DILLY DALLY "HEAVEN" VS. KÆLAN MIKLA "MÀNADANS" VS. RVG "A QUALITY OF MERCY" : STARKE TÖNE DES VERMEINTLICH SCHWACHEN GESCHLECHTS - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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DILLY DALLY "HEAVEN" VS. KÆLAN MIKLA "MÀNADANS" VS. RVG "A QUALITY OF MERCY" : STARKE TÖNE DES VERMEINTLICH SCHWACHEN GESCHLECHTS

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Man kann es kaum leugnen, dass man, allen Geschlechterdebatten zum Trotz, immer noch einige verkrustete Männchen-Weibchen-Schablonen im Kopf besitzt, die sich immer dann bemerkbar machen, wenn einige Parameter nicht mehr ganz der vorgegebenen Norm entsprechen.

So taucht das erste Störfeuer bei Dilly Dallys "Heaven" bereits auf dem Albumcover auf. Eine Putte mit schwarzer Augenumrandung ist nun nicht unbedingt der erste Gedanke, den man mit dem Titel in Verbindung setzt. Das Eröffnungsstück wiegt uns zwar für einen Splitter Zeit in dem Glauben, dass es hier tatsächlich "himmlisch" zugehen könnte. Doch Frontfrau Katie Monks macht schnell und unmissverständlich klar, dass sie von den ätherischen Gesängen, den "heavenly voices", mindestens genauso viel Abstand nimmt wie der Teufel vom Weihwasser.

Der Himmel ist in der Welt von Dilly Dally nicht gerade eine Wohlfühloase. Vielmehr klingt der rückgekoppelte Indie-Rock wie eine mittelschwere Depression, der aber in den melodiereichen Momenten so etwas wie eine kurzzeitige innere Ruhe beschreibt. Monks selbst durchlebt ein stimmliches Wechselbad der Gefühe, zeigt sich in den kontemplativen Passagen verträumt bis somnambul wie Hope Sandoval, um nur ein paar Takte später wie ein angeschossenes Tier ins Mikro zu brüllen und so ihre ganze Wut zu entlassen. Und Katie hat Wut!

Tatsächlich handelt das Eröffnungsstück "I Feel Free" von Dill Dally selbst, die nach ihrem Debütwerk "Sore" (2015) und ausgedehnten Auftrittsreisen bereits schon voneinander die Nase voll hatten und alles begraben wollten. Dass sie sich dennoch wieder zusammengefunden haben und weiter an der Geschichte der Band schreiben, ist das beste, was sie machen konnten.

Denn bei aller niedergeschlagenen Sicht auf die Dinge, schafft "Heaven" den kunstvollen Spagat zwischen persönlicher Tristesse und lichtem Hoffnungsschimmer. Im Titelsong wird diese Ambivalenz deutlich sichtbar. Vordergründig ein Liebeslied, handelt es auch von einem Menschen, dessen depressiver Zustand dazu führt, sich in den besten Freund zu verlieben - mit allen sich daraus ergebenden Folgen.

Verstärkt wird dieses bipolare Album durch den geschickten Wechsel zwischen apokalyptischer Gitarrenbearbeitung und melodiösem Feingefühl aller Beteiligten. Im Gegensatz zu beispielsweise The Birthday Massacre, die ihre schauermärchenhaften Elektro-Rock-Nummern ebenfalls gerne zwischen Trübsinn und Tanzwut pendeln lassen, wird bei Dilly Dally die Musik zum Sprachrohr der Seele. "Heaven" gewährt einen Einblick in die innersten Gedanken von Katie Monks, deren Vorstellung eines "himmlischen" Diesseits stark atheistisch gefärbt ist.

Vom Atheismus kommen wir nun zum Inbegriff des Mystischen. Jedenfalls scheint es so, dass ungefähr alles, was aus Island stammt, irgendwie von einer ganz besonderen Spiritualität durchzogen ist. Dem Inselvölkchen wird seit jeher eine gewisse Ursprünglichkeit und Naturverbundenheit nachgesagt, die sich auch in der Musik Bahn bricht, egal, ob das nun der Zeitlupen-Rock von Sigur Ros oder die verschrobenen Klang- und Gedankenkonstruktionen von Björk sind. Mit Kælan Mikla wird sich eine neue Musikergeneration in diese Genealogie einschreiben.

Drei Frauen, ein Ziel: Sängerin Laufey Soffia, Bassistin Margrét Rósa Dóru-Harrysdóttir und Sólveig Matthildur Kristjánsdóttir an den Tasten zielen mit "Mànadans" auf ein neues, feministisches Verständnis zetigenössischen Post-Punks. Dieser zeigt sich erst am Schluss bei "Kalt" mit seinem breiten, summenden Synthie-Teppich noch am konventionellsten. Davor allerdings überrascht das Trio mit einer unglaublichen Energieleistung und wahrhaft beklemmenden Szenarien.


Davon will "Lítil Dýr" zunächst aber gar nichts wissen. Mit gedankenverlorenen Gniedeleien, auf der eine ordentliche Protion Hall gelegt wird und von einem eher vernuscheltem Gesang begleitet wird, wiegen uns Kælan Mikla für knapp zwei Minuten in Sicherheit. Danach beschleicht einen das Gefühl, einen alten Zauberbann gebrochen zu haben: Unter spitzen Schreien und schrammelnder Gitarrenbearbeitung schreit Laufey wie eine Besessene ihre isländischen Texte ins Mikrofon. Zwar versteht man sie nicht, aber man muss kein Prophet sein, um zu erkennen: Kælan Mikla tanzen am emotionalen Abgrund, rutschen mit den Füßen immer wieder aus, fangen sich aber gerade noch, bevor sie von ihrem hoffnungslosen Sound komplett in die Tiefe gezogen werden.

Hier, wie auch beim nachfolgenden, eine Minute kurzen "Næturdætur" erkennt man ihre anfänglichen Death-Rock-Wurzeln, ehe sich der rudimentäre Sound aus Bass und Schlagzeug weiterentwickelt hat und nun beim Erstling in seinen dunkelsten Farben schimmert. Besonders die kontrastreichen Nummern wie "Umskiptingur", bei denen Düster-Pop-Sounds, wie man sie zuletzt medienwirksam bei The XX gehört hat, durch das wandelbare Organ Laufeys durchkreuzt werden, besitzen die größte Nachhaltigkeit. Auch "Ætli pað sé óhollt aðláta sig dreyma" wandelt zielischer zwischen isländischer Stoik und heidnischer Raserei.

Wie ein Donnerhall verbreitet sich der Ruf der drei Sirenen seit Gründung ihrer Band vor vier Jahren. Bei den Musikerkolleg(inn)en ernten sie größten Respekt. Die höchsten Weihen haben sie dabei von keinem geringeren als Robert Smith erhalten. Der The-Cure-Frontmann hat Kælan Mikla bereits über den grünen Klee gelobt, was sicherlich nicht das schlechteste ist, um als noch junge Musiker Fuß im Business zu fassen. "Mànadans" jedenfalls gehört zu den musikalischen Höhepunkten dieses Jahres.

Sicherlich würde sich auch die Australierin Romy Vager wünschen, einige Empehlungen alter New-Wave-Helden zu erhalten. Immerhin hat sie mit ihrer Gruppe RVG (Romy Wager Group) die psychedelische Grandezza in den alternativen Pop zurückgebracht - ein Umstand, den auch Bands wie einst The Psychedelic Furs oder Echo & The Bunnymen zu den großen ihrer Zunft werden ließen. Ihr Debütalbum "A Quality Of Mercy" zollt jedenfalls große Respekt für die 80er auf allen Ebenen (man beachte den putzigen Atari-Computer auf dem Cover).

Nun ist es ja ein leichtes, sich von alten Nummern inspirieren zu lassen und sie dann unter dem dünnen Deckmäntelchen "retro" einfach noch einmal einzuspielen. Es muss also schon einen großen Unterschied geben. Diesen macht Romy Vega selbst aus, deren markant dunkle und kraftvolle Stimme die Geschlechtergrenzen aufweicht. Würde man nicht wissen, dass es sich hierbei um eine Sängerin handelt, man könnte auch einen verträumten dreinblickenden Typen, einen Art jungen Morrissey, vor Augen haben - und ein kurzer Blick ins weltweite Netz bestätigt, dass viele Rezensenten bereits darauf reingefallen sind - der Autor dieser Zeilen inklusive.

Ohne Zweifel: Die Frontfrau ist der Star; sie hat ihre Gruppe nicht umsonst nach sich benannt. Dennoch pfeift sie auf jedweden Glamour, präsentiert sich in ihren Videos ohne großen Popanz. Romy verlässt sich allein auf die Kraft ihrer Musik und Texte. Und diese pendeln zwischen feinem Sarkasmus, den sie wie in "IBM" über die digitalisierte Gesellschaft ergießt (inklusive des bereits jetzt schon nostalgisch klingenden Fiepen und Surren eines 56k-Internet-Modems), und dem unerklärlichen Weltschmerz wie in "Eggshell World", ohne aber in einen larmoyanten Ton zu verfallen.

Romy Vager nimmt sich als Person dabei zurück, tritt hinter ihre Geschichten, die sie aber nicht leidenschaftslos vorträgt. Doch ihr Duktus lässt immer die "Autorin" durchschimmern, die Songs werden als "Kunstprodukt" wahrgenommen, die aber dennoch zu eigenen Gedankengängen anregen.

Keine halbe Stunde braucht "A Quality Of Mercy"; die acht Songs kommen kompakt und ohne unnötige tönernen Extrarunden aus. Dennoch fühlt man sich danach nicht nur um rund 30 Jahe zurückversetzt, sondern sieht sich auch mit einer großen Gedankenblase versehen, voll von Fragezeichen ob der gewaltigen Stimme dieser unscheinbaren, jungen Frau. Und eine Frage treibt immer wieder umher: warum müssen wir uns überhaupt so auf die Geschlechter in der Musik einschießen und nicht einfach das Talent an sich beurteilen?


Das vermeintlich schwache Geschlecht hat in diesen drei Fällen - und auf ganz individuelle Art und Weise - Stärke gezeigt. Dabei umschiffen Dilly Dally, Kælan Mikla und RVG jedes Klischee mit Leichtigkeit. Sie sind keine rotzigen Riot Grrrls, räkelnden Sex-Bomben, schnodderigen Punk-Schlampen oder spaßbefreiten Feministinnen. Sie sind einfach nur Frauen mit einer Botschaft. Manchmal kann es so einfach sein.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.08.18 | KONTAKT | WEITER: POPTONE VS. DAVID J>

Webseite:
www.dillydallyband.com
kaelanmikla.bandcamp.com
rvgband.bandcamp.com

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Cover © Pias UK/Partisan Records/Rough Trade (Dilly Dally), Mvd (Kælan Mikla), Fat Possum Records/Al!ve (RVG)

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