EWIAN: "OHNE SUBKULTUR KEINE KULTUR" - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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EWIAN: "OHNE SUBKULTUR KEINE KULTUR"

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Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Deshalb wird die alternative Pose in unserer über-individualisierten Gesellschaft nach wie vor heiß gehandelt: “Anders-Sein”, das ist mittlerweile auch eine gern genommene Schublade – und in seiner dumpf kommerzialisierten Form Erfolgsgarant für hirnbefreite Reality-TV-Denker oder unsagbar kunstferne Casting-Popper. Gehirn aus, alternativer Modus an. Da freut es natürlich, wenn sich dann plötzlich – in sicherer Distanz zur Kaugummi-poppigen Freakshow – echte Alternative(n) finden. Zum Beispiel Ewian Christensen, Chefdenker und Sänger der traumlärmenden Rock-Formation Ewian, die auf ihrem Debüt “Good Old Underground” [Plattenkritik hier] die darbende Subkultur feiert. Der letzte macht das Licht aus? Von wegen! Als wichtiger Gegenpol zum gesichtslosen Mainstream tanzt der Underground auf seinem eigenen Grab und darf, ganz Phoenix aus der Asche, Ewian sei Dank endlich wieder zu neuen Höhen finden.

UNTER.TON trifft den kreativen Kopf der Band zum Interview, spricht mit Ewian Christensen über sein frisch geschlüpftes Album, idealistische Traumgrübeleien, den Tod– und erfährt ganz nebenbei, für welchem Track er sich eigentlich die Stimme von Björk gewünscht hätte...

"Good Old Underground", das klingt einerseits liebevoll. Andererseits schwingt gleichzeitig auch ein großes Stück Wehmut mit. Glaubst Du eigentlich, dass es diesen subkulturellen Untergrund heute überhaupt noch gibt?
Wehmütig und liebevoll beschreibt die Facetten des Titelsongs, quasi stellvertretend für das gesamte Album, recht gut. Liebevoll, weil Nostalgie mitschwingt, die auf persönlichen Erlebnissen beruht: Das Abhängen in versifften Clubs, unbeschwert, begleitet von Kontrollverlust und einem Gefühl, irgendwie zu Hause zu sein. Und wehmütig, weil das alles in der Vergangenheit verhaftet zu sein scheint. Aber ist es das wirklich? Ist der Underground tot, sind wir einfach nur älter geworden – oder unterliegen wir einer retrospektiven Verzerrung der Wahrnehmung? Das ist im Grunde die Frage, um die es geht. Ich kann keine eindeutige Antwort darauf geben. Aber ich denke, dass Subkultur objektiv gesehen noch existiert, schließlich hat sie ja eine wichtige Funktion: Sie bricht mit gesellschaftlichen Normen, um das Sinnvollste zu schützen, was die Evolution je hervorgebracht hat: Diversität. Ohne Diversität würde die Menschheit nicht überleben. Sie würde zugrunde gehen wie eine Monokultur, die von einem Pilz befallen ist. Ergo: Ohne Subkultur keine Kultur.

Was hat Dich zu den Songzeilen inspiriert?
Ein Freund, der damals genau wie ich Teil der Underground-Szene war und von dem ich lange Zeit nichts gehört hatte, kontaktierte mich während einer frühen Entstehungsphase des Albums. Die Gespräche reaktivierten die oben beschrieben Gefühle und lösten gleichzeitig eine Debatte über die Subkultur aus. Der Song entstand unmittelbar danach, hat das ganze Album geprägt. Vielen Dank also an dieser Stelle an Andre Anwar aus Schweden!

Um noch kurz beim Titelsong zu verweilen: Er animiert einen geradezu, darüber nachzudenken, wie man als Jugendlicher und junger Erwachsener ursprünglich noch versucht hatte, die Welt neu zu ordnen. Am Ende schlagen viele dann doch den bürgerlichen Weg ein – inklusive Familie, Eigenheim und Kombi in der Garage. Wie ist das bei Dir? Bist Du dem alternativen Pfad treu geblieben, oder sehnst Du dich mittlerweile auch nach einer gewissen "Vorstadt-Idylle"?
Ich habe mit Anfang zwanzig mal gesagt: Vergiss nie, wer du bist. Niemals! Das hat mich geprägt. Immer wenn ich in Lebenssituationen gerate, in denen ich merke, dass eine Normierung stattfindet, regt sich eine starke Reaktanz in mir, die dieser entgegenwirkt. Ich würde daher behaupten, im Herzen – und auch äußerlich, wobei das weniger eine Rolle spielt – noch alternativ zu sein. Wäre ich das nicht, wäre ich nicht mehr ich selbst.

"Escape" lässt keinen Zweifel daran, dass Träumer und Idealisten Deiner Erfahrung nach in unserer Gesellschaft wenig Platz haben. Sind die Menschen mittlerweile wirklich derart abgestumpft?
Der Druck, ein bodenständiges und erfolgreiches Leben zu führen, ist heutzutage hoch: Querulanten, Idealisten und Träumer haben es da natürlich deutlich schwerer als angepasste, voll in die Gesellschaft integrierte Personen. Hier knüpfe ich ich an meine erste Antwort an: Wenn diese Personengruppen wüssten, wie wichtig ihre Funktion in einer Gesellschaft ist, wäre der Leidensdruck – sofern er im Einzelnen existiert – etwas geringer. Ich fordere ein Stopp gesellschaftlicher Ächtung von Andersartigkeit: Schließlich ist sie es, die Diversität am Leben erhält.

Was genau passiert in “Escape”?
In diesem Song geht es tatsächlich um solche Personengruppen, symbolisiert durch die Geschichte einer jungen Frau, die den Druck und die Normen des Staates, in dem sie lebt, hart zu spüren bekommt. Sie träumt von Freiheit und hat den Mut, aus ihrem Land zu fliehen, Familie und Freunde zurückzulassen. Den Weg über die Grenze schafft sie mit der Hilfe eines Soldaten, der sie ziehen lässt und nicht eingreift – weil er in diesem Moment "versteht". Es lohnt sich meiner Ansicht nach also, für seine Ideale zu kämpfen. Auch für den höchsten aller Preise – das eigene Leben.

Nicht nur Euer Sound, auch das Plattencover bleibt in Erinnerung. Woher kommt dieses Bild? Und warum sollte es gerade dieses Graffiti sein?
Woher es stammt, möchte ich nicht verraten. Aber als ich es gesehen habe, wusste ich sofort: Das wird das Cover. Ein armes, verlorenes Kind am Rande der Gesellschaft, das ums Überleben kämpft, in dem es am Straßenrand Flöte spielt. Das Bild hat so viel Strahlkraft und passt wie die Faust aufs Auge zum Album. Das Backcover ist übrigens ein Foto von einer Hinterstraße in Paris, fotografiert von einer Freundin aus Russland, die zufällig die Graffiti einer nicht unbekannten französischen Künstlerin abgelichtet hat: Konny Steding. Ich habe Konny gefragt, ob ich das Foto mit ihren Graffiti verwenden dürfte, und sie hat erfreulicherweise ja gesagt.

Dein Projekt wird insbesondere auch durch seine multikulturelle Ausrichtung geprägt. Um ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen: Wer gehört zum festen Kern von Ewian, und wie sind die vielen Kollaborationen entstanden?
Es ist einfacher, als es den Anschein hat: Als Kopf von Ewian habe ich acht von zehn Songs auf “Good Old Underground” komponiert und bin neben dem Gesang auch für klassisches und verzerrtes Piano sowie das Mixing und Mastering veranwortlich. Benjamin Lachance ist ein alter, sehr guter Freund von mir, der während der Produktion mit im Studio war und die Gitarrenparts eingespielt hat. Clemens Engert (von Alien Hand Syndrome) hat Zampano komponiert und mir seine Audiospuren zwecks Remix zu Verfügung gestellt. Ich habe ihn über Twitter kennengelernt - wir verstanden uns auf Anhieb so gut, dass es am Ende zu dieser Zusammenarbeit kam. Ähnlich verhielt es sich übrigens mit dem Looper-Remix von James Hrabak (von Slack Armada). Fifi Rong lernte ich schließlich durch einen Ewian-Fan aus Amerika kennen: Für “When I Was Dead” suchte ich nach einer Stimme, die eine Art Engel repräsentieren sollte. Da Björk sich partout nicht überreden ließ, hielt ich weiter Ausschau – und wurde am Ende bei Fifi fündig. Ich hörte mir ihre Songs an, hatte gleich ein gutes Gefühl. Dann schickte ich ihr einen Rohmix des Songs via Mail und erläuterte den Inhalt. Fifi war sofort begeistert, da sie sich ebenfalls für die Thematik interessierte und den Song sehr gut fand. Dann kam eins zum Anderen. Dass die Mitwirkenden auf verschiedene Städte (Chicago, London, Wien, Bonn, Nürnberg) verteilt sind, war für das Ewian-Projekt übrigens nie ein Problem.

Einige Stücke, wie "We Are Not Afraid To Die" oder "When I Was Dead", handeln von Tod und Vergänglichkeit. Themen, die Dich offensichtlich immer wieder beschäftigen...
Ehrlich gesagt: Ja! Als Kind hatte ich mal eine außer-körperliche Erfahrung, das hat dabei wahrscheinlich auch eine Rolle gespielt. Ich habe mich eine ganze Weile mit Tod, Nahtod oder dem Leben nach dem Tod auseinandergesetzt - sowohl aus der Perspektive der Religion, als auch aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet. Eine eindeutige Antwort konnte ich nie finden; alles andere hätte mich aber ehrlich gesagt auch überrascht. Ich denke, ich fühle mich grundsätzlich einfach zu archetypischen Themen hingezogen: Schuld, Sühne, Tod, Liebe oder Verlust zum Beispiel. Um dabei nicht die Bodenhaftung zu verlieren, versuche ich, meine Gedanken in gesellschaftlich relevante Erzählungen oder andere Kunstformen zu verpacken.

"When I Was Dead" klingt so, als hättest Du hier eine Nahtod-Erfahrung vertont. Ist die Geschichte fiktiv, oder hat einer von Euch diese Situation tatsächlich erlebt?
Ich denke, keiner von uns hat tatsächlich diese Erfahrung gemacht. Allerdings basiert der Song auf Studien, in denen Betroffene Face-To-Face zu ihren Erlebnissen interviewt wurden. Eine Freundin von mir hat ihre Diplomarbeit darüber geschrieben und mir diese freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Danke an dieser Stelle also an Anja Gabriel: Ihre Arbeit hat mir geholfen, die Stimmung des Songs richtig zu justieren und meine eigenen Vorstellungen darüber etwas zu erden. Das Video zu "When I Was Dead" ist übrigens schon seit Monaten abgedreht und wird Anfang November veröffentlicht.

Ihr nennt Euren Sound Dream-Noise und fühlt euch laut bandcamp irgendwo zwischen The Cooper Temple Clause und Placebo zu Hause. Wie stark ist Ewian tatsächlich von diesen Bands inspiriert?
Das mit den "Vergleichsbands" ist so eine Sache, die mir etwas Bauchschmerzen bereitet. Ehrlich gesagt versuche ich, mich möglichst wenig von anderen Künstlern beeinflussen zu lassen, was natürlich utopisch ist und vielleicht auch arrogant klingt. Schließlich sitzen Künstler wie Chopin, Radiohead, Placebo, Portishead, The Cooper Temple Clause oder Björk in meinem Unterbewusstsein fest, begleiten mich ständig. Während der Komposition des Albums habe ich dann aber tatsächlich so gut wie gar keine Musik anderer Künstler mehr gehört, um meiner Zielsetzung möglichst gerecht werden zu können. Da der Sound von Ewian gleichzeitig verträumt und "noisy" klingt, habe ich den Begriff Dream-Noise einfach "erfunden", obwohl ich Kategorien eigentlich gar nicht mag. Wie ich später allerdings feststellen musste, war ich dabei doch nicht ganz der Erste...

Welche Rolle spielt für Dich die Musik, nicht nur aus Sicht des Musikers, sondern auch als Privatperson und Konsument?
Ich höre weniger Musik als früher. Das liegt erstens, wie oben beschrieben, daran, dass ich den subtilen Einfluss auf Ewian minimal halten will. Zweitens habe ich das Gefühl, dass nur noch wenig Innovatives auf den Markt kommt: Jeder versucht, den anderen zu kopieren – meistens auch noch inhaltsleer. Das nervt mich ein bisschen. Ich habe einfach das Gefühl, ich muss mich dagegen abschotten. Sprich: Wenn ich Musik höre, dann meistens etablierte Künstler aus den 60er bis 90er Jahren. Allerdings ist Musik nach wie vor wichtig für mich, denn ich möchte nicht vergessen, dass der Konsum mir in meiner emotionalen und psychischen Entwicklung geholfen hat.

Kannst Du dich noch an das erste Album erinnern, dass Du dir gekauft hast?
Jetzt wo du es sagst - ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern...

Euer Debüt ist jetzt auf dem Markt. Wie schwer war es für Dich, das “Baby” los- und in die Welt zu entlassen?
Gar nicht: Ganz im Gegenteil, ich bin froh, dass es in die Welt entlassen ist, denn dort hat es hauptsächlich seinen Platz. Die Produktion von Musik dient zwar immer auch der Selbsttherapie, aber der biographische Anteil ist bei Ewian vergleichsweise klein. Mir ging es in erster Linie um das Schreiben von Songs mit sozial-gesellschaftlicher Relevanz und einem gesunden Maß an Interpretationsspielraum. Darüber hinaus ist "Good Old Underground" ja nicht das erste Ewian-Release, sondern "nur" das Album-Debüt, zum ersten Mal auch physikalisch. Mit der digitalen EP "We Will Never Grow Old" (März 2013) und der Single "Voices In Your Head" (Oktober 2013) haben ja zumindest Benjamin und ich schon mal erste Erfahrungen mit dem "Loslassen" gemacht und waren daher, was das angeht, ein wenig vorbereiteter.

Was erhoffst Du dir von "Good Old Underground"?
In erster Linie hoffe ich natürlich, dass das Album viele passende Rezipienten findet: Menschen, die damit etwas anfangen, die Musik für sich "nutzen" können, in welcher Form auch immer. Ich wünsche mir außerdem, dass man eines Tages über dieses Album reden wird als eines, das andere Künstler inspiriert hat. Ich weiß, das klingt abgehoben. Und ist es vielleicht auch...

Welche Reaktionen gab es bisher?
Hier muss man natürlich unterscheiden zwischen der Presse und den Fans. Gemessen an den Erwartungen, die bei den Fans durch die die EP entstanden sind – positiv. Es wurde sehr gut angenommen. Für die Musikjournalisten ist dieses Album neu: Die ersten zwei Releases gingen nicht an die Presse raus, daher reagieren viele noch vorsichtig oder gar nicht. "Good Old Underground" ist sicher kein Album für die Massen. Daher hätte es mich auch gewundert, wenn die Resonanz eine andere gewesen wäre. Diejenigen jedoch, die sich mit dieser Musik wirklich auseinandergesetzt haben – etwa 20 oder 30 Magazine und Blogs bisher – sind größtenteils scheinbar recht angetan. Für mich als Künstler sind die Reaktionen sehr interessant: Ich versuche natürlich, jede Kritik – egal, ob positiv oder negativ – konstruktiv zu nutzen. Allerdings, ohne mich am Ende zu sehr davon beeinflussen zu lassen.

|| INTRO: ANTJE BISSINGER / INTERVIEW: DANIEL DRESSLER / DATUM: 25.10.2014 | KONTAKT | WEITER: JEROME REUTER/ROME >




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Bandpage
www.ewian-music.com
Hörproben
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