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KIM WILDE "KIM WILDE", "SELECT", "CATCH AS CATCH CAN": ES BLEIBT IN DER FAMILIE

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[image:image-1]Bekanntermaßen ist es für die nachkommende Generation immer schwierig, aus den Schatten der Eltern zu treten, wenn diese als beliebte Personen der Öffentlichkeit eine immense Strahlkraft besitzen. Im besten Fall gelingt es, sich vom Familiennamen zu lösen und eigene Pfade zu betreten, im schlimmsten Fall zerbrechen diese Menschen daran und geraten auf die schiefe Bahn. In der Regel jedoch können die meisten "Promi-Sprösslinge" ein arriviertes Leben führen, da ihr Name viele Türen öffnet, sodass sie sich in allen Feldern ohne Existenzängste ausprobieren können.

Bei Kimberly Smith allerdings lief alles ein bisschen anders. Denn sie stammt ebenfalls aus einem Musikerhaushalt, wobei die Popularität ihres Vaters Reginald Leonard Smith aka Marty Wilde dann doch überschaubarer war. Als Rock'n'Roller beschränkte er sich Ende der 50er vor allem auf Coverversionen von bereits etablierten Ami-Nummern wie Ritchie Valens' Edelschnulze "Donna" oder "A Teenager In Love", im Original von Dion & The Belmonts. Das bescherte ihm zwar einige Top-Ten-Einträge in England, ein Nummer-Eins-Hit blieb ihm allerdings verwehrt, von internationalen Erfolgen ganz zu schweigen. Seine Popularität reichte jedoch aus, das Kimberly sich seinen Künstlername borgte und als Kim Wilde ebenfalls ins Musikbiz einstieg.

In späteren Interviews mit den beiden wird deutlich, dass diese Familie einfach nicht anders kann als Musik machen. Neben Vater Marty wurde auch noch Ricky Wilde, Kims Bruder, ins Boot geholt, um der Sängerin zu einer erfolgreichen Karriere zu verhelfen. Mit der Wederveröffentlichung der ersten drei Alben "Kim Wilde", "Select" und "Catch As Catch Can" via Cherry Red Records werden jene Werke, die das Familienunternehmen Wilde größtenteils gemeinsam erdacht haben, nochmals und mit viel Bonusmaterial veröffentlicht (Anmerkung: die DVDs dieser Editionen lagen der Redaktion nicht vor; ihre Besprechungen entfallen daher)

Dass die damals 21-jährige mit ihrer blonden Löwenmähne und den schmolligen Glosslippen jedem Backfisch stylisches Vorbild und manchem Jungen sicherlich auch Projektionsfläche für romantische Abenteuer war, ist nur die eine Seite der Medaille. Auch das präzise Songwriting aus dem Hause Wilde darf nicht außer Acht gelassen werden. Denn hier offenbart sich eine gute Auffassungsgabe des Vater-Sohn-Gespanns, die die sich damals anbahnenden Trends erkannt und aufgegriffen haben.

So vermittlet das Debüt "Kim Wilde" bereits ein klares Profil: Die Speisereste vom abgeflauten Punk zusammenkratzen, das ganze mit ein wenig Glam-Rock vermengen, viel kantige Synthies dazugeben, und am Ende auf maximales Pop-Appeal achten. Klingt alles ein bisschen wie vom Reißbrett - und wenn man mal ehrlich ist, unterschieden sich die Stücke vor allem in ihrem Arrangements kaum. Selbst die identischen Keyboard-Klänge wurden in verschiedene Stücke und über die Alben verteilt angewendet.

Das Produkt Kim Wilde wurde klar abgesteckt und als britisches Pendant zur rebellischeren Debbie Harry, die bald als Aushängeschild ihrer Band Blondie die männlichen Bandmitglieder in den Schatten stellte, hochgejazzt. Doch ganz gleich, welche Marktstrategien gegriffen haben, um die Sängerin bekannt zu machen, ist ihr Erfolg vor allem auf das kongeniale Songwriting von Wilde senior und junior sowie auf Kims markanten Stimme begründet.

[image:image-2]Europa und auch Amerika zeigte sich entzückt von der wilden Kim und ihrer Erfolgssingle "Kids In America", die es geschafft hat, Pop sexy und rebellisch wirken zu lassen. Das erste Album zeigt sich dann auch ganz klar als Spiegel seiner Zeit - spritzig-perlende Synthielinien, nassforsches, nach vorne gelagertes Schlagzeug und groovige Bassläufe inklusive. "Water On Glass" hätte demnach auch ein Simon Le Bon von Duran Duran singen können, während "Everything We Know" aufgeweichtes Reggae-Feeling versprüht und "2-6-5-8-0" mit einer Ska-Bläsersektion einmal mehr das Image einer unangepassten, selbstbewussten, jungen Frau pflegt.

Von solchen Experimenten verabschiedete man sich bereits beim 1982 veröffentlichten Nachfolger "Select", das einmal mehr wie ein Schwamm die aktuellen Strömungen aufsaugt, um daraus etwas eigenes zu gestalten. Die wild'sche Soundästhetik wurde einmal mehr verfeinert, sodass gerade dieses Album wie aus einem Guss und in sich noch geschlossener klingt. Dass es "View From A Bridge" und "Cambodia" als Singleauskopplungen geschafft haben, mag einfach nur Zufall sein. Songs wie "Ego", "Action City" oder "Chaos At The Airport" hätten ebenfalls das Zeug dazu gehabt.

Wobei "Cambodia" besonders textlich heraussticht. Die Geschichte der Frau eines Militärpiloten, der nach Kambodscha für einen Einsatz fliegen muss, von dem er aber nicht wieder kommt, belegt, dass Wilde auch mit ernsten Themen umgehen und sie glaubwürdig im Pop-Rahmen verhandeln kann.

Allerdings hat ihr Heimatland bereits ein bisschen die Lust an Kim Wilde verloren. Vielleicht, weil zu diesem Zeitpunkt auch jede Menge andere weibliche Popsternchen um die Gunst der Hörerschaft buhlten. Vielleicht aber auch, weil die Hitfabrik Wilde sich in ein - zugegeben immer noch recht ansprechendes - künstlerisches Vakuum geschrieben hat. Die Erfolge im Rest von Europa gaben ihr aber bislang noch Recht.

Dass der dritte Wurf "Catch As Catch Can" anno 1983 aber in England ein derartiger Flop wurde (das Album schaffte es auf einen mageren 90. Platz und hielt sich nur eine Woche in den Charts), kann man nur auf eine nachlassenden Kreativität von Marty und Ricky zurückführen. Denn um gerade nicht Gefahr zu laufen, die x-te Version von "Kids In America" zum Besten zu geben, suchte man nach neuen stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Ergebnisse waren die Auskopplungen "Love Blonde", eine jazzig swingende Cool-Cat-Nummer, sowie "Dancing In The Dark", ein Stück, das ausnahmsweise nicht aus der Wilde-Feder stammte und eine absolute Hinwendung zum tanzbaren Pop markierte. Sehr zum Ärger von Kim allerdings, die diesen Song als nicht gut geschrieben empfand.


Kommerziell war der Drittling ein Desaster, aber nicht musikalisch. Das wäre reine Übertreibung. Jedoch zeichnete sich im Zuge einer musikalischen Neuausrichtung eine gewisse Orientierungslosigkeit ab. Stücke wie "Sparks", "Back Seat Driver" und "House Of Salome" wollten noch hörbar an die alten Strukturen andocken, das sechsminütige, wabernde "Dream Sequence", die schmalzige Nummer "Stay Awhile" oder das etwas düstere "Shoot To Disable" brechen etwas zu schüchtern in andere Gefilde auf. "Catch As Catch Can" war das Album einfach nicht, da viele Stücke mehr Frage- als Ausrufezeichen hinterließ und gegen andere, klarer strukturierte Pop-Alben nicht ankam.

[image:image-3]In den neu aufgelegten Versionen finden sich teilweise unveröffentlichte Demoaufnahmen, Maxi- und Alternativ-Versionen sowie B-Seiten und Remixe, die das Gesamtbild vervollständigen und vor allem bei den Neuabmischungen einige kleine Überraschungen bereithalten. Vor allem Luke Mornay hat mit seiner Version von "Kids In America" ein kleines Wunder vollbracht, indem er die alten Tonspuren mit frischen Beats so weit aufpoliert hat, dass er erkennbar bleibt, aber sich der musikalischen Gegenwart behutsam annähert.

Neutrophics Version indes verpasst der Nummer einen Hardstyle-Techno-Anstrich. Und selbst diese komplette Ummodelung funktioniert, weil der Song so stark ist, dass er auch eine Verfrachtung in ein völlig anderes Genre aushält (man erinnere sich nur an die völlig durchgeknallte Version der Bloodhound Gang!). Nicht minder erfolgreich an "Cambodia" verdingt hat sich Matt Pop, dem eine klassische Maxi-Version gelungen ist, die, hätte es sie damals gegeben, sicherlich auch veröffentlicht worden wäre. Damals begnügte man sich lediglich mit einer angehängten "Reprise" des Songs.

Während in ihrem Heimatland das Interesse an ihr abnahm, konnte sie vor allem im deutschsprachigen Raum noch einige Erfolge feiern. Erst 1988 schaffte sie mit dem Album "Close" noch mal ein europaweit anerkanntes Album, ehe in den 90ern kaum noch Erfolge zu verbuchen waren. Während ihrer Schwangerschaft widmete sich Kim Wilde, die eine ausgebildete Landschaftsgärnterin ist, wieder der Gartenarbeit, was ihr schließlich den Job als Moderatorin einer Gartensendung im britischen Fernsehen einbrachte.

Die Musik hat sie aber nie aus den Augen verloren. 2003 überraschte die Britin mit einem Duett mit der NDW-Prinzessin Nena ("Anyplace, Anywhere, Anytime"), 2018 erschien Wildes letztes Album "Here Come The Aliens", das sie zusammen mit Bruder Ricky in den RAK Studios aufgenommen hat. Der Spirit von früher scheint bei diesem Album wieder durch, "Kim Wilde", "Select" und "Catch As Catch Can" stehen aber nachwievor symbolisch für den typisch schroffen Mix aus Pop, Wave und Elektronik, der nur in dieser Zeit, als Punk die Hörgewohnheiten komplett auf Links gedreht hat, funktionieren konnte und deswegen zu den besten Veröffentlichungen der goldblonden Engländerin und ihrer Familie gehören.


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 27.01.20 | KONTAKT | WEITER: ALICE BOMAN "DREAM ON">


Webseite:
www.kimwilde.com

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