4/24: DINA SUMMER, LOGIC & OLIVIA, POISON POINT, L'APPEL DU VIDE, CIRCOLO VIZIOSO - UNTER STROM UND VERRÜCKT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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4/24: DINA SUMMER, LOGIC & OLIVIA, POISON POINT, L'APPEL DU VIDE, CIRCOLO VIZIOSO - UNTER STROM UND VERRÜCKT

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2024
Unangefochten führen Local Suicide mit ihrem Label Iptamenos Diskos die Dark-Disco-Szene an. Und wie eine gut geölte Maschine erscheinen mit schöner Regelmäßigkeit neue und aufregende Stücke, die entweder das deutsch-griechische Produzentenpärchen selbst erdacht oder befreudete Musiker über ihre Plattenfirma veröffentlicht haben. Spannend wird es, wenn das Duo mit Kalipo (bekannt durch seine Arbeit bei Frittenbude) gemeinsame Sache macht und als Dina Summer an den Start gehen. Die EP "Hide & Seek" ist ein weiterer Meilenstein dieser Kollaboration, das in der Original Version mit viel 80er-Synth-Pop-Flair und einem stoischen Upbeat der Marke "Take On Me" von A-Ha die Schulterpolster zum Zucken bringt. Dagegen nimmt der Club Mix das Tempo aus der Nummer heraus und transformiert den Song so, dass er auch in einem Darkwave-Club problemlos laufen könnte. Es ist diese stilistische Offenheit, die Dina Summer einzigartig spannend macht. Kalipo, der aus dem Techno kommt, und Local Suicide, die eng verbandelt sind mit der dunkleren Seite der Discokugel sind, ergänzen sich auch in den anderen Songs der Platte. "All Or Nothing", "Excess" und "Unter Strom" sind dabei auf dem gleichen energetischen Level angesiedelt wie der Titelsong und daher absolut gleichrangig. Was bei Iptamenos Diskos auch immer erscheint, es ist ausnahmslos empfehlenswert, da macht Dina Summer keine Ausnahme. Ihr Sound besetzt die Schnittstelle zwischen Hipster-Clubs und Alternative-Diskothek. Dass so ein Sound aus Berlin kommt, ist fast schon zwangsläufig. Denn die arme aber sexy Stadt verstand es schon immer, Partytum mit Dekadenz zu verbinden. Die Kollaboration liefert dafür einen konzisen Soundtrack.

Wenn Nörgler behaupten, dass in der elektronischen Klangerzeugung sich alles nur noch im Kreis dreht und die Innovationen ausbleiben, hört entweder nicht richtig hin oder bewusst weg. Denn auch in der Konservenmusik finden spannende Entwicklungen statt - im Kleinen wie im Großen. Manchmal muss man auch ganz genau nach den Juwelen Ausschau halten und ist dann umso erfreuter, wenn sie einem begegnen. Logic & Olivia gehört zu diesen kleinen Diamanten, die sich bereits Ende der 1990er als Darkcore formierten und 2012 den Namenswechsel vollzogen, um nicht mit dem gleichnamigen Genre in Verbindung gebracht zu werden. Schließlich machen die Jungs aus dem Erzgebirge einen sphärischen, anspruchsvollen Synthiepop, der durch das sonore Organ von René Anke veredelt wird. Nach längerer Pause kredenzt uns das Trio die zweiteilige EP-Reihe "Channel Two". "Part One" enthält den wunderbar fluffigen, an X-Perience erinnernden Song "I Wish" sowie der mit groovigen Shuffle ausgestattete "Now And Forever", die im Anschluss durch fremde Hände gehen. Besonders erstgenanntes Lied wird in seiner ganzen Bandbreite ausgekostet. People Theatre verwandeln es in eine stramme Future-Pop-Nummer, die dem Original in Nichts nachsteht. Rotoskop dekonstruieren dagegen "I Wish" und machen daraus einen grummeliges Bass-Monster mit Breaks und tiefergelegten Sprachsamples. Daneben ist auch noch der allseits bekannte Rob Dust, eine Koryphäe der Remix-Kunst, zu erwähnen, der den Song noch etwas erdiger gestaltet und damit eine Parallele zum Depeche-Mode-Klassiker "I Feel You" zieht.

Die Verbindung ist natürlich nicht weit hergeholt und kristallisiert sich spätestens beim zweiten Teil des EP-Diptychons heraus. Neben dem balladesken "Enemy" und brodeligen "Song Of Old Man" - beide natürlich auch wieder in einer bestechenden Qualität - findet sich mit "World In My Eyes" eine Coverversion einer wunderbaren Nummer der Jungs aus Basildon. Zwar ist der große Respekt der Musiker gegenüber den Synth-Pop-Göttern schon hörbar; sie erstarren aber keineswegs ein Ehrfurcht, sondern drücken ihrer Version den Stempel auf. So hätte der Song eben geklungen, wenn Logic & Olivia ihn erdacht, komponiert und arrangiert hätten. Wie auch beim ersten Teil, finden sich auch hier weitere Variationen, die aber hauptsächlich von der Gruppe selbst erdacht wurde. Eine gute Band, die etwas auf sich hält, schafft es geradezu spielend, ihr eigenes Material immer wieder neu und frisch klingen zu lassen. Diorama ist so ein Beispiel, deren alternative Versionen ebenso verzaubern, wie ihre Originale. Bei Logic & Olivia ist die Sache ganz ähnlich gelagert. Denn der Dance Mix von "Enemy" unterscheidet sich deutlich vom Grundmaterial und hält, was der Titel in Klammern verspricht: Aus dem getragenen Song zaubert das Dreiergespann erstklassiges Clubfutter. Und noch ein kleiner Schwenk in die geliebten 80er: "Song Of The Old Man" als Maxi-Version zu veröffentlichen, dürfte jedem Freund der längst vergangenen Blütezeit dieser Kunstform der eleganten Verlängerung ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Die OBS Version von "Enemy" beschließt die runde zweiteilige Veröffentlichung. Aber ganz ehrlich: Ein Album ersetzen die beiden "Channel Two"-EPs natürlich nicht. Wir wollen mehr!

Hallelujah, es gibt ein neues Genre: Trancey Body Music. Wie wir aber wissen, sind Namen Schall und Rauch. Deswegen sollte man nicht viel auf die Musikbezeichnung geben, sondern einfach mal reinhören in "Wandering Echoes", dem neuen Brainchild von Poison Point, hinter dem sich der Pariser Musiker Timothée Gainet versteckt. Anfangs noch stärker im Post Punk verwurzelt (und unter anderem bei Young & Cold unter Vertrag) wanderte seine Begeisterung immer mehr gen elektronisch produzierter Musik. Seine melancholische Wurzeln hat der Mann aber nie vergessen. Mit "Wandering Echoes" erleben wir die erste Station seiner stilistischen Metamorphose. Deutlich ist der Willen herauszuhören, den mechanischen, seriellen Moment seiner Musik herauszuarbeiten. Dem unnachgiebigen, minimal-melodiösen Sounds setzt Timothée seine kühle, aber dennoch von Sehnsucht durchzogene Stimme entgegen. Sein Sound ist eingefleischten Fans elektronischer Klangerzeugung aber nicht ganz fremd. In manchen Momenten, beispielsweise bei "Echoes Of Dream", erinnert die flirrende Elektronik an Neuroticfish, dessen Slogan "Electronic Body Music is dead" jedes Album wie ein Markenzeichen schmückt. Poison Point schwimmt in selben Gewässern und denkt vielleicht ähnlich, ohne aber beliebig zu klingen. Zusätzlich bringt ein Song wie "Slow Kill, Fast Love" durch sein an den New Beat angelehnten Sound eine weitere spannende Facette in das musikalische Gewand von "Wandering Echoes". Trancey Body Music? Meinetwegen kann man die Musik so nennen, auch wenn sie im Grunde genommen technoid ausgerichteter Dark Wave ist. Macht aber nichts, gefällt trotzdem.

Chemnitz wird 2025 Kulturhauptstadt Europas. Es wäre daher ganz schön, wenn sich die hiesige Alternativ-Szene feierlich präsentiert. Mit Kraftklub und Kummer besitzt die Stadt zwei Aushängeschilder der Chemnitzer Indie-Clique. Allerdings sind diese medial bereits dermaßen durch die Dörfer wie die sprichwörtlichen Säue gejagt worden, dass sie mittlerweile eine Authentizitätslücke hinterlassen haben. L'Appel Du Vide könnten diesen Raum nun füllen. Was für sie spricht, ist der unmittelbare, schroffe Klang zwischen Post-Punk und Indie-Rock. "Metro" besticht vor allem durch seine Direktheit, sowohl textlich wie auch musikalisch. Sänger Rene begibt sich in den neun rasend schnell vorbeischrammelden Songs auf der Suche nach den richtigen Worten für das, was ihn bewegt. Unterstützt wird er von dröhnenden Gitarren, pumpendem Schlagwerk und analogen Synthesizersprenkel. Wie es im Beipackzettel für Journalisten so schön heißt: Man kann "die Instrumente atmen hören". Mehr noch können wir in "Metro" auch die ehemalige Karl-Marx-Stadt respirieren hören, die, bei aller Kulturhauptstadt-Euphorie, immer noch seine Geschichte als Vorzeigebild des Sozialismus der ehemaligen DDR mit sich trägt, was sich nach wie vor in der urbanen Gesamtarchitektur widerspiegelt. L'Appel Du Vide gelingt auf diese Weise ein ungemein authentisches Debut, das die Band sicherlich recht schnell zum neuen heißen Scheiß avancieren lässt. Aber wie sagt bereits die Band in "Nacht": "Einen Fuß vor den anderen". Einen Auftritt bei irgendeiner Feierlichkeit im Rahmen des Kulturhauptstadtrummels sollte bis dahin auf jeden Fall drin sein. Denn die Jungs sind einfach zu gut, um nur von wenigen gehört zu werden. Europa, schaut auf diese Band!

Auf einem Balkon in Berlin Friedrichshain während der Corona-Pandemie geschah die Magie. Paul Geigerzaehler, der zuvor spannenden Violin-Punk auf die Hauptstädter (und darüber hinaus) losließ, und der Italiener Tony Scafidi gründeten Circolo Vizioso - mit dem Ziel, in dieser Zeit der Repression die lodernde Glut der Kunst am Leben zu halten. Aus dieser Idee wurde ein Projekt, das sich über die Pandemiezeit hinweg manifestierte. Mit "Verrückt" veröffentlichen sie nun ihr erstes Album. Es braucht keine paar Sekunden, um zu verstehen, dass wir es hier mit einem kritischen Geist zu tun haben, der seinen ganzen Hass auf die Welt in beißend-ironische Post-Punk-Miniaturen gießt. Bereits der Titelsong geht der Frage nach, wie es heutzutage überhaupt noch möglich ist, die mentale Contenance zu bewahren, wenn um einen herum alles langsam aber sicher aus den Fugen gerät. Dröhnende E-Gitarren, unprätentiöse Beats und schneidende Geigenparts (Geigerzaehlers Markenzeichen darf auch bei Circolo Vizioso nicht fehlen) bilden einen kantigen Soundklumpen, der das Beste aus den goldenen Ära der (wahren) Neuen Deutschen Welle in das post-pandemische Zeitalter verfrachtet. "Verrückt" ist laut, fiebrig, dreckig und schnell. Bereits nach etwas mehr als 20 Minuten ist das Album zu Ende. Doch nur die Töne sind verklungen. Was die Musik mit einem macht, ist schon gewaltig. Sie hinterfragt unseren gesellschaftlichen status quo, gibt aber keine Antworten. Vielleicht, weil es keine gibt - zumindest keine eindeutigen. In dieser Phase großer Unsicherheit kommt "Verrückt" wie der kurze aber heftige und längst überfällige Rundumschlag daher.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 03.04.24| KONTAKT | WEITER: AKASHA PROJECT VS. RSN>

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Covers © Iptamenos Diskos (Dina Summer), Infacted Recordings (Logic & Olivia), Avant! Records (Poison Point), It's Eleven Records (L'Appel Du Vide), Circolo Vizioso

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                            © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014

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