JUNGSTÖTTER "LOVE IS": ZU VIEL DES GUTEN IST WUNDERVOLL
Das war so nicht zu erwarten! Nicht in dieser Intensität, nicht in dieser Emotionalität! "Jungstötter, wo hast Du so lange Zeit nur gesteckt?", mag man ihm zurufen, nachdem man wie besoffen vor Glück die letzten Takte von "Love Is" vernommen hat - einem Album, das schon jetzt als das Beste des Jahres, vielleicht sogar des augehenden Jahrzehnts genannt werden darf.
Gesteckt hat Jungstötter übrigens bereits eine ganze Weile vorher unter seinem bürgerlichen Namen Fabian Altstötter im Dreiergespann von Sizarr, zusammen mit Marc Übel und Philipp Hülsenbeck. Ihren letzten medienwirksamen Auftritt absolvierten die Jungs bei Caspers kongenialem HipHop-Moritat "Lang lebe der Tod", bei dem auch Dagobert und - das war die größte Überraschung - Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten mit von der Partie waren.
Davor brachten sie mit "Psycho Boy Happy" und "Nurture" zwei respektable Alben heraus, die sich irgendwo im elektronisch angehauchten Indie-Pop ansiedelten. Altstötters markantes Organ deutete er damals nur an, unterwarf sich aber augenscheinlich dem Diktat schnöder bis cooler Unabhängigkeits-Attitüde für Bio-Limonade süffelnde Chucks-Träger.
Nach dem Split lautet also die Devise: "Aus alt mach jung!". Entweder ist es der berühmte Schalk im Nacken, der Fabian dazu veranlasst hat, sein Projekt Jungstötter zu nennen, oder einfach nur der klare Hinweis für alle traurigen Sizarr-Fans, dass sich der Musiker aus Landau in der Pfalz einer musikalischen Frischzellenkur unterzogen und nichts mehr mit seiner alten Band gemein hat.
Das Ergebnis klingt aber - trotz seines Namens - im positivsten Sinne gealtert. Mehr noch: Altstötter kehrt als Jungstötter allen slackigen und lässigen Hipstern den Rücken und tauscht blinkende Bühnenscheinwerfer gegen einen romantischen Kandelaber ein, der den gesamten Raum in ein flackerndes Zwielicht taucht. Viele musikalische Verweise können bei "Love Is" ausgemacht werden. Die Mörderballaden erinnern in ihrer tönernen Mitternächtlichkeit an Nick Cave & The Bad Seeds, aber auch an Echo & The Bunnymen, Altstötters lamentierendes, mit feinem Vibrato ausgestattes, Organ vereint die Eleganz eines David Sylvain (Japan) mit der Androgynität eines Antony Hegarty (Antony & The Johnsons, Ahnoni), dem Fatalismus eines Mark Hollis (Talk Talk) sowie dem romantischen Nihilismus eines Jay Jay Johanson.
Doch schafft es "Love Is" bei allen Querverweisen und Anspielungen, eigenständig zu bleiben. Mit ausschlaggebend dafür sind die geschickt gelegten Kontrapunkte innerhalb der Kompositionen (daran dürfte Produzent und Die-Nerven-Frontmann Max Reger nicht ganz unschuldig sein). So endet der Titelsong in einem elektronischen Beat'n'Noise-Gewitter, während in der flirrenden Ballade "Sally Ran" unvermittelt eine heulende E-Gitarre torkelnd die Szenerie betritt und damit die immer hart an der Kitschklippe driftenden Songs angenehm bricht.
Von diesen klanglichen Eskapaden, die stets pointiert präsentiert werden, lässt sich Fabian aber nicht beirren und flaniert wie einst die großen Bohémiens des späten 19. Jahrhunderts durch seine Kompositionen und kostet alle Stimmungswechsel mit der größtmöglichsten Intensität aus.
Am Ende bleibt der Musiker ganz bei sich und gibt sich in der intimen Nocturne "The Rain" puristisch und nur vom Klavier begleitet. Es ist einer dieser kostbaren Momente, die nur noch viel zu selten geschehen und dessen Unmittelbarkeit das Publikum mit größter emotionaler Wucht trifft.
Das gleiche gilt auch für den absoluten Schlusspunkt "To Be Someone Else", das sich noch einmal in einem stürmisch aufbrausenden Höhepunkt zuspitzt, ehe die tippelnden Drums das Ende eines inkommensurablen Meisterwerks einläuten und Altstötters neues Alter Ego zum vielleicht wundervollsten Vertreter eines neoromantischen Storytellers macht, der bei jeder Note in Schönheit zu sterben droht. Bitte mehr davon!
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 08.02.2019 | KONTAKT | WEITER: RETROJUNKIES "NEULAND 1.0">
Webseite:
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