5/23: BLOODHYPE, KARMA VOYAGE, VEIL OF LIGHT, MISS GRIT, LOCAL SUICIDE & CURSES, BRAUSEPÖTER: WIR WOLLEN ALLES! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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5/23: BLOODHYPE, KARMA VOYAGE, VEIL OF LIGHT, MISS GRIT, LOCAL SUICIDE & CURSES, BRAUSEPÖTER: WIR WOLLEN ALLES!

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Erinnert sich noch jemand an die "Rudi Carrell Show"? Dort wurden Otto Normalverbrauchern ein paar Minuten Ruhn geschenkt, indem sie sich als mehr oder weniger talentierte Imitatoren präsentierten. Sie wurden zuerst in ihrem Berufsumfeld gezeigt, indem man eine passende Kulisse nachbaute. Dies konnte beispielsweise eine Apotheke sein. Carrell führte ein kurzes Gespräch mit ihnen und gab ihnen dann ihr Bühnenoutfit in die Hand, das an einem fahrbaren Kleiderständer bereit hing. Mit dem Kleiderbügel in der Hand sah man dann den Imitator von hinten durch den Gang zur Bühne gehen. Dazu gehörte der Ausspruch von Carrell: "Eben noch in der Apotheke, jetzt auf der Show-Bühne!". Das würde auch zu Bloodhype passen. Denn die Jungs haben sich komplett neu definiert. Gestartet als Punkband, sind sie im Laufe ihrer Sessions in Berlin-Friedrichshain auf den Trichter gekommen, dass eigentlich der melodiöse 80s-Sound doch viel cooler ist. "Eben noch Drei-Akkord-Arbeiter, jetzt auf der Achtziger-Bühne" würde Carrel selig wohl die Berliner Jungs ankündigen. So ist "Modern Eyes" denn auch eine Ausgeburt an jubilierenden Synthie-Melodien mit knackigen Gitarren-Parts geworden, die sich an das goldene Pop-Jahrzehnt erinnern, ohne es komplett zu übernehmen, sondern mit aktuellen Hörgewohnheiten zu kreuzen. Das macht Stücke wie "On & On" oder das treibende, an "Footlose" von Kenny Loggins erinnernde "The Little Things" zu absoluten Hinhören. "Modern Eyes" besitzt die treibende Kraft von The Birthday Massacre, ohne den Gruftiefaktor einzubauen. Bei Bloodhype erstrahlt alles neongolden. Ein selbstbewusstes und stilsicheres Album.

Italien macht seit einiger Zeit von sich Reden. Negativ gesehen durch den politischen Rechtsruck im Lande, psotiv gesehen in der prosperierenden alternativen Kultur im Allgemeinen und im neo-psychedelischen Rock im Besonderen. Das letzte große Ausrufezeichen setzte Nero Kane mit ihrem berauschend schönen Werk "Of Knowledge And Revelation". Karma Voyage folgt ihnen nun als nächster Höhepunkt. Wobei die beiden Gruppen nicht viel eint, höchstens der Sinn nach flächigen Gitarrensounds. Während Nero Kane aber diese als Basis für einen religiös-rituellen Sound ohne Rhythmussektion einsetzt, ist er bei Karma Voyages erstem Album "Lights In Forgotten Places" ein Baustein im aufbrausenden Sound, der auch seine Fühler in Richtung Shoegaze austreckt. Das Debüt als Konzeptalbum zu begreifen, wäre vielleicht doch etwas hoch gegriffen. Dennoch ist ein roter Faden auszumachen, der sich durch die Stücke zieht und nicht weniger als die Gegenüberstellung von Licht und Schatten zu eruieren versucht. Ein in Töne und Worte gefasstes Ying und Yang. Unabhängig vom gedanklichen Überbau der Platte funktionieren die Lieder natürlich auch so. Denn es ist ein Leichtes, sich dem sanften Timbre von Sänger Luca Castellaro hinzugeben, während verhallte Saiteninstrumente, raumgreifende Keyboards und ein hypnotischer Basslauf, der von einem nicht minder transzenden Trommeln begleitet wird, eine der Welt entrückte Atmosphäre erschaffen. Einen der neun Songs von "Lights In Forgotten Places" hervorzuheben erscheint schlechterdings unmöglich. Hier greift alles ineinander und wirkt wie aus einem Guss.

Der "Lichtschleier" hebt sich. Seit zehn Jahren veröffentlicht das Schweizer Projekt Veil Of Light nun schon mit schöner Regelmäßigkeit ansprechende Platten. Zu Anfang noch ganz dem schummrigen Dark-Waver verpflichtet, hellten sich die Klänge mit jedem weiteren Album auf, bereits das vor rund zwei jahren erscheinene "Landslide" vertrieb die einstigen tönernen Schatten. Doch was "Sundancing" als Titel verspricht, lösen die Songs über Gebühr ein. Bereits der mit Synthiedrums gefüllte Auftakt von "Apricot Kiss" lässt keinen Zweifel: Veil Of Light haben die Sonnenseite der elektronischen Musik für sich erkundet und beschlossen, eine Zeit lang dort zu verweilen. Mit Songs wie "Hypersleep" stehen sie stilistisch ganz eng bei den Indie-Elektronikern der ersten Stunde, namentlich New Order, veranchlässigen aber auch den coolen Style der damaligen Stücke nicht, so dass die Nummer "Raindancing" von den Pet Shop Boys hätte stammen können. Das liegt auch am Zusammenspiel zwischen Elektronik und Gitarre, die hier so luftig leicht zusammengeführt werden. Der entspannte aber dennoch tanzbare Sound wird vom ätherischen Gesang getoppt. So klingt "Tonight" wie ein großer Eisbecher mit Schlagsahne schmeckt: nach Sommer, Unbeschwertheit und Jugend. Das sechste Album von Veil Of Light ist sicherlich eines ihrer radikalsten in der stilistischen Ausrichtung des Projekts. Das mag vielleicht Anhänger der ersten Stunde etwas vor den Kopf stoßen. Dennoch müssen auch diese neidlos anerkennen, dass "Sundancing" ein wunderbares Album voller schöner Melodien geworden ist. Vielleicht sogar das beste ihrer Karriere, aber wer weiß, was da noch kommt...

Bei Kraftwerk war die "Mensch-Maschine" noch ein sehr statisches Wesen, das dem Menschen als helfende Hand sein Leben erleichtern kann. Bei Miss Grit wird die Abhängigkeit umgedreht. "Follow The Cyborg" ist die konsequente Weiterentwicklung des Gedanken, dass eine mit den menschlichen Informationen gefütterter Android dem Schöpfer irgendwann mal überlegen sein wird. Die koreanisch-amerikanische Musikerin Margaret Sohn legt damit eines der spannendsten, auf spröde Elektronik und verhüllten Gesang basierendes Singer/Songwriter-Album der letzten Jahre vor. Insgesamt bewegen sich die Stücke auf Mid-Tempo-Niveau, selten bricht sich tönerne Wut und Aggression wie in "Your Eyes Are Mine" Bahn oder lädt der Sound wie beim Titelsong dazu ein, wie ein auf "locker" programmierter Android das Tanzbein zu schwingen. Apropos Kraftwerk: Einige wenige musikalische Verweise finden sich in den hintergründigen Atmosphärenklängen, die entfernt an jene von "Trans Europa Express" erinnern, aber vordergründig im Fortlaufen der Komposition schuhstarrerische Manierismen zitiert. In diesem Konzeptalbum gelangt der "Cyborg" als noch fremdbestimmte Maschine zu einem eigenen Bewusstsein, der sich im abschließenden "Syncing" nachgerade wie eine Offenbarung geriert. Das besondere an "Follow The Cyborg" ist, dass Miss Grit, die auf diesem Album ein Stück weit Selbstanalyse ihrer amerikanisch-koreanischen Abstammung betreibt (ein Song ist auch auf koreanisch), sich nicht zu einer überbordenden Spacce-Opera im Manga-Stil hat hinreißen lässt, sondern die Songs extrem introspektiv gehalten hat. Science Fiction geht eben auch leise.

Mit ruhigen Tönen hat Local Suicide so gar nichts am Hut. Das deutsch-griechische Projekt hat es bei ihren elektronischen Stücken auf einen wummernden, discoiden Sound abgesehen, der Techno, Disco und EBM mit der Dekadenz diverser 80er-New-Wave-Combos zu kombinieren versucht. Damit befinden sie sich sozusagen auf der "Dark Side Of The Moog", zu der das Projekt auch immer wieder andere Künstler hinziehen, um gemeinsame Sache zu machen. Curses gehört dabei fast schon zum festen Inventar, denn bereits auf dem Debütalbum "Eros Anikate" sind die beiden Projekte miteinander verschmolzen und haben mit "Whispering" einen verdammt coolen Track produziert. Nun bauen sie auf der EP "Magia" diese Kollaboration weiter aus. Anscheinend war das, was bei "Whispering" zu hören war, nur eine kleine Aufwärmübung im Vergleich zu dem, was sie in diesen vier Songs offenbaren. Die wie gewohnt dystopischen Sounds, die auf den Punkt gesetzten trockenen Beats und der verwaschene Sprechgesang von Vamparela: All das erzeugt eine erotische Spannung wie in einem Fetisch-Club - zumindest wäre ein erhöhter Lack- und Lederanteil auf der Tanzfläche bei diesen Songs nicht verwunderlich. Vor allem "It All Sounds The Same" und "Secret Friends" bringen sich durch einen hypnotischen Sound in Position, der nicht darauf zielt, extrem ausstaffiert zu werden, sondern in seiner Redundanz sich mit jedem Takt immer mehr in die Gedärme der Hörerschaft einnistet. Local Suicide & Curses, das ist das Zusammentreffen von großen musikalischen Talenten, deren Synergien einfach nur atemberaubend sind. Inzukunft bitte mnoch mehr davon.

Zu einer Zeit, als sich die Neue Deutsche Welle in den Hinterhöfen und Industriebrachen der Republik abspielte, wurden Brausepöter ins Leben gerufen, laut einer Online-Enzyklopädie "eine der ersten Bands, die Punk und New Wave mit deutschen Texten verbunden hat.". Der legendäre Alfred Hilsberg hat sie für sein ZickZack-Label zu sich gerufen, doch mehr als eine Single mit dem Titel "Liebe, Glück, Zufriedenheit" kam nicht zustande. Nach ein paar weiteren Kurzrillen war es dann auch schon wieder vorbei mit Brauspöter, denen Musikkritiker eine ebenso glanzvolle Indiekarriere wie den Fehlfarben prophezeiht haben, hätten sie weiter mit der Musik gemacht. Nun, sie haben dann auch weiter gemacht, allerdings erst wieder ab 2010. Doch ist es so, dass die Band, übrigen immer noch in der Urbesetzung Martin Lück (Gesang), Bernd Hanhardt (Bass) und Klaus Feldmann alias Kemper (Schlagzeug), in diesen Zeiten noch mehr Relevanz besitzt. Ihr neueste EP "Tourist" vertraut dabei auf Lücks lakonischen Betrachtungen, die wie im Titelsong nicht nur den alten Punk-Geist beschwört, sondern auch voll von humorvollen Momenten strotzt. Getrieben dagegen tönt "Und ich lauf", das, ohne explizit Bezug darauf zu nehmen, unsere heutige, an Ereignissen überbordende Gegenwart, perfekt untermalt. Von allen Unglaublichkeiten, die man hier auf der beeindruckenden EP zu hören bekommt, ist Martins immer noch juvenile Stimme die größte Überraschung. Sein Timbre ist nachwievor wie der eines späten Teenagers, der sich gegen alles und jeden auf der Welt zur Wehr setzen muss und will. Kein Wunder, dass Bands wie Isolation Berlin gerne mal einen Brausepöter-Song in ihre Live-Sets einbauen. Sie sind nachhaltiger als manch andere Band, trotz des schmalen Oeuvres, das dieses Jahr um ein weiteres Album erweitert wird. Wir sind gespannt!

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 03.03.23 | KONTAKT | WEITER: HANSAN VS. PHILIP SELWAY>

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