2/25: LO-FI MELANCHOLIA FOR KIDS, ROST UND KNOCHEN, RIO OBSKUR, ANDREAS LIEBERT - INS NEUE JAHR RÜBERGERETTET, ZWEITER TEIL - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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2/25: LO-FI MELANCHOLIA FOR KIDS, ROST UND KNOCHEN, RIO OBSKUR, ANDREAS LIEBERT - INS NEUE JAHR RÜBERGERETTET, ZWEITER TEIL

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Aus dem beschaulichen Dumfries im südlichen Schottland stammt Lo-Fi Melancholia For Kids. Dahinter steckt der Musiker Adam O'Sullivan, der sich bereits mit einem anderen Projekt vor knapp einen Jahr anschickte, eine ganz eigene Version von Shoegaze und Dream Pop zu realisieren: Japan Review. Das Album "The Slow Down" war eine nicht zu verachtende Platte. Nun ist der Musiker mit seinem neuen Unternehmen auf den Spuren schäbiger Sounds, denen er eine leichte Melancholie entlockt. "Lo-Fi Melancholia" im Bandnamen ist daher für bare Münze zu nehmen.  O'Sullivan lässt dumpf-dröhnende Elektronik mit hohem Klirrfaktor aus den rudimentären Maschinen purzeln, teilweise von einem prähistorischen Computerbeat begleitet ("Under Green Discount Light"). Adams verzerrter wie verträumter und leicht schiefer Gesang klingt unter dem ganzen melodischen Indie-Krach seltsam warm und dicht am Hörer. Das Album mit dem monumentalen Titel "Because, Everyone Is Wrong About Everything All The Time" strahlt eine wohlige Hoffnungslosigkeit aus, zu der sich bisweilen sogar recht gut das Tanzbein schwingen lässt ("The Arrow" und "Isolate" stehen diesbezüglich ganz vorne in der Reihe). Seine großen Momente hat "Because,..." jedoch in den ruhigen Momenten, ganz besonders bei "Ragland", das mit sanft angeschlagenen Pianoakkorden, dezenter Elektronik und einer verhallten Gesangsspur alles zur Ruhe kommen lässt und bewusst macht, das auch in der größten Traurigkeit eine ästhetische Schönheit innewohnt.

Ebenfalls der Redaktion schon bekannt ist das Kölner Duo Rost und Knochen, deren Start ja nicht schlechter hätte laufen können. Ihren Erstling "Endlich Regen" veröffentlichten Christopher Tworuschka und Marco Pascarell mit Beginn der Pandemie. Damals noch eher ein punkig angehauchtes Liedermacheralbum, wandelte sich der Sound zunehmend in einen schroff-alternativen Sound, den sie mit Geige und Drumcomputer generieren. Dieser eigenwilligen Mischung werden gesellschaftskritische Texte beigemengt, die im Laufe der Jahre immer zugespitzter und dringlicher wurden. "Kein Eisbär" aus der letzten Kleinveröffentlichung "Liebe geht raus" hat den Grauzone-Klassiker "Eisbär" perfekt auf die derzeitige Situation einer Welt im Klimawandel umgedichtet. "Die Einsamkeit Is A Hell Of A Drug" präsentiert nun drei weitere Stücke, die musikalischen Furor und verbale Rotzigkeit zu einem großen Klumpen Misanthropie verkneten. Die Poesie kommt dabei nicht zu kurz, auch wenn sie einem die Faust direkt ins Gesicht drückt: "Ich sehe so gerne Menschen am Dating Fleischerhaken", kommentieren sie das heutige Kennenlernen via Tinder und ähnlicher Apps. Der Mensch liegt "im Warenkorb" anderer Menschen. Ein Bild, das zum Nachdenken anregt, während der gegeigte Punk teilweise an die Frühphase von Ultravox! (damals noch mit John Foxx am Mikro und dem "!" im Namen) erinnert. Auch "Kette", das bratzige Gitarrenriffs offeriert, mahnt die Gleichförmigkeit unserer Gesellschaft an. Laut Verklappungstext auf Bandcamp handelt es sich um Songs, die es auf keine andere Veröffentlichung von Rost und Knochen schafften. Gott sei Dank sind sie auf "Die Einsamkeit Is A Hell Of A Drug" vereint. Wäre schade gewesen, wenn diese starken Stücke ungehört geblieben wären.

Mit Sicherheit ist es kein leichtes Unterfangen, ein derart beackertes Feld wie das des Cold Wave nochmal wie eine blühende Wiese aussehen zu lassen. Die Wiener Künstlerin Marion Ludwig aka Rio Obskur gelingt aber genau das. Das liegt vor allem an der Musikerin selbst, die ihrem nebulösen Sound mit einer wandelbaren Stimme begegnet, die irgendwo zwischen Anja Huwe (Xmal Deutschland), Andrea Mothes (Nichts), Toyah und Annette Humpe zu verorten ist. Auf ihrer vierten EP "Hommage" breiten sich eiskalte Synthieflächen aus, während Marions Organ mit ordentlich Halleffekten belegt wird, sodass auch sie zu einem ätherischen Wesen mutiert, das über Kontrollverluste und Konflikte singt - oder besser gesagt: meditiert. Vor allem "Rückschritt, bitte" verhandelt in nicht mal zwei Minuten die Fremdbestimmung des Individuums durch den gesellschaftlichen Optimierungswahn. "Stahl Trennt Nebel" ist - bei aller EBM-Ästhetik, die der Titel verspricht - ein perfekt wabernder Wave-Track, bei dem auch Marions performatives Talent zum Vorschein kommt. Dabei werden Sentenzen wie "die Isolation gibt mir Kraft" (aus dem Song "Camera Obscura") jedem Schwarzkittelträger Freudentränen in die kajalumrandeten Augen schießen lassen. Rio Obskur ist eine neue musikalische Kraft, die sich in naher Zukunft hoffentlich einen großen Hörerkreis erspielen wird. "Hommage" jedenfalls bietet vier perfekt arrangierte Songs, die nicht einen Moment angestrengt oder inspirationslos klingen. Bitte, bitte, bitte: mehr davon! Gerne auch in Albumlänge.

Doch treten wir nun aus dem Dunkel ins Licht. Dort erwartet uns Andreas Liebert, der zwar nicht weniger melancholisch unterwegs ist als die vorherigen besprochenen Künstlerinnen und Künstlern. Doch verpackt er seine Tour de Tristesse in einen sonnigen Indie-Pop-Sound, der sich ganz klar an die Hamburger Schule anlehnt, während Andreas' Duktus bisweilen an den von Peter Brugger von den Sportfreunden Stiller gemahnt. Doch wo der Germeringer Musiker in einen quäkigen Ton verfällt, bleibt Liebert geschmeidig und warmherzig. Natürlich geht es in den vier Stücken seiner EP "Mondlandung" um zwischenmenschliche Beziehungen, die sich in der Regel schwierig gestalten oder gar zum Scheitern verurteilt sind. Die Wahl der Bilder allerdings sind beim Musiker sehr subtil angelegt. Bereits "Fernsehturm" lässt den Sendemasten (mutmaßlich aus Berlin) als Mahnmal urbaner Einsamkeit erscheinen. Dysfunktionale Beziehungen finden sich auch bei "Morgens um vier", wenn er wortgewandt von der "Einsamkeit des Rückens an Rücken" singt. Man fühlt sich ein bisschen wie in einem deutschen Arthouse Film in schwarz-weiß, der zu später Stunde auf Arte läuft. Die Vergänglichkeit einer Beziehung, aber auch des Lebens sind Lieberts Sujets. Im Titelsong wird dieses schwere Thema mit Wehmut und Nostalgie verhandelt. "Der Summer of '69 war dein letzter", reißt es den Hörer brachial aus dem fluffigen Song. Liebert sinniert über die geschichtlichen Ereignisse, die der "viel zu kurz Vater" gewesene Mensch verpasst hat. Das Lied sticht von hinten durch die Brust ins Auge. Wenn am Ende eine kleine Träne kullert, war das vom Sänger sicherlich einkalkuliert.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 31.01.25 | KONTAKT | WEITER: TIMBEAU "SENSITIV">

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Covers © Astrodice Records (Lo-Fi Melancholia For Kids), Rost und Knochen, Rio Obskur, Helloiam (Andreas Liebert)

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© ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014

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