FINN RONSDORF "ODES" VS. ORLANDO WEEKS "A QUICKENING": LIEBE UND ANDERE UNWÄGBARKEITEN
"Das Leben ist eines der schwersten", pflegt der Vater des Autors dieser Zeilen immer zu sagen. Und das ist auch gut so. Denn wie wenig interessant wäre unser Dasein, wenn es sich immer in stringenten Bahnen aufhält und vorhersehbar wäre?
Der Berliner Singer/Songwriter Finn Ronsdorf kann da ein Lied von singen. Erfreulicherweise tut er dies auch. Und nicht nur eines. Die EP "Odes" versammelt fünf teilweise bereits separat veröffentlichte Stücke, die ganz klar nach Blues, nach gebrochenen Herzen und jeder Menge Selbstmitleid klingen. Gerade mal 21 Jahre jung ist Finn Ronsdorf, doch wenn er seine Stimme anhebt, tut sich der Orkus auf: Als ob der ganze Weltschmerz auf seinen Schultern laste, stößt er Töne von tiefster Traurigkeit aus, das man fast befürchten muss, es zerreiße ihn richtiggehend, über gescheiterte Beziehungen zu singen. Es scheint, als wohnt in Finn eine ganz alte Seele, die nur darauf gewartet hat, sich über seine Musik entfalten zu dürfen
Ein nicht ganz unerheblicher Aspekt an "Odes" ist der queere Hintergrund des Sängers. Während die landläufige Meinung vor allem Schwule als partyverliebte, oberflächliche und lediglich auf ihre Sexulaität fixierte Menschen degradiert, zeigt der Musiker, dass ein Beziehungsende - egal wie immer auch geartet - schmerzt. Denn unabhängig von der geschlechtlichen Präferenz, besitzen alle Menschen die Fähigkeit, bedingungslos zu lieben, aber auch zu leiden, wenn eine Liebe ein jähes Ende findet.
Dementsprechend geht es bei "Ode To A Love Lost", "Reaching For Cold Hands" und dem durch und durch herzzereißenden "Blue" stets so zu, als würder der Himmel über uns einstürzen. Kräftige und doch verzweifelte Pianoakkorde bilden das Fundament, über das Finn seine ganze seelische Pein ergießt. Letztgenanntes Stück schwingt sich durch Chöre und einer dezent verhallten E-Gitarre in gospelige Höhen, was schlussendlich so etwas wie Erlösung verspricht.
Abgerundet wird "Odes" von "Brothers", einem wunderbar unprätentiösem Kleinod, das bei aller dumpfen Demo-Qualität sehr viel Wärme und einen klitzekleinen Funken Humor versprüht. Auch das fast unbeholfen wirkende Nachahmen einer Trompete am Ende des Stückes wirkt derart liebevoll und versöhnend mit allen Unwägbarkeiten des Lebens, dass es am Ende wohl alles doch nicht so schlimm ist, wie es zunächst scheint.
Im klassischen Lebenslauf folgt nach der Sturm- und Drangphase mit all seinen, auch amourösen, Abenteuer das Einlaufen in den Hafen der Ehe, gefolgt von der Elternschaft. Doch dass auch dies ein nicht unerhebliches Gefühlschaos auslösen kann, legt Orlando Weeks mit seinem umschmeichelnden Debüt "A Quickening" dar. Seine helle, sanfte Stimme legt sich wie Schimmer auf die sich langsam vorantastenden Songs, die vor allem von Bass, Bläsern und Klavier dominiert werden.
Es ist diese uneindeutige Mischung aus Angst und auch Liebe, die den Engländer umtreibt, verbunden mit der symbolischen Deutung der Geschehnisse um ihn herum während seiner anbahnenden Vaterschaft. So besingt der in London ansässige Musiker in "Blood Sugar" die Geburt seines Sohnes, die in jene Zeit reinfiel, als die Glocken von Big Ben renoviert werden und daher schweigen mussten. Diese Stille wertete er als Omen, nicht wissend aber, ob es ein gutes oder schlechtes ist.
Insgesamt durchweht das Werk ein spiritueller Geist, der sich im abschließenden "Dream" buchstäblich in traumwandlerische Strukturen auflöst. Das Stück fängt den flüchtigen Moment ein, wo das Bewusstsein ob der Müdigkeit die realen Eindrücke weichzeichnet und sie bereits surreal werden lässt. Dieser Augenblick zwischen nicht mehr ganz wach, aber noch nicht schlafend, mag vielleicht als Symbol für diese wunderbare Reise stehen, die Orlando Weeks mit seiner Vaterschaft angetreten ist. Das Wunder neuen Lebens ist sicherlich auch etwas surreal.
Davon abgesehen funktioniert "A Quickening" aber auch ohne den konzeptuellen Überbau. Das liegt an den durchdachten, fluffigen Arrangements: "Takes A Village" beispielsweise gleicht einem lautlosen Gleiten durch Schönwetterwolken, und "All The Things" swingt sich mit tiefen Brummen und festlichen Blasinstrumenten in einen Reigen großer Hoffnung und Liebe. Weeks, der bei der Indie-Rock-Truppe The Maccabees seine musikalische Powerphase ausgelebt hat und auf der britischen Insel durchaus für Aufsehen sorgte, findet mit seinem ersten Solo-Werk zu einer ausdrucksstarken Innerlichkeit.
Große Gefühle zu beschreiben ist nicht einfach, sie zu besingen noch viel weniger. Denn die Gefahr, einen Schritt zu weit an der Kitschklippe zu stehen, ist riesengroß. Finn Ronsdorf und Orlando Weeks umschiffen diese Untiefen, in dem sie ihr Innerstes nach außen drehen - der eine laut und extrovertiert, der andere mit Bedacht und liebevoll. Am Ende stellt man die Authentizität ihrer Werke aber nie in Frage.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.06.2020 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 7/20>
Webseite:
www.finnronsdorf.com
www.orlandoweeks.co.uk
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COVER © FINN RONSDORF, PIAS/ROUGH TRADE (ORLANDO WEEKS)
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