MARC ALMOND "THE VELVET TRAIL": POP VS. POMP, TEIL II
Apropos Leeds: Aus dieser Stadt stammen auch Soft Cell, die wohl schillerndsten Halbwelts-Ikonen der 80er Jahre.
Marc Almond, stimmgewaltiger Frotmann des stilsicheren Synthie-Duos, bot den perfekten Gegenpart zum androiden Soul-Pop von David Ball.
"Tainted Love", "Bedsitter", "Sex Dwarf", "Say Hallo, Wave Goodbye": Der Erstling "Non Stop Erotic Cabaret" ist ein Manifest der dekadenten Club-Kultur, die nach den glamourösen "Saturday Night Fever"-Jahren langsam auf dunklere Wege geriet.
Das nachtschwärmende Soft Cell-Debüt klingt auch rund 35 Jahre später noch nach dem anrüchig obligatorischen Flitter-Glitter-Quickie auf der Disco-Toilette.
Doch mit diesem Meilenstein dekadent sinistrer Musikgeschichte gab sich Almond nie zufrieden.
Nach erfolgreich vollzogener Trennung von Ball zeigte die stimmgewaltige Oldschool-Diva mit dem wunderbaren Timbre ihr Gespür für pompöse Barock-Sounds, die auch hin und wieder mal in den Charts zu finden waren.
Neben "Tears Run Rings" erreichten die Cover-Versionen "Something's Gotten Hold Of My Heart" (im Duett mit Urheber Gene Pitney) und "The Days Of Pearly Spencer" (der einzige große Wurf von David McWiliams) hohe Platzierungen.
Hierzulande machte Marc Almond, pünktlich zum Millennium, mit einem äußerst gewagten Klaus Nomi-Intermezzo von sich reden: Im operesken Duett mit AnNa und Peter Rosenstolz gab der Brite eine schwülst-kreischende "Total Eclipse" zum Besten.
Nach dem 2010er-Album "Variete" wollte Almond nun eigentlich kein neues Material mehr aufnehmen.
Dass es am Ende doch etwas anders kam, ist im Musikzirkus ja eher Trend als Ausnahme: Aktuell machen neben den Scorpions (waren die jemals wirklich" weg"?) unter anderem auch Blinzel-Dressman Morten Harket und seine norwegischen A-ha’ler vor, wie man nach kurzwährender Abschieds-Auszeit umso eindrucksvoller (re)tournieren kann.
Ob irgendjemand wirklich auf diese Revivals gewartet hat?
Im Falle von Marc Almond allerdings wäre der finale Vorhang tatsächlich als kleine Tragödie zu werten.
Auch wenn die letzten Alben des britischen Barden nicht gerade in die Kategorie Kassenschlager zählen, so ist sein untrügliches Gespür für wohldosierten Pathos-Pop noch immer herzerfrischend.
Dieser Meinung dürfte auch Produzent Chris Braide gewesen sein, der bereits für veritable Pop-Größen wie Lana Del Rey oder Beyoncé hinter den Reglern saß und Marc Almond dazu ermunterte, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Fest steht: Mit seinem aktuellen Werk, dem mystisch poetisch betitelten "The Velvet Trail" (vielleicht der "samtene Schweif" des Blancmange-Kometen?) wird Herr Mandel ganz sicher keinerlei Bäume ausreißen.
Dennoch befindet sich auf diesem Silberling so ziemlich alles, was den vampirisch alterslosen Sänger mit den subtil gemeißelten Gesichtszügen über die Jahre ausgemacht hat.
"The Velvet Trail" ist ein theatrales Konzeptalbum; aufgeteilt in drei Akte und ganz auf die Künstler-Persönlichkeit Marc Almonds zugeschnitten.
"Bad To Me" und "Demon Lover" zielen mit geradlinigen Beats auf die Tanzfläche; bei letztgenanntem Titel erwachen sogar die alten "Tainted Love"-Geister zu neuem Leben.
Die eigentlichen Stärken des Pathos-Poppers liegen aber in der dramaturgischen Ausarbeitung seiner Kompositionen.
Deswegen passen insbesondere Herzschmerz-Balladen der Marke "Scar" besonders gut zu seinem Organ.
Marc Almond fühlt die Songs; gibt ihnen Seele.
Trotz höchst fatalistischer Darbietung klingen die Titel nie aufgesetzt und überraschend ehrlich. Biografisches, wie "Life In My Own Way", lässt den Hörer am Leben eines Mannes teilhaben, für den die Musik nie schnöder Broterwerb, sondern immer auch ein inneres Bedürfnis, eine Herzensangelegenheit – kurz gesagt: Lebens-Kunst gewesen ist.
Alleine deshalb wird ein endgültiger Rückzug aus dem Musikgeschäft für Marc Almond wohl nie in Frage kommen.
Wie sehr sein Wirken in die Gegenwart hinein reicht, lässt sich übrigens auch bei "When The Comet Comes" heraushören. Das Stück sang Marc zusammen mit One-Woman-Show Beth Ditto ein; ihres Zeichens Frontfrau der Gay-Pride-Kombo Gossip. Dittos Stimme erzählt von der puren Freude, gemeinsam mit dieser Legende im Studio zu stehen. Diese Darbietung gehört mit zum Besten, was diese quietschbunte Sirene bisher gemacht hat.
Unser Fazit: Wieder einmal beweisen die Herren im gesetzten Alter recht unverkrampft, dass noch immer mit ihnen zu rechnen ist.
Wen wundert's? Große Talente sind über Nichtigkeiten wie Zeitgeschmack und modischen Firlefanz erhaben, genügen sich selbst und zeigen ganz nebenbei auch mit lässiger Würde, was Personality vor der faltenfreien Hipster-Ära einmal bedeutet hat.
Ob nun Blancmange oder Marc Almond: Der ewig junge Sound der "ollen" Wilden macht einfach Spaß - und lässt deutlich jüngere Semester (ätsch!) einfach mal mächtig alt aussehen.
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||TEXT: DANIEL DRESSLER / ANTJE BISSINGER | DATUM: 10.04.15 | KONTAKT |
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