DELGRES "MO JODI" VS. MARK LANEGAN & DUKE GARWOOD "WITH ANIMALS": LAUT-LEISES EMOTIONSGEWITTER - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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DELGRES "MO JODI" VS. MARK LANEGAN & DUKE GARWOOD "WITH ANIMALS": LAUT-LEISES EMOTIONSGEWITTER

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Die Menge an neuer Musik nimmt im Herbst erfahrungsgemäß rapide zu. Viele dieser Produktionen sind zumeist gut gemeint, verlieren sich letzten Endes aber dann doch in stilistischer Beliebigkeit und mangelnder Ausstrahlungskraft. Und dann gibt es da noch Delgres und Mark Lanegan & Duke Garwood, die dem nahenden Jahresende noch zwei wunderbare Werke bescheren.

Erstere befassen sich aufgrund ihrer Herkunft mit einem schwierigen Kapitel der französischen Geschichte. Sänger Pascal Danaë, Schlagzeuger Baptiste Brondy und Rafgee, der das Sousaphon, eine Art Tuba, spielt, stammen zum Teil aus Guadeloupe, einer karibischen Inselgruppe. Deren Geschichte ist fest verknüpft mit der brutalen Kolonialisierung durch Frankreich im 17. Jahrhundert, Sklaverei und menschenunwürdige Arbeit auf den Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen inbegriffen.

Seit Ende des zweiten Weltkrieges zählt Guadeloupe nicht mehr als Kolonie, doch das Wirken der Europäer hat deutliche Spuren hinterlassen, denen auch Delgres mit ihrem Album "Mo Jodi" nachgehen will. Nicht umsonst haben sie sich nach Louis Delgrès benannt, einem farbigen Truppenführer, der sich um 1800 gegen Napoléons Sklaverei zur Wehr setzte und dafür mit seinem Leben bezahlen musste.

All diese geschichtlichen Hinweise sind vielleicht nicht zwingend nötig, um "Mo Jodi" gut zu finden. Schließlich funktioniert ihr rumpeliger Garagen-Blues auch ohne das Wissen um die Unterdrückung und Sklaventreiberei einfach deshalb, weil Blues seit jeher die Musik der Geknechteten war und dementsprechend eine gewisse Grundstimmung impliziert. Ein beachtlicher Mehrwert allerdings ist gegeben, wenn man etwas über den Werdegang Guadeloupes bescheid weiß.

So ist auch die Sprache, die Delgres wählen, bewusst die der Sklaven, die sich phonetisch an das Französische, der Sprache der Herrschenden, anlehnt, gleichzeitig aber auch die afrikanischen Wurzeln durchscheinen lässt. Doch Delgres sehen sich nicht als lamentierende und greinende Opfer. Geradezu programmatisch wird das Album deswegen von "Respecte Nou" eröffnet. Hier geht es um das sprichwörtliche Selbstbewusstsein der Unterdrückten. Im schnellen Rhythm'n'Blues fordert der Sänger auf, endlich für ihre Rechte einzustehen.

Dieser Stolz ist in der Tat nötig, um für die besseren Bedingungen zu kämpfen. So richtet sich der Appell wenig später dann auch an die Politik. "Mr. Président" nimmt die Verantwortlichen des Landes in die Pflicht und kritisiert ihre Ferne zum Volk. In ähnlicher Weise, aber weitaus massenwirksamer hat Pink in "Dear Mister President" seinerzeit die Bush-Regierung kritisiert. Doch wo die Sängerin ihren Tadel in butterweiche Akustik-Harmonien verpackt, wirkt der schleppende Rhythmus und gegenläufig gesetzte Riffs bei Delgres so kraftvoll wie ein Bürgermarsch auf die staatlichen Instanzen.

"Mo Jodi" besitzt zwar keine gesellschaftliche Sprengkraft (das vermag kein Musiker, was Delgres selbst in "Mr. Président" erkennen), die Darstellung der einstigen Sklaven und ihrer geschichtlichen Bürde wird aber auch für Außenstehende erkennbar. Pascal Danaë selbst trägt dazu nicht unerheblichen Anteil. In seiner alerten Stimme spiegeln sich Pein und Auflehnung gleichermaßen wieder.

Ob nun eine unmögliche Liebe aufgrund sozialer Schranken ("Ti Manmzell"), die Suche nach der eigenen Herkunft ("Ramene Mwen") oder die explizite geschichtliche Auseinandersetzung mit Napoléons Wiedereinführung der Skalverei ("Chak Jou Bon Di Fe"): Delgres betreiben einen spannenden Geschichtsunterricht und geben mit ihrem kraftvollen R'n'B, der am Ende des Albums zusehends karibische Einflüsse erhält, einem vermeintlichen Seitenschauplatz der Geschichte größere Aufmerksamkeit. Am Ende zollen sie mit "Mo Jodi" nicht nur ihren, sondern allen Freiheitskämpfern auf der Welt Tribut.

Von derlei politisch motiviertem Liedgut ist Mark Lanegan meilenweit entfernt. Seine Songs sind rein emotionale Innenschauen, die durch sein Organ, der zwischen beschwörendem Sprechgesang und brüchigem Lamento mäandert, stets religiös gefärbt ist. Vergleiche mit Tom Waits oder Leonard Cohen wurden bei früheren Veröffentlichen herangezogen. Das mag allerdings nicht ganz passen, da Lanegan nicht wie Waits eine Monströsität heraufbeschwört, sondern stets bei sich bleibt.

"With Animals" ist bereits die zweite Kooperation mit Duke Garwood, einem Multiinstrumentalisten, der zu so etwas wie einem Edel-Gastmusiker geworden ist. Seine Mitarbeiten reichen von den Klangexperimentalkünstlern von The Orb bis hin zu den Noise-Rockern von Savages.

Lanegan wiederum, der als Frontmann der Screaming Trees ein Teil der Grunge-Bewegung war und später jahrelang das Profil von The Queens Of The Stone Age geprägt hat, erwies sich in den letzten Jahren als zunehmend kooperationsfreudig. Glanzlichter sind sicherlich die Zusammenarbeit mit der Sängerin Isobel Campbell von Belle & Sebastian und ihrem an Lee Hazelwood und Nancy Sinatra erinnernden Album "Ballad Of The Broken Seas" (2006) sowie die spirituell getränkten Alben "It's Not How Far You Fall, It's The Way You Land" (2007) und "Broken" (2009), die er zusammen mit den Soulsavers aufgenommen hat (danach wurden die folgenden Produktionen der Briten bekanntermaßen von Dave Gahan von Depeche Mode gesanglich begleitet und der melancholisch-kaputte Gospel-Charakter auf ein erleuchtetes Hallelluja-Level gehievt).

Es ist bereits die zweite Zusammenarbeit zwischen Lanegan und Garwood, und gemessen am aktuellen Ergebnis ihrer Arbeit, wirkt der Vorgänger "Black Pudding" von 2013 noch wie ein sich gegenseitiges Beschnuppern zweier hochtalentierter Musiker. Denn vor fünf Jahren wählten die beiden einen erdigen, aber klar definierten Folk- und Delta-Blues aus, der schon wunderbar funktioniert hat, allerdings auch ziemlich vorhersehbar für die angeschmirgelte Stimme Lanegans ist.

Zwei Songs daraus, "Mescalito" und "Cold Molly", haben aber die weiteren Werdegang bereits vorweggenommen. Diese Stücke würden nämlich in ihrer Grundstruktur sehr gut zu" With Animals" passen. Wo damals jedoch noch klassische Saiteninstrumente das dominierende Moment bildeten, sind nun körnige Keyboardrhythmen und kaputte Orgelflächen die Hauptakteure im zusehends düsterer werdenden Klangkosmos des Duos.

Gitarren finden zwar noch statt, allerdings als basslastiges Fundament, das teilweise verzerrt aufgenommen wird und den Stücken eine unheimliche Atmosphäre verleiht. Der Minimalismus, der jetzt Einzug in die Songs gehalten hat, legt den Fokus automatisch stärker auf Lanegans Gesang. Dieser läuft bereits bei "Save Me" zur Höchstform auf, während Garwood die Klangteppiche mit buddhistischer Ruhe knüpft.

Lanegan und Garwood spinnen sich fest in ihr musikalisches Kokon ein, was Stücken wie "My Shadow Life" eine schwer greifbare Atmosphäre verleiht, die sich irgendwo zwischen Intimität und Einsamkeit einpendelt, gleichsam aber auch etwas gespenstisches in sich birgt, vor allem dann, wenn am Ende eine mitternächtliche Klarinette das Finale markiert. Wie der Blick auf alte Schwarz-Weiß-Fotos, die sich bereits an den Rändern aufzulösen beginnen, ist "With Animals" voll von Stimmungs-Miniaturen (viele Stücke sind weniger als drei Minuten lang), die scheinbar gleichfalls sich zu verflüchtigen beginnen - und Mark Lanegan ist die gespenstische Stimme aus der Vergangenheit.

Am Ende gelingt Mark Lanegan und Duke Garwood ein bewegendes Album - wie auch bei Delgres. Zwar sind die Sujets völlig verschieden, aber ihr Gespür für die richtigen Arrangements, um Bilder vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen, sind bei allen deutlich ausgeprägt. Oder kurz gesagt: Der Ton macht die Emotion!

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 19.09.18 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 9/18 >

Webseite:
www.delgresmusic.com
www.marklanegan.com
www.dukegarwood.co.uk

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Cover ©  Pias/Rough Trade (Delgres), Pias Coop/Heavenly Recordings/Rough Trade (Mark Lanegan & Duke Garwood)

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