LA MACHINE "VAMOS A LA PLAYA" VS. THE OVERLOOKERS "VIDEODRAMA": SYNTHÉTISEURS SUPÉRIEURE
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Man kennt das ja: Da tanzt man beschwingt zu einem Song und achtet dabei gar nicht auf den Text, der einem sprichwörtlich hinten durch die Brust ins Auge sticht. Gern zitiertes und beredtes Beispiel ist Frank Zappas "Bobby Brown", das immer noch unerschrocken in den Radios gespielt wird. Dabei handelt der Song von einem frauenverachtenden Sexprotz, der durch die Emanzipation zu homosexuellen Praktiken Zugang gefunden hat. Der "Tower Of Power" als Stuhl mit Dildo auf der Sitzfläche, und der "Golden Shower" als Anspielung auf das Lustempfinden, wenn der Partner auf einen uriniert, dürfen ohne Zensurpiepen im Radio fröhlich vor sich hindudeln.
Keinesfalls explizit, aber in seiner Aussage durchaus nachdenklich stimmend, ist der Gassenhauer "Vamos A La Playa" der italienischen Formation Righeira. Zwar ist ihr dahingeschmetterter Refrain mit anschließendem "o oho o ho" zwar durchaus sommerfestkompatibel, aber die Strophen malen ein ganz anderes Bild. Die Atombombe ist explodiert, die Fische sterben, die Strahlen verbrennen die Haut. Das trübt doch die maritime Freude ungemein.
La Machine stülpen diesen Umstand nun nach außen und machen ihn auf ihrer zweiten EP "Vamos A La Playa" offensichtlich. Ihr Song ist die Klang gewordene Radioaktivität: Die brodelnden Bässe, das minimale Umherwabern der Sequenzen, dazu singt Eric U0 geradezu teilanhmslos, ganz so, als sei aus dem einstmals malerischen Strand, zu dem uns der Song hinzitiert, eine verödete Steppe. Das Projekt hat den (nuklearen) Kern der 40 Jahre alten Proto-Italo-Disco-Nummer freigelegt und damit auch das letzten bisschen Rimini-Feeling ausgelöscht. Konsequenterweise verbieten sich im Refrain dann auch die vokalen Schlachtengesänge.
Dabei rufen La Machine lediglich die Ur-Version des Sommerhits wieder ins Gedächtnis. Denn bereits 1981 kam der Song erstmals auf dem Markt und ist in seiner ganzen Atmosphäre der dystopischen Stimmng des Textes näher dran als die umgearbeitete Version.
Bereits mit ihrer vorherigen EP "La Machine Qui Ne Sert À Rien" haben sich La Machine erfolgreich an die Neuinterpretation einer Fremdkomposition gewagt. Mit "Vamos A La Playa", der auf der EP auch als französische Version zu hören ist, beweisen sie einmal mehr ihr Faible für eine gelungene Coverversion. Doch Eric und sein Kompagnon Pierre Pi besitzen genügend eigene Ideen, wie man bei der "B-Seite" "Réacteur 4" unschwer erkennen kann: Thematisch bleiben wir bei einer Reaktorkatastrophe, die aber in eine "Romance Atomique" verwoben wird. Scheint so, als sind bei beiden Musiker Kraftwerks "Radioaktivität" von ihrer DNA assimiliert worden.
Der heimliche Star ist allerdings ein anderer Song: das Instrumental "Rectangle". Ebenfalls eine Coverversion des in Deutschland leider sträflich unbekannten Denis Quilliard alias Jacno. "Rectangle" allerdings wird bei einigen für ein Aha-Erlebnis sorgen, denn die Melodie bildet die Basis für den unkaputtbaren Radiosong "La Passion" von Gigi D'Agostino. La Machine verbeugen sich mit ihrer Version vor einem ganz großen Musiker, der eigentlich die gleichen Weihen wie Jean-Michel Jarre hätte empfangen müssen.
Nach "La Machine Qui Sert À Rien" und "Vamos A La Playa" wird die Vorfreude auf das kommende Album "Contrôle Totale" ins Unermessliche gesteigert. Dieses Projekt bleibt ein Hinhörer im Jahre 2023.
Vier Jahre früher haben The Overlookers ihren ersten Testballon in Form eines wunderbaren Albums namens "Teenage Wet Dreams" gestartet. Damals ging es um die nicht unspannende Frage, wie sich Rock'n'Roll angehört hätte, wenn Elvis Presley und Konsorten anstatt der Gitarre die Synthesizer für sich entdeckt hätten. Eine rein hypothetische Frage, denn in den 1950ern war elektronische Musik im Embryonalstadium und in der Popkultur gar nicht bekannt, obgleich einige Musiker bereits anfingen, mit elektronischen Klänge zu experimentieren. Music concrète nannte sich das damals und hatte einen schweren Stand, denn heute so anerkannte Komponisten wie Philip Glass oder Steve Reich galten damals als "Soundbastler", man sprach ihnen jegliche kompositorische Fähigkeit ab.
The Overlookers ficht das aber nicht an. Sie haben sich eine eigene Welt erschaffen, in denen es von "Moogadillacs" wimmelt, verchromten Straßenkreuzern mit einer deutlich futuristischeren Note. Ihr zweites Album, "Videodrama" betitelt, deutet schon an, dass The Overlookers einen Zeitensprung wagen, und zwar "back to the future". Der Nachfolger verortet sich mittlerweile in den 80ern, was rein musikalisch Sinn macht. Schließlich ist ihr synthetischer Klang eher mit dieser Dekade verbunden als mit den Nachkriegsjahren.
Der Kontakt zu La Machine ist ebenfalls gegeben. Nämlich bei "Cast Away Your Sorrow". Denn dort heißt es im Refrain "'cause everything tonight is gonna burn so bright. We will die tonight anyway". Ist da auch wieder die böse Atombombe im Spiel? Oder haben wir es mit einer Abwandlung von "Dance With Tears In My Eyes" von Ultravox zu tun, in dessen Video es um einen Reaktorunfall geht? Wie man es auch sehen mag: The Overlookers sind mit ihren Songs und den - natürlich allgemein gehaltenen - Texten in den hedonistisch bis nihilistischen 80ern angelangt.
Klanglich bleiben sich Sänger JB Lacassagne und Musiker Cerature_XY weiterhin treu und bringen dem Hörer einen hypermelodiösen Synthie-Pop näher, dessen Verbindung zur skandinavischen Electro-Szene unverkennbar ist. Dankenswerterweise haben uns The Overlookers aber gleich noch im Klappentext der CD aufgelistet, wer denn so alles Inspirationsquelle für "Videodrama" war. Die Auflistung überrascht nicht wirklich: John Carpenter, David Cronenberg, Stephen King, John Hughes, Rob Lowe und Don Johnson. Man sieht die Schulterpolster vor dem geistigen Auge vorüberziehen.
Fette analoge Synthesizersounds wie sie bei "Song For A Loser" exemplarisch aufgefahren werden, gehören zum guten Ton von "Videodrama", das sich gar nicht erst anschickt, in irgendeiner Weise modern zu klingen und dennoch viele Details beherbergen, die klar machen, dass wir es mit einer aktuellen Produktion zu tun haben. Und wie eins beim Vorgänger "Teenage Wet Dreams", ist auch diese Langrille mit einem fulminanten Song zum Ende des Albums beschenkt worden: "Once I Had A Feeling" kommt mit einer wunderbar sphärischen Akkrodfolge im Gepäck, die tausend kleine Sterne am Nachthimmel aufleuchten lassen. Ein wunderbares Kleinod und ein würdiger Abschluss eines Albums, das sich überhaupt nicht wichtig nimmt und gerade deswegen zu den wichtigsten des Jahres zählt.
Zusammen mit La Machine hat Boredomproduct zwei ganz und gar "unlangweilige" Veröffentlichungen getätigt, die einmal mehr Frankreichs Vormachtstellung in Sachen elektronischer Klangerzeugung manifestieren. Chapeau, meine Damen und Herren: C'ést magnifique!
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 04.08.23 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "COME TOGETHER">
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
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