11/21: DTORN, KONVOI, DISTANCE DEALER, SYLVAN, HISDOGBINGO - DER SONNE ENTGEGEN
"Die Rede ist entsichert und Worte sind im Magazin". Torsten Schneyer, der bereits bei der Metal-Formation Adversus in epochalen Stücken das Leben mit all seinen Fallstricken besang, geht nun ein weiteres Mal wortgewaltig ans Werk. Sein Soloprojekt DTorn taucht einmal mehr in die Abgründigkeit des Lebens ab und kredenzt für die passende Musik für seltsame Gestalten mit Vogelnester auf den Köpfen, schwarze Kutten auf ihren Leibern und Pikes an den Füßen. Ob es daran liegt, dass der Mann sich in Leipzig, dem Weltschmerz-Hotspot und trotz zweimaligen Ausfalls des Wave-Gotik-Treffens immer noch Gruftie-Mekka, niedergelassen hat? Jedenfalls atmen Stücke wie "Der leere Rahmen" oder "Sturmruhe" den Geist der Neuen Deutschen Todeskunst, weswegen Vergleiche mit Bands wie Das Ich und Goethes Erben durchaus nahe liegen. Allerdings klaubt das selbstbetitelte Debüt aus so ziemlich allen Ecken und Enden des dunkelmusikalischen Kosmos alles nötige zusammen: Mal hier einen kleine Synthielinie, mal da eine Schalmei mit Tamburin, mal dort eine schluchzende Geige. Dass trotz dieses eklektischen Arbeitsansatzes "DTorn" nicht zerfleddert, liegt auch an Torsten selbst, der seine Texte in theatralischer, expressiver Manier vorträgt und damit Dreh- und Angelpunkt der Kompositionen bleibt. Man merkt dem Album den DIY-Charakter an, manche Songs hätten vielleicht noch ein etwas ausgewogeneres Soundbild gebraucht. Aber das sind nur Kleinigkeiten, die dem gelungenen Hörerlebnis nicht im Wege stehen sollten. Auch optisch ist diese Veröffentlichung ein Highlight. Werft mal einen Blick auf die vom Musiker selbst gestaltete Special Edition.
"This is the life, harsh and unkind". Da schwingt nicht gerade die unbedingte Lebensfreude bei den Wahlhamburgern von Konvoi mit. In der Tat ist ihre erste, selbstbetitelte EP eine Ton gewordenen Verzweiflung an der eigenen Existenz. Sänger und Gitarrist Philipp Oppenhäuser legt in jede Note Frust und Wut im Übermaß hinein. Dazu erschaffen Schlagzeuger Yannick Hausmann und Bassist Fritz Kröber ein dystopischen Sound, der sich deutlich an die Alt-Heroen des Post-Punk anlehnt, aber in keiner Sekunde auch nur den Anschein macht, tumber Mitläufer zu sein. Gerade mal drei Stücke umfasst die EP, die sich aber nachhaltig und mit voller Wucht in die Gehirnwindungen der geneigten Hörerschaft einrammen. "Dwa", "Patient Boy" und "You Fail Me" steigen alle auf ein hohes Energielevel ein und können dieses bis zum Schluss halten. Oppenhäusers Texte verwahren sich aber einer klaren Interpretation, lassen in ihrer Symbolik und Allgemeingültigkeit mehrere Deutungen zu. Sicherlich ist aber eines: Konvoi gehen nicht mit der Gesellschaft und ihren dogmatischen Lebensentwürfen konform. Ihr Sound ist wie der Beton einer Großstadt im tiefsten Winter: grau, kalt, lebensverachtend. Aber die katatonische Dringlichkeit und der musikalische Alarmismus, der in diesen drei Songs auf die Spitze getrieben und mit einer bemerkenswerten Raffinesse betrieben wird, lässt den Rückschluss zu, dass Konvoi zwar am Leben verzweifeln, sie aber nicht aufgeben. Ein schnelles, extrem existenzialistisches Werk einer Band, von der hoffentlich in Zukunft noch sehr viel mehr zu hören sein sollte.
Der nächste Newcomer ist eigentlich gar keiner. Distance Dealer ist ein fruchtbarer Zusammenschluss aus Alexander Donat und Thiago Desant. Der eine kommt aus Deutschland und hat bereits mit seiner Band Vlimmer in der hiesigen Cold-Wave-Szene eine kleine aber feine Fangemeinde aufgebaut. Der andere ist Brasilianer und besticht als Phantoms vs Fire durch eine ganz eigene Mischung aus Synthwave, moderner Klassik und Ambient. Ihre Zusammenarbeit hat das Werk "Mind Dawns" hervorgebracht, ein bockstarkes Debüt, das die musikalische Beschlagenheit Thiagos und Alexander schmachtendes Organ, das Parallelen zu The Cures Robert Smith aufweist, perfekt zusammenbringt. Ihre Synergien machen "Mind Dawns" zu einem schwer greifbaren Werk. In seiner melancholischen Grundstimmung ist es ein Cold-Wave-, respektive Post-Punk-Album. Die flirrenden Synthiespielereien lassen aber ein überzeugtes Pop-Verständnis vermuten. So gelingt einem Song wie "Hit By A Brick" das Kunststück, authentisch "gothic" zu sein, obwohl jede Menge Elektro-Pop durch die Adern dieses Tracks fließen. Dazwischen lebt sich das Duo aber innerhalb seiner gesteckten Grenzen voll aus. Da stolpert im Titelsong das Schlagzeug ziemlich hektisch umher, wird in "Bloom Or Doom" verschwenderisch mit gefilterten Crashs hantiert, so das die Nummer etwas sehr Entrücktes erhält und brodeln tiefergelegte Arpeggi in "A Lack Of What?". Die Gedanken sind bekanntlich frei. Das schien wohl die Triebfeder von Distance Dealer gewesen zu sein, deren Erstling man als überaus gelungen bezeichnen kann. Hoffentlich war dies keine einmalige Kollaboration.
Im Zuge der Digitalisierung des Musikmarktes hat das Album als Veröffentlichungsformat deutlich an Wichtigkeit verloren. Ganz zuschweigen von der künstlerischen Sonderform des Konzeptalbums. Ganz verschwunden ist es aber nicht, und dieser Tage haben Sylvan aus Hamburg mit "One To Zero" ein ganz besonders Schönes veröffentlicht. Das Quartett hat sich eine Geschichte rund um eine künstliche Intelligenz ausgedacht, die aus ihrer Sicht erzählt wird - vom Beginn seiner Existenz in "Bit By Bit" und "Encoded At Heart" über den Beginn seines Selbstbeuwsstseins und den damit verbundenen Fragen nach seinem Schöpfer, dem Menschen. Der innerliche Kampf dieses Wesen tariert Sylvan geschickt aus, setzt die Elektronik als Stellvertreter der A.I. ein und schafft traditionelles Instrumentarium für die Seite der Menschen herbei. Mit "Not A Goodbye" muss auch die künstliche Intelligenz einsehen, dass der Mensch alles um sich herum zerstört. Sylvan nutzen den Progressive-Rock als Basis für den Transport dieser Geschichte, bringen mit ausgeklügelten Rhythmen und üppigen Soli die Filigranität in die Musik zurück. Dabei sind sie natürlich von den großen Pink Floyd gar nicht so weit entfernt, bleiben aber soundtechnisch nicht in den 1970ern hängen, sondern bringen auch dezente Nu-Rock-Momente in die Kompositionen ein. Und die künstliche Intelligenz? Die geht schlussendlich unter Surren und einem undefinierbaren Warp-Sound wohl den Weg allen Irdischen. Eine der intelligentesten Platten in diesem Jahr und nicht nur für Prog-Rock-Fans, sondern für alle, die auf stimmungsvolle Klangbilder stehen.
Mit unserem letzten Album verlassen wir kurzzeitig die bekannten UNTER.TON-Pfade und geben uns HisDogBingo hin. Mastermind Stephan Greminger himself hat uns angeschrieben. Ein neues Album habe er herausgebracht. Wie es klingt? Worum es geht? Keine Angaben. Diese ungenauen Informationen mag manchen Schreiber in die Flucht jagen. Doch bei UNTER.TON wird ja jede Zusendung angehört. Und im Falle von HisDogBingo ist die Überraschung richtig groß. Das, was da auf "Lazy Boy" zu hören ist, kann man gar nicht so richtig greifen. Greminger ist ein großer Soundsammler, bringt entspannt seinen Titelsong über die Bühne, der aber auch einen gewissen zappa'schen Humor besitzt. Ganz anders dagegen kommt "Dissonant People" daher, welches wie eine Verdichtung des gesamten Oeuvres von Leonard Cohen anmutet. All diese Schummrigkeit währt abur nur kurz, ehe sie mit den Beats und Synthies von "Hold Back Your Tears" vom Tisch gefegt werden. Und so geht es bei "Lazy Boy" unentwegt zu: Hier darf alles, was im Bereich intelligent gestrickter Popmusik einst Erfolg hatte, gerne erneut auftreten. Mit dem abschließenden "Silly Moon" entspannt sich der "Lazy Boy" auf sehr distinguierte Art und Weise. Zwar nervt der Autotune ein wenig, aber man nimmt Nähe zu einem weiteren großen Exzentriker der Popmusik wahr: David Sylvian, sowohl als Vorsteher der Band Japan, als auch als Solist über alle Zweifel erhaben. Greminger alias HisDogBingo vereinigt so viele Genialitäten in seiner Musik, klingt dabei aber stets sehr cool und lässig. Eine schnafte Scheibe.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 02.07.21 | KONTAKT | WEITER: HOTEL CALIFORNIA "ORANGE">
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Webseiten:
www.dtorn.de
konvoiband.bandcamp.com
www.facebook.com/distancedealer
www.sylvan.de
www.hisdogbingo.ch
Covers © Dtorn, Mechanik_ (Konvoi), Blackjack Illuminists (Distance Dealer), Gentle Art Of Music/Soulfood (Sylvan), Kekse Produktion (HisDogBingo)
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