CHRIS IMLER "MASCHINEN UND TIERE" VS. CHRIS LIEBING "BURN SLOW": ZWEI MAL CHRIS, ZWEI MAL KRASS
Es ist wirklich ein Wettkampf wie es die Überschrift propagiert. Chris gegen Chris. Extrovertierter Rock-Performer gegen akribischen Soundtüftler. Ästhetischer Agitator gegen coolen Schräubchendreher. Vorweg sei schon gesagt: Dieser Kampf endet unentschieden - weil beide ihre Vorzüge perfekt ausspielen und man sich ihrem jeweiligen Charme nicht entziehen kann.
So erinnert Chris Imler mit seinem hauchdünnen Menjou-Bärtchen ein bisschen an Ron Mael von den britischen Art-Rockern The Sparks. Diese Verbindung zu ziehen scheint angesichts Imlers Werdegangs gar nicht abwegig. Als Schlagzeuger für Gruppen wie Oum Shatt oder Die Türen und als Mitglied bei Jens Friebe verbindet den gebürtigen Augsburger seit jeher eine Liebe zu einem aufregenden, einem anderen Sound aus Deutschland, der sich fern hält von weichgespülten, seiernden Nostalgie-Chansonniers und in seinen Grundgerüsten freigeistige Punk-Attitüden aufblitzen lässt und aber auch von Imlers Wahlheimat Berlin deutlich beeinflusst worden ist.
"Nervös" hat der imposante Künstler dann auch sein Debüt vor vier Jahren betitelt und damit den Zeitgeist einer extrem urbanisierten Gesellschaft getroffen, die Langeweile mit oberflächlicher Zerstreuung bekämpft, anstatt ihr Raum zu geben, um Selbsterkenntnis und neue kreative Energien zu erlangen. Vieles hat sich seitdem nicht geändert. Im Gegenteil: Es scheint gerade so, als sei die Menschheit noch um ein Vielfaches hibbeliger geworden.
Imler macht daher weiter wie bisher und erweist sich dabei wie erwartet als blitzgescheiter und wortgewandter Electro-Anarchist. "Richtige Stille kann niemand ertragen" ist so ein typischer Song auf dem aktuellen "Maschinen und Tiere". Das unaufgeräumte Kraftwerk-Geplucker fungiert dabei nur als tönerner Statist für Imlers treffsichere Lyrik. Denn ist es nicht so, dass wir uns nach Ruhe und Kontemplation sehnen und wir aber, sobald sie eintritt, heillos damit überfordert sind?
Doch so eindimensional ist "Maschinen und Tiere" nicht, um es nur als tendenziell linkspositionierten Weckruf zu bezeichnen. Das wäre viel zu kurz gegriffen. Sicherlich: Songs wie "Küchenmesser" oder das flippige "Middle Aged Sex Object" bewegen sich deutlich auf den genial dilletantischen Pfaden von Der Plan, während das spröde Schlagzeugspiel und die schneidenden Sequenzen beim dringlichen "Ich appelliere" nicht wenige an DAF erinnern lässt. Doch noch wichtiger als der Sound, der sich an jene NDW erinnert, die vor der ZDF-Hitparade ihre anarchischen Blüten im "Ratinger Hof" in Düsseldorf oder eben dem Berliner "SO 36" entfalteten, sind seine verknoteten Gedankenkonstrukte, die er in unnachahmlicher Wortakrobatik verpackt.
Während sich damals die Musiker in lyrischer Verknappung beziehungsweise sinnbefreitem Dadaismus verdingten, jagt Chris seine Hörer mit seinen nicht enden wollenden Assoziationsketten vor sich her. Glaubt man, die ersten Zeilen entschlüsselt zu haben, drängen bereits die nächsten Strophen an des Hörers Ohr und verlangen Aufmerksamkeit. Wohl auch deswegen, weil Chris sie mit einem nöligen Timbre vorträgt, das zwischen großstädtischen Ennui und sophistischer Hybris hin- und herstolziert und an dem man nicht vorbeihören kann, selbst wenn man es wollte.
Alles an "Maschinen und Tiere" wirkt bösartiger und zynischer im Vergleich zum Vorgänger. Am Ende gibt es nur noch eine Richtung: "Nach unten". Ziemlich illusionslos das alles, auch wenn fickerige Sounds und wie wild um sich herschlagende Rhythmen noch einmal Widerstand leisten.
Dort angekommen, wartet dann der andere Chris, Liebing mit Nachnamen, der mit "Burn Slow" eine Techno-Platte für all jene geschaffen hat, die mit dem einstigen Claim der Love Parade - "Friede, Freude, Eierkuchen" - nicht mehr viel anfangen können, einfach weil die Welt sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert hat - und nicht unbedingt zum friedlicheren.
Das Album hat eigentlich jeglichen Bezug zur bunten Rave-Welt von einst verloren. Auch Liebings einstiger Ruf als König des Schranz findet hier keine Erwähnung mehr - wohl auch, weil diese härtere Spielart des Techno bereits seit Jahren nicht mehr relevant ist. Eher ist "Burn Slow" ein schwemütiges Herbst-Album geworden. Das liegt nicht zuletzt auch an der prominenten Beteiligung. "Polished Chrome (The Friend Pt.1)" besispielsweise wird von Gary Numan unterstützt, und "And All Went Dark" ist durch Mithilfe von Polly Scattergood entstanden. Das besondere daran: beide sind nicht als Sänger, sondern Erzähler engagiert worden.
Besonders bei Scattergood könnte man Vergleiche zu Anne Clark ziehen, was nicht zuletzt auch am extrem basslastigen, klar definierten Sound liegt, der zwar ein- aber nicht aufdringlich ist und Scattergoods verstörten wie verstörenden Sprechstil unterstützt.
"Burn Slow" ist in Zusammenarbeit mit Ralf Hildenbeutel entstanden, einem Mann, der sich besonders in der Trance-Szene einen Namen gemacht hat. Als Teil des Stammpersonals beim legendären Label Eye-Q-Records prägte er maßgeblich einen ganze Generation von DJs und Musiker. Zuletzt arbeitete er nicht unerfolgreich als Remixer, Produzent und Filmmusiker. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass das Album eine deutlich epischere Breite erhält. So ist auch ein Instrumental wie "Novembergrey" überaus spannend, weil die verwaschenen Sequenzen mit einem unaufhörig rollenden Bass und gleichmäßig vor sich hinpumpenden Beats tatsächlich wie der Soundtrack für eine vernebelte Szenerie wirkt, in der alles geisterhaft und konturschwach hervortritt und wieder verschwindet.
Liebing lässt seinen musikalischen Gedanken freien Lauf und erfindet sich dadurch komplett neu. Vorbei die Zeiten, als er mit wummernden Bässen unser aller Trommelfelle zu massieren versucht hat. Die Aggression weicht einer schwarz eingefäbten Meditation, die Beats pulsieren moderat zum subbassigen Ambient-Techno mit Psycho-Einschlag, der wie bei "Ghosts Of Tomorrow" scheinbar auszubrechen droht, letzten Endes aber die intensive Spannung zu halten weiß. Das fast 20-minütige "Trilogy" ist schlussendlich auch nichts weniger als der berühmte Tanz auf dem Vulkan, der jeden Moment Feuer speien könnte und in seiner ausufernden Form eine indirekte Weiterführung dessen ist, was Tangerine Dream und Konsorten in den 1970ern angefangen haben.
Ob nun Imler oder Liebing: Diese beiden Chrisse haben den Tanzboden für sich gepachtet - jeder aber besetzt eine eigene Ecke. Am Ende jedoch stehen sie beide für einen deutschen Elektronik-Sound, der dem großstädtischen Untergrund inspirierende Momente beschert und durchgemachte Nächte in den Metropolen perfekt untermalt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 17.10.18 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH - FALK MERTEN (AFMUSIC) >
Webseiten:
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COVER © Staatsakt/Universal Music (Chris Imler), Mute (Chris Liebing)
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