LEICHTMATROSE VS. KARIES VS. AUA AUA: NA ALSO, GEHT DOCH! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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LEICHTMATROSE VS. KARIES VS. AUA AUA: NA ALSO, GEHT DOCH!

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Ironischerweise war es ein Chemiker, dem dieses einmalige Zitat zugesprochen wird: "Die Kunst darf alles" soll der Münchner Professor Ernst Otto Fischer gesagt haben. Schade, dass sich gerade in der deutschsprachigen Musik wohl kaum einer diesen Aphorismus zu Herzen nimmt. Schließlich fahren seit einiger Zeit die meisten Deutschbarden mit textlich inhalts- und musikalisch blutarmer Stangenware satte Gewinne ein, verpassen aber die Gelegenheit, durch geistreiche Texte dem Deutsch-Pop mehr Tiefenschärfe zu verleihen.

So müssen eben andere den Karren aus dem Dreck ziehen, tun dies aber mit einer ansteckenden Freude. Wie Andreas Stitz, der als Leichtmatrose über die letzten Jahre einen unverkennbaren Stil herausgearbeitet hat. Bereits mit seinem ersten Album "Gestrandet" von 2009 hat er seine Passion für schwierige Themen, die er in schlagereske Chansons verpackt und textlich feinfühlig darbringt, unter Beweis gestellt. Man höre sich nur mal "Sexi ist tot" an: Geistreicher und auch sarkastischer ist das Thema des medial angestachelten Schönheitswahns nicht verhandelt worden.

Mit "Heile Welt" packt er ein weiteres Mal den mit Seide beschlagenen Vorschlaghammer aus, lässt uns teilhaben an gescheiterten Randexistenzen ("Wenn es Nacht wird in Paris"), nimmt genüsslich seine musizierenden Kollegen, die ihre Seele für ein paar schnelle Euros verkaufen, in die Mangel ("Chill Indianer") und erfindet im bedrohlichen "So schmeckt es, frei zu sein" das Seemannslied neu.

Die große Stärke des Leichtmatrosen, neben der bildreich-expliziten Sprache, bildet dabei die musikalische Barrierefreiheit. Ganz egal, ob dabei der Sound nun konträr zum Inhalt des Songs steht ("Borderline" kommt in astreiner Andrea-Berg-Manier daher und wirkt dadurch noch heftiger) oder das Bild vertieft ("Raumpatrouille" beispielsweise schwebt mit bedächtigem Piano, wuchtigen Drums und viel Hall auf dem Gesang wie ein Astronaut im Orbit). Sicherlich dürfte das Know-How vom Neuzugang Rick J. Jordan, dem Gründungsmitglied von Scooter, einen nicht unwichtigen Beitrag dazu geleistet haben.

Fazit: Der ehemalige Protegée von Joachim Witt hat mit "Heile Welt" einmal mehr sein Profil geschärft und wirkt zynischer als je zuvor. Die "Heile Welt" ist beim Leichtmatrosen eine Mär, an die vielleicht nur noch die musikalische Süße manche seiner Nummern erinnert.

Wenn aber auch die letzte klangliche Freundlichkeit die Fliege gemacht hat und alle Gedanken sich dem gnadenlosen Rhythmus unserer Zeit beugen, dann sind wir bei den Stuttgartern von Karies angekommen. Ihr drittes Album nennt sich "Alice" - und eröffnet damit gleich eine Fülle von Assoziationen. In allererster Linie denkt man an den gleichnamigen Song von The Sisters Of Mercy, den Sänger Andrew Eldritch noch vor seiner stadionkompatiblen Goth-Rock-Zeit ersonnen hat und prototypisch für die Frühphase dieser Band steht, die mit Drumcomputern und reduziertem Instrumentarium eine beklemmende Atmosphäre geschaffen haben.

Derartig klaustrophobisch geht es bei Karies nicht zu. Dennoch wirken die Stücke im besten Sinne diffus und orientierungslos. Man nimmt es ihnen ab, ein Haufen junger Männer zu sein, die sich in der Welt nicht mehr zurechtfinden und ihren Existenzen dadurch Sinn geben, alles andere Existierende in Zweifel zu stellen.

Selbst das Label "Post-Punk" wird mit einem dicken Fragezeichen versehen und durch Songs wie "1987" konterkariert. Vocoder-Gesang und basssatte Trip-Hop-Beats? Das wird dem Puristen sauer aufstoßen! Aber: Heureka, es funktioniert! Es sind eben diese richtig gesetzten Innovationen in einem Album, das sich im Großen und Ganzen anachronistisch gibt und am gesamten Früchachtziger-Kanon von The Cure bis Joy Division, aber auch an Helden der NDW-Frühphase wie Palais Schaumburg mit Verve abarbeitet, aber sich nicht zu sehr in rückwärtsgewandter Nostalgie und "Früher-war-alles-besser"-Attitüde verfängt.

Nichts scheint Karies heilig zu sein. Auch - und vor allem nicht - die Sprache selbst. Das haben sie bereits auf dem Vorgänger "Es geht sich aus" eindrucksvoll demonstriert, und sie lassen es sich nicht nehmen, auch auf "Alice" die Semantik der Wörter auf Schleudergang zu bringen. "Bruch" ist ein Musterbeispiel dafür: Die Zeilen "Aufbruch. Wir stehen auf Bruch" oder "Wir sind Zusammenbruch" hallen innerlich nach und machen die Unschärfe unserer Sprache spielerisch sichtbar.

Um den Kalauer zu bemühen: "Alice" wirkt wie aus dem Wunderland - einem sehr grauen allerdings. Denn Karies sind der Post-Punk-Tradition verpflichtet, um sie aber gleichzeitig an ihren verkrusteten Stellen einzureißen und neu zu verputzen.

Ganze Gedankengebäude in Schutt und Asche zu singen, das schafft der Leipziger Jan Frisch mit seinem Projekt Aua Aua. Seine Singer/Songwriter-Kredibilität hat er bereits als Gitarrist in der Alin Coen Band unter Beweis gestellt. Sein aktuelles Projekt jedoch pfeift auf sämtliche Dogmen.

Veröffentlicht auf dem neu gegründeten Label Viel Erfolg mit der Musik (wie geil ist bitte dieser Name für eine Plattenfirma?), sieht Frisch Aua Aua als "experimentelle Singer/Songwriter-Formation". Konkret heißt das: "Alles Gut" jongliert wie wild mit verschiedenen Versatzstücken, läßt gleich mal im siebenminütigen Opener "Spät" eine krautige Aufgekratztheit à la Ton Steine Scherben aufkommen (was auch an Frischs Stimme liegt), nur um beim nachfolgenden, surrealstisch angehauchten "Was solls" Jazz-Anleihen in ein dissonantes Kakophonie-Korsett zu schnüren.

Aua Aua hat als Bandname also seine tiefere Bedeutung. Denn es tut beim ersten Hören enorm weh. Aber was schmerzt uns da so? Sicherlich ist es nicht ein unfähiger Musiker, der uns mit seinem übersichtlichen Talent auf die Nerven geht (denn das Gegenteil ist der Fall). Eher sind es unsere starren Hörgewohnheiten, die vom Bandleader mit Gewalt aufgebrochen werden. Erst wenn uns das bewusst wird, erkennen wir die Schönheit in der Vertracktheit, die beispielsweise "Mein Freund" besitzt. Mit gegenläufig angschlagenem Saiteninstrument fühlt man sich fast schon reggaemäßig beschwingt, ehe es mit wildgewordenem Schlagwerk in eine ganz andere Richtung läuft. Und das zweiminütige "AUA 7" gleicht mehr einer halluzinogen herbeigeführten Klangcollage, die fast schon an Krupps' "Stahlwerkssinfonie" erinnert.

Über der Musik darf aber auch nicht vergessen werden, dass Frisch etwas zu sagen hat. Und auch hier bleibt er seiner unangepassten Linie treu. Keine Refrains, keine Strophen, keine Reime. Heißt für den Hörer: absolute Konzentration! Denn man darf sich nie sicher sein bei Aua Aua; irgendwo lauert wieder der nächte textliche Hakenschlag.

Dennoch wird schnell deutlich, was Jan Frisch will. Weg von der Bräsigkeit der Menschen, hin zu tief empfundener Leidenschaft. So beschreibt der Titelsong die Begegnung des lyrischen Ichs mit einer anderen Person. Die redundante, fast somnambule Beteuerung, alles sei gut und das Leben wunderbar, wirkt eher gegenteilig. "Da ist doch etwas faul", mag einer da denken. Aua Aua lässt das Ende jedoch offen. Auch "Die Party", ein proggig angehauchter Song, zeigt den Protagonisten, der sich ein ums andere Mal entschuldigt, nicht zu eben jener Feier zu kommen. Durch die Musik wird dieser eigentlich unscheinbare Moment extrem verdichtet und zu einer Parabel für verpasste Möglichkeiten und Kritik am lauwarmen sich Durchwurschteln durch unser Leben. All das muss man sich als Hörer aber erarbeiten. Aua Aua schenken einem in dieser Hinsicht nichts.


Zugegeben: Es ist utopisch zu glauben, Leichtmatrose, Karies und Aua Aua würden die deutschsprachige Musik revolutionieren und in ihren Grundfesten erschüttern. Aber es tut gut zu wissen, dass es da draußen noch Künstler gibt, die sich nicht in grönemeyer'scher Schwurbel-Lyrik verlieren und eigene musikalische Pfade betreten, um die heimische Musiklandschaft wieder ein Stückchen interessanter zu machen. Man muss eben nur wollen, dann klappt das auch!

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 01.11.2018 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 10/18 >

Webseite:
www.leichtmatrose.eu
kariesband.blogspot.com
www.auamusik.com

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Cover © Believe Digital/Soulfood (Leichtmatrose), Thischarmingman/Cargo Records (Karies), Viel Erfolg mit der Musik/Broken Silence (Aua Aua)

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