KARIES "TAGTRÄUME AN DER SCHAUMMASCHINE I" - DEM POP DEN ZAHN ZIEHEN
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Es war schon abzusehen, dass bei Karies sich einiges bewegen wird. "Es geht sich aus" von 2016 wollte nichts anderes als eine unsägliche innere Leere und krasse Orientierungslosigkeit vertonen. Beim zwei Jahre später erscheinenden "Alice" wurde Post-Punk als Stilmittel selbst hinterfragt. Das durch die Pandemie verspätet erscheinende "Tagträume an der Schaummaschine I" bricht nun die Struktur ihrer alter Kompositionen auf und blickt verstohlen, für einen Spliiter Zeit nur, auch auf die Popmusik.
Doch dieser Blick reicht schon aus, um dem Album ein ganz anderes "Gschmäckle" zu verleihen (und die römische Eins im Albumtitel könnte man als erste Phase der Transformation deuten). "Aufbruch, wir stehen auf Bruch" sangen sie in "Bruch" vom Vorgängerwerk, diese Aussage untermauern sie jetzt ganz deutlich in "Laguna Seca", der aber mit der Formel-Eins-Rennpiste nichts zu tun hat. Eher wirkt dieses Stück wie der Versuch, Pop mitten in seiner Entstehungsphase zu unterbrechen. Alles klingt so, als würde hier ein entspannter Sommer-Sonne-Gute-Laune-Track zum Vorschein kommen. Doch die geschickt gelegten Dissonanzen und die repetitiven Muster legen sich wie eine Smog-Glocke über die vermeintliche Idylle.
Nicht weniger ratlos lässt einen das nicht mal zweiminütige "Failed State Of Mind" mit seinen ausladenden Synthiesounds zurück. Auch hier scheint es so, als wollen Karies sich wirklich einmal freuen - musikalisch zumindest. Und doch steckt die Euphorie in den mehr dem Moll zugetanen Tönen irgendwie gefangen. Selbst der smoothe Rhythmus bei "Willy" (übrigens wieder von Karies' feiner Wortspielakrobatik durchzogen), der fatal an eine etwas schnellere Version von The Cures "Lovecats" erinnert, lässt die Szenerie eher nervös-hibbelig als beschwingt-fröhlich scheinen.
Da sind Karies dann eben doch zu sehr mit ihrer Existenz und dem daran Verzweifeln beschäftigt - rein künstlerisch, versteht sich. Doch die "Karibik", die sie hier besingen, klingt eher wie ein dräuender Tsunami, der die Idylle zu zerstören gedenkt. Und wenn "Im Morgenlicht" unter verstimmten Synthie-Atmos Sänger Julian Schröter leicht verzerrt "Hast du Angst? Liegst du wach?" singt, während fette Beats und zersägte Bässe ein Gefühl vermitteln, als wäre man im ewigen Eis gefangen, geraten Karies mit diesem Song wieder an den absoluten Nullpunkt der Emotionslosigkeit. Auch wenn die Zeile "Im Morgenlicht, im Abendlicht, seh ich dein Gesicht, nur dein Gesicht" eher schlageresk anmutet, so vermitteln stimmliche Verfremdungseffekte und monotone Wiederholung ein Gefühl großer Beklemmung.
Dass den Jungs das Post-Punk-Korsett auf Dauer zu eng werden würde, war schon von vornherein klar. Karies sind viel zu intelligent, um sich für eine Sache vereinnahmen zu lassen. Das Bild des "Tagträumers an der Schaummaschine" liest sich wie der Versuch, am Erhabenen teilzunehmen und Teil des (Pop)Zirkus zu sein, doch letzten Endes reicht es nur für eine Statistenrolle. Auch eine Art, den großen Pop-Schwindel offenzulegen.
Gut, dass es Karies gibt. Klingt aus dentologischer Sicht zwar unsinnig, macht aber in diesem Beispiel Sinn. Denn wie Karies sich durch den Zahn frisst, will auch die Band Karies das Pop-Gebiss angreifen. Zuvor umkreisten sie es mit ihren drei Vorgängeralben, mit "Tagträume an der Schaummaschine I" hat die Zersetzung erst richtig begonnen.
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Cover © This Charming Man/Cargo Records (Karies)
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