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SHAWN WARD: IM BESTEN SINNE KONSERVATIV

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Der berühmte Hollywood-Schauspieler Ryan Gosling weiß gar nicht, was er mit der Erwähnung des Projektes FM Attack in einem Interview anlässlich des 2011 erschienenen Films "Drive" angestellt hat. Für Shawn Ward, dem Musiker dahinter, der zu dieser Zeit gerade mit seinem Debütalbum "Dreamatic" unterwegs gewesen ist, bedeutete dies einen immensen Bekanntheitsschub.

Sechs Jare später ist nun sein drittes Werk "Stellar" erschienen und beweist einmal mehr: Der Mann ist im besten Sinne konservativ. "Es ist wichtig, die Wurzeln und auch die Reinheit eines Musikstils bis zu einem gewissen Grad zu bewahren" erklärt er. "New Wave und Synthpop sind heutzutage grundsätzlich underground, und Retro-Wave ist aus deren Asche gestiegen. Kaum zu glauben, dass diese Musik mal im Radio lief und als Teil der Pop-Kultur gefeiert wurde."


Von dieser damaligen Goldgräberstimmung angetrieben, arbeitet Ward auch heutzutage noch teilweise mit analogen Synthesizern, die, wie er sagt, fast so alt sind wie er selbst und die er während seiner Anstellung in einem Musikladen gekauft hat. "Diese Relikte besitzen Klangfarben und Charakterei
genschaften, die kaum zu vergleichen sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen das aus den Songs heraushören können."

FM Attack lässt dabei die Freude an mitreißenden Melodien im überschaubaren Arrangement wieder aufblitzen. Bereits das Eröffnungsstück "Little Angel" belässt es bei einer flummiartigen Basslinie, zu der sich nur noch Beat, sphärische Soundflächen und ein höchst entspannt-ätherischer Vocodergesang dazugesellen.


Einige mögen sich an Ladytron erinnert fühlen (besonders bei jenen Stücken mit weiblichen Gesang von Mnyms), im Fall des Openers gar an "Kelly Watch The Stars" von Air, aber auch an die gleichermaßen geliebt wie gehassten Stücke von Gazebo, Kano oder dergleichen Italo-Disco-Barden mehr. Das kommt nicht von ungefähr, ist Wards musikalische Sozialisation stark von den ebenfalls musikbegeisterten Eltern beeinflusst. "Mein Vater spielte Gitarre und sang in verschiedenen Bands. Er war mehr ein Rocker. Meine Mutter hingegen hatte all diese coolen New-Wave-Platten, die mich in der Kindheit prägten." Dazu kam noch der obligatorische Klavierunterricht und ein bisschen Gitarrenkunde von Papa, die den Wunsch, eigene Stücke zu schreiben, noch befeuert haben werden.

Das Faible für die elektronische Klangerzeugung herrscht bei Shawn jedoch immer vor. "Um 2008 habe ich das Projekt FM Attack ins Leben gerufen", umreißt er die Anfänge. "In dieser Zeit habe ich sehr viel Italo-Disco und Synthpop entdeckt, aber auch Sachen aus Frankreich, die maßgeblich Pionierarbeit für die Szene geleistet haben." Nach "Dreamatic" (2009) und "Déja Vu" (2013) hat ihn "Stellar" aber vor eine neue Herausforderung gestellt. "Ich wollte ein Album mit klaren Einflüssen aus den frühen 80ern gestalten, das inspirieren und noch Jahre später gehört werden soll." Eine deutliche Ansage. Die acht Stücke auf "Stellar" lassen aber diese Selbstsicherheit durchaus zu.


Unter anderem von seiner neugeborenen Tochter Stella inspiriert, wandelt sich FM Attack vom anschmiegsamen Elektroniker hin zu einem etwas nachdenklicheren, ernsteren Künstler. "Als ich mit den Arbeiten begonnen habe, hörte
ich viel Post Punk und Wave, den ich mit meinen träumerischen Klängen verbinden wollte. Zu dieser Zeit war ich von der Synth-Wave-Szene ziemlich abgetrennt." Mit erfrischendem Ergebnis. Da darf bei "Inner Space" eine Rhythmussektion ran, die stark an Cures "A Forest" erinnert, und ganz besonders "Oceans Apart" lässt dem latent entrückten Gitarrenspiel viel Raum.

Doch Shawn Ward tritt mittlerweile auch als Geburtshelfer bei Kollegen seines Schlages auf. Jüngst ist das Album "Wild Insane" der Neo-Waver Vandal Moon aus dem amerikanischen Santa Cruz erschienen, bei dem Ward die Produktion und Mixing vorgenommen hat. "Ich habe Blake (Voss, Sänger von Vandal Moon, Anm. d. Verf.) durch einen gemeinsamen Freund kennengelernt", resümiert er das erste Aufeinandertreffen. "Wir wollten schon längere Zeit etwas zusammen machen. Er schickte mir dann einige Demos und ich wusste auf Anhieb, dass ich ihm helfen wollte, sein Album zu produzieren. Er hat den Post-Punk-Sound, den ich so liebe, wirklich auf neue Ebenen emprogehoben."

Dabei verlässt sich "Wild Insane" nicht unbedingt auf das reiche Erbe der ersten Wave-
Generation, wenngleich man sich bei den Anfangstakten des Instrumentals "Nevermore" an XTCs "Making Plans For Nigel" erinnert fühlt oder "Computer Love" in seinem glockenklaren Refrain "Modern Love Is Automatic" von A Flock Of Seagulls weiterdenkt. Den größten Pop-Anteil besitzen zweifelsohne "The Bomb" und "Boy Drinks Girl", die fast vergessene Projekte wie Book Of Love und dergleichen ins Gedächtnis zurückrufen.

Es ist Wards erste "fremde" Produktion, die nach seinen Aussagen sehr inspirierend gewesen sei. Seinen Stil indes kann man nur erahnen. Dafür hat er es sich nicht nehmen lassen, "Baby Love" zu remixen - auch dies ist im Sinne einer Ehrerbietung für ein gelungenes Album unaufgeregt geschehen, das Ergebns hingegen ist durchaus aufregend.

Ob nun als Musiker oder Produzent: Der Kanadier lässt die 80er wieder intensiv auferstehen. Dass er dabei den Nerv eines ganzen Kontinents trifft, erklärt sich Shawn durch eine allgemeine gegenwärtige Unzufreidenheit auf mehreren Ebenen. "Ich glaube, dass es eine gewisse Sehnsucht nach dieser Pop-Kultur ist, dem sich mittlerweile Menschen jeglichen Alters verbunden fühlen. Vielleicht sehen sie es als Alternative zum fürchterlichen EDM- und Top-40-Sound, der überall zu hören ist". Letzen Endes seien es aber auch die massiven politischen Veränderungen, die den musikalischen Eskapismus begünstigen: "Ich denke, dass diese vom Retrogedanken inspirierte Musik den Hörer in eine Zeit transportieren kann, als die Welt noch ein etwas lustigerer und auch einfacherer Ort war. Sie können sich an eine Zeit zurückerinnern, als die Musik neu und aufregend klang."


Bei aller Freude über diese prosperierende Szene, erkennt Ward jedoch auch die daraus entstehenden negativen Folgen. "Der Markt ist übersättigt", kritisiert er. "Viele Newcomer fokussieren sich nur noch auf visuelle Konzepte und weniger auf die Musik. Es scheint mittlerweile mehr Verzweiflung zu geben, wo zuvor noch Kreatvität und Begeisterung geherrscht hat."

Markiert Goslings Erwähnung von FM Attack von vor sieben Jahren also nicht auch eine Zeitenwende, die Retro-Wave zu einem immer massenkompatibleren Modetrend verwässert? "Zu dieser Zeit war Synthwave noch ziemlich underground", erinnert sich Shawn. "In den vergangenen Jahren habe ich aber immer mehr Künstler wahrgenommen, die Erfolge mit einem neuen, eher überproduzierten Pop-Hybrid auf Basis von Synthwave feiern." Er befürchte daher, dass die starke Verbindung zum verspielt-melodiösen Synthie-Klang der 80er, die den Retro-Wave groß gemacht hat, nun langsam zu Gunsten eines auf allgemeinere Hörgewohnheiten hin zugeschnittenen Sound abbrechen würde und die Bewegung auf diese Weise in den Mainstream ein-, beziehungsweise untergehen werde.

Daher sind FM Attacks "Stellar" und Vandal Moons "Wild Insane" nicht nur konservatorische Meisterwerke, sondern der mahnende Appel, den musikalischen Fortschritt wenigstens zeitweise anzuhalten, um sich auf alte Tugenden zurückzubesinnen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 17.04.18 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 4/18>


Webseite:
fmattack.bandcamp.com
www.vandalmoon.com


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COVERS © STARFIELD MUSIC
FOTO © FM ATTACK MUSIC

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