran liegen, dass Mario Moe Schelbert die Devise ausgegeben hat, die Songs nach dem Motto "Alle Mann in die Studiokabine" aufzunehmen. Die Dynamik, die sich aus dem gemeinsamen Spiel ergibt, wird auch bei "Quitter" deutlich. Das mittlerweile vierte Album wird es übrigens in verschiedenen Ausführungen geben - darunter eine spezielle Box mit einem Comic und einem Bart-Öl(!). Die Tragödien des Lebens lassen sich zwar nicht verhindern, aber stilvoll überstehen.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 15.02.2019 | KONTAKT | WEITER: JUNGSTÖTTER "LOVE IS">
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wiegandmusic.bandcamp.com
www.whitelies.com
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www.moesanthill.com
Covers © Meshwork Music/Al!ve (LMX), recordJet (Wiegand), Pias/Rough Trade (White Lies), Novoton (It's For Us), Tourbo Music/Timezone (Moes Anthill)
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