THOMAS LEER & ROBERT RENTAL "THE BRIDGE" VS. I AM THE FLY "PATTERN/FUNCTION": ZURÜCK ZUM START
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Wie fürchterlich muss es sein, als Musiker zwar das größte Lob von Kollegen und Gazetten zu erhalten, aber dennoch nur einen bescheidenen Hörerkreis sein Eigen nennen zu dürfen. Robert Rental und Thomas Leer waren, beziehungsweise sind gleich zwei von dieser Spezies. Rental, bereits 2000 an Lungenkrebs verstorben, und Leer galten beide als Pioniere der britischen Post-Punk-Szene. Ihre Songs im Do-It-Yourself-Verfahren waren obskur, mysteriös, psychedelisch, surreal und beeinflusste nachhaltig Musiker wie John Foxx (dessen Erstling "Metamatic" noch sehr stark vom Leer-Rental'schen Klangverständnis lebt).
Beide aus Port Glasgow stammend, sind sie sich regelmäßig über den Weg gelaufen, 1979 sollte es dann zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit kommen. "The Bridge" war dann auch das einzige Album der Art Popper. Aber was für eins! Beide Musiker machten zwar gemeinsame Sache, die Songs allerdings haben deutlich die Handschriften der jeweiligen Klangfrickler. Ist die erste Hälfte des Albums von Leers punkigem Electro-Sound durchsetzt, nehmen im zweiten Teil die bildgewaltigen Klanglandschaften von Robert Rental die Szenerie in Besitz.
Zunächst aber dominieren Elemente aus der Prä-Synthie-Pop-Ära, als die kleinen Klangkästen erschwinglich wurden und Musizierende damit begonnen haben, den elektronischen Monstern Töne zu entlocken. Oftmals spielte eher Genosse Zufall mit, als das man schon vorher wusste, welche Töne sich ergeben würden, wenn man an den entsprechenden Knöpfchen dreht. Bei "Monochrome Days" hat es aber sehr gut geklappt: Dem Song hört man seine mehr als 40 Jahre an (was auch am minimalen Aufnahmeequipment der beiden liegt: Ein WASP-Synthesizer, eine Gitarre und ein Achtspuraufnahmegerät), und dennoch geht er erstaunlich gut ins Ohr.
Bei "Fade Away" hingegen lugt der Geist des Punk hervor, aufgerufen durch eine gegenläufige Sägezahn-Basslinie und atonalen Störgeräuschen, die sich durch den ganze Song durchziehen und von Leers eruptiv-assoziatvem Gesang durchkreuzt wird. Das Stück bildet das Finale der ersten Hälfte, die mit dem nachfolgenden "Interferon" das hochgezogene Synthie-Gebäude zum Einsturz bringt.
Nun tritt Robert Rentals musikalische Vision in Kraft. Diese fußt auf einen durchaus experimentellen, aber doch kontemplativeren Vorgehen. Es wäre nicht vermessen zu sagen, dass Rental ziemlich genau bei Brian Enos Solowerken hingehört hat. Dennoch läuft der Ambient-Sound von Rental niemals Gefahr, sich platt an den großen Meister entspannter Klänge ranzuschleimen. Dafür haben Stücke wie "Perpetual" oder "Six A.M." zu viele kleine stilistische Widerhaken. Beiden Musikern merkt man aber ihre Liebe und ihren Enthusiasmus auf "The Bridge" an.
Während Rental später noch mit The Normal zeitweise abhing, schaffte es Leer 1987 zusammen mit Propaganda-Chanteuse Claudia Brücken als Act mit der Single "Snobbery And Decay" noch einmal in die Charts. Doch die große Magie passierte bei "The Bridge", wenngleich es auch kaum jemand mitbekommen hat. Gut, dass dieses Album feinster DIY-Elektronik wieder auf dem Markt ist.
Aus weniger mehr machen. Dieser Gedanke besitzt immer noch Attraktivität, nicht nur ökonomisch gesehen. Denn nach Abzug aller Spezialeffekte und die Sinne vernebelnden Klangfeuerwerke üppig arrangierter Produktionen muss doch der Song im Kern stimmig und greifbar sein. I Am The Fly zeigen, wie das gelingt.
Das Konzept ist so einfach wie genial. Zwei Musizierende, der eine am Bass und Mikro, die andere an einer verzerrten Orgel und einer Original 70er Jahre Drummachine, verstecken sich hinter Fliegenkopfmasken und spielen einen ziemlich astreinen Synth-Punk, der nicht viel Abwechslung bringt, was aber in der Natur der Sache liegt. Aber das macht die schier endlose Energie der sechs Songs ihres ersten Albums "Pattern/Function" locker wieder wett.
In seiner Stimmung ähnlich wie Suicides selbstbetiteltes, ikonisches Debüt von 1977, lebt das Album von I Am The Fly insbesondere von der heilsamen Erfahrung, dass es Bands gibt, die sich nicht in den Mainstream (auch den der Subkultur(en)) einordnet, sondern unbeirrt einen ganz eigenen, unorthodoxen Weg wählen, den manch Kritiker als ausgemachten Wahnsinn bezeichnen dürfte. I Am The Fly sind DIY as DIY can. Ihre Alben sind Eigenreleases, ihre Shows kurios und phantasievoll und ihre Songs erreichen gerade so die Zwei-Minuten-Marke. Das macht "Pattern/Function" denn auch zu einem wilden, aber kurzen Ritt: sechs Songs, 13 Minuten Laufzeit, Ende Gelände.
Aber genau das ist es, was den Geist des Punk ausmacht. I Am The Fly geben keine Pfifferling auf das, was "verkaufstechnisch ratsam" ist, sondern stellen sich gegen das System. Dooch ihre Revolte ist nicht Selbstzweck. Das Konzept ist durchdacht. Das Duo sieht sich als Fliegen und singen auch aus deren Perspektive. Sie sind Beobachter der menschlichen Spezies, die sie längst als Staatsfeind Nr. 1 (aus Sicht der Insekten) ausgemacht haben.
Wenn man bedenkt, dass Insekten den größten Teil der Biomasse auf Erden ausmacht, sollte man gewappnet sein, wenn sich die kleinen Sechs- und Achtbeiner gemeinsam gegen den Homo Sapiens formieren. Ein hervorragender Stoff für B-Horror-Movies natürlich. Aber musizierende Fliegen sind einem dann doch lieber, vor allem, wenn sie es so gut wie I Am The Fly machen.
Man glaubt es nicht, dass zwischen "The Bridge" und "Pattern/Function" ganze 43 Jahre liegen. Die Tatsache, dass es aber immer noch Musiker gibt, die so klingen wollen wie ihre Väter (oder fast schon Großväter) zeigt nur, dass die Rückkehr zu den Wurzeln der elektronischen Musik mit all ihrer verspielten Unschuld bis heute einen großen Reiz ausübt. Gut so, denn nur blank geputzte Pop-Songs werden ja auch schnell langweilig.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 15.11.22 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 6/22>
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Cover © Mute/Rough Trade (Thomas Leer & Robert Rental), I Am The Fly
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