1/20: SCANDROID, SECOND SIGHT, JANOSCH MOLDAU, M!R!M!, STARS CRUSADERS - SÜSSER DIE SYNTHIES NIE KLINGEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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1/20: SCANDROID, SECOND SIGHT, JANOSCH MOLDAU, M!R!M!, STARS CRUSADERS - SÜSSER DIE SYNTHIES NIE KLINGEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2020

Die neue Dekade wird eingeläutet mit einer Vielzahl von sorglos vor sich hinpluckernden Keyboard-Klängen. Sie geben die Marschrichtung für das neuen Jahrzehnt vor: Synthesizer ja, aber bitte nicht mehr so überproduziert und in belanglosen Urban-House-Nummern verbaselt.

[image:image-1]Dabei sind die Alben von Scandroid durchaus ein Fall für den "Loudness War" (bitte googlen, lieber Leser! Diesen Begriff zu erklären, sprengt die Rezension). Der Mann arbeitet mit druckvoll komprimierten Synthie-Sounds, die keinen Zweifel daran lassen, das Klayton, der Mann hinter diesen Kompositionen, ein zeitgenössischer Musiker ist. Mit seinem angedeuteten Iro mit feuerroten Strähnen wirkt er zudem wie aus einem Manga entsprungen. Seine Songs jedoch leben von einer scheinbar vergessenen Unschuld und Zuversicht, die sich in den meisten Popsongs der 80er manifestiert hat. Auf dem aktuellen Werk "The Light" führt er einmal mehr mit sicherer Hand seine Idee von Synthie-Pop 2.0 weiter und kann dabei immer noch überraschen. Eine stylische Duran-Duran-Coolness von "Writings On The Wall" ist ebenfalls auszmachen wie auch Klaytons Faible für gitarrenlastigen Disco-Rock bei "Everywhere You Go". Noch definierter durchdesignt ist der musikalische Nostalgietrip bei "Time Crime", der, um dem ganzen Retro-Wahnsinn das Krönchen aufzusetzen, auch noch ein quäkiges Saxofon enthält - Popperherz, was willst Du mehr? Spätestens jetzt scheinen sich Sonny Crockett und Rico Tubbs aus "Miami Vice" vor dem geistigen Auge zu materialisieren, wie sie in ihren schnieken Anzügen und heißen Fahrzeugen durch die Straßen jagen, um schönen Frauen nachzuschauen und böse Gangster dingfest zu machen. Auch das abschließende "New York Ciy Nights" wandelt auf Soundtrackpfaden für ästhetisch ansprechende Crime-Serien. Schade nur, dass bereits nach sieben songs schon wieder Schluss ist. Beziehungsweise geht es wieder von vorne los: Das Album wird noch einmal in gleicher Reihenfolge abgespielt, die Songs sind allerdings von Akteuren wie Lucy in Disguise, Tommy '86 und Turboslash remixt worden. Hübsch das, aber nicht zwingend nötig. Der Freude an "The Light" schmälert es nicht.

[image:image-2]So ganz und gar nicht mehr auf dem Radar hatte man The Second Sight aus Esslingen. Das Duo steht deutlich in der Reihe jener zu Unrecht als deutsche Depeche-Mode-Epigonen verunglimpften Gruppen wie Camouflage, Perfidious Words oder De/Vision. 2001 erschien ihr letztes, ambitioniertes Werk "From The Dark Into The Sun". Dass Alex Vlassakis und Dierk Budde wieder zusammenfinden würden, hätte man nicht mehr gedacht. Und erst recht nicht, dass "In The Grey" eine kleine musikalische Sensation geworden ist. Denn trotz der fast zwei Jahrzehnte andauernden Untätigkeit, scheint es so, als hat das Duo einfach da weiter gemacht, wo es aufgehört hat, und gleichzeitig auch noch die entsprechende Erfahrung - die sie eigentlich gar nicht haben können - in die Songs gepackt. So lebt das Album von einem fein austarierten Konzept, dass dem klassischen Synthie-Pop zwar keine unwichtige Rolle beimisst, aber stets Sänger Alex in den Vordergrund stellt. So wäre manch anderer Musiker bei "Delicate Balance" vielleicht versucht gewesen, den blubbernden Basslauf definierter klingen zu lassen. Kritiker indes werden sich an "Moments Like This" freudvoll abarbeiten, da die Nähe zu den schummrigen DM-Songs während ihrer "Playing The Angel"-Phase unüberhörbar ist. Auch "Apathy" lehnt sich im Refrain an Snow Patrols "Shut Your Eyes" an. "Nothing New", so ein weiterer Titel, ist "In The Grey" aber bei Weitem nicht. Vor allem dann nicht, wenn das Zweiergespann in "Stream Your Life" die Verlagerung der Gesellschaft in virtuelle Welten kritisch beäugt und mit "History" eine - zugegeben extrem trocken-tanzbare - Positionierung gegen konservative Kräfte, die sich in alten Grenzen wiedersehen wollen, einnehmen. Das Album ist eine verdammt cooles geworden und alles andere als "grau".

[image:image-3]Im Gegensatz dazu zeigt sich Janosch Moldau seit jeher als feingeistig-spiritueller sowie der Melancholie zugewandter Synthie-Popper, der sich im Laufe seiner Karriere, die nun auch schon rund 15 Jahre währt, einem spezifischen Klang annähert, der zwischen einprägsamen Sequenzen, träumerischen Downbeat-Flächen und anspruchsvollen Klang-Girlanden die Quintessenz des Göttlichen zu suchen scheint. So spiegeln die Songs immer auch Moldaus Befindlichkeit, der aufgrund seiner Vita ein ambivalentes Verhältnis zum Glauben hat und dieses immer wieder in seinen Alben einfließt. Das neueste Werk "Host" bildet da keine Ausnahme. Jedoch scheinen sich die Gedanken des Neu-Ulmers mittlerweile mehr einem ausgefeilteren Sound unterzuordnen. Das kann man vor allem bei "Abel" erkennen, das eventuell auch ein experimentierfreudiger Martin Gore so hätte zu Papier bringen können. Auch "Simon Of Cyrene", der vielleicht stärkste Song des Albums, verhandelt unter sägend-metallischen Sequenzen die höchst interessante Figur des Simon Cyrene, der in der Passionsgeschichte das Kreuz Jesu getragen haben soll. Diese und andere Symbole aus der christlichen Religionslehre finden sich bei "Host" mit schöner Regelmäßigkeit und skizzieren Janosch Moldau als einen ernsten Musiker, der sich mit seinen Synthesizern und Musikprogrammen ein kleines Refugium geschaffen hat, um über das Leben zu philosophieren. Alle Alben - und nicht zuletzt "Host" - wirken wie ein tönernes Kokon, in das sich der Mann eingesponnen hat. Das macht ihn einerseits irgendwie unnahbar und gleichzeitig sehr intim. Dies mithilfe der zumeist als kühlen wiewohl emotionsarmen elektronischen Musik zu erschaffen, darf gerne als großer Erfolg bewertet werden. Janosch Moldau bleibt ein eigener Kopf, der sich nicht verbiegen lässt. Gott sei Dank!

[image:image-4]Nachgerade jubilierend und von einem unbändigen Freiheitsdrang beschlagen muten hingegen die Songs von M!R!M! an. Das Projekt des Italieners Jack Milwaukee orientiert sich wie so viele andere an den Synthieklängen der 80er, bezieht sich aber nicht auf die üblichen Verdächtigen, sondern schlägt jenen Weg ein, den vor allem New Order oder auch Haircut 100 bereits begangen sind. Sprich: "The Visionary", so der Name des aktuelle Outputs, wildert ungestüm im Dream-Pop vergangener Tage umher und versieht seine pastelligen Melodien mit einer ordentlichen Portion Halleffekte, sodass die Stücke eine eigenwillige Transzendenz erhalten. Unweigerlich materialisieren sich vor dem geistigen Auge eine Vielzahl schnieker Popper-Jungs und Mädchen, die stilecht mit Tolle und Kashmir-Pullover, Karottenhosen und Slipper ihren hedonistischen Lebensstil pflegen und galant auf der Tanzfläche flanieren. Wäre "The Visionary" in dieser Zeit auf den Markt gekommen, es hätte sicherlich eingeschlagen wie eine Bombe. So werden jene, die damals groß geworden sind, ihre helle Freude daran haben, wenn in "Testament" und "Suurvive" ein geschmeidiges Saxofon am Ende wie ein Dandy die Szenerie betritt. Letztgenanntes Stück bestellt gleich zu Anfang das Feld, auf dem sich M!R!M! nun ausbreiten und nach Lust und Laune schalten und walten kann. Dass "The Visionary" aber dann doch ein zeitgenössisches Album geworden ist, merkt man nicht zuletzt an den Experimental-Einsprengseln zu Beginn von "The Mercury Girl" und dem surrealistisch anmutenden Titelsong, der nicht ohne das Wissen über den Wandel in der elektronischen Musik in den letzten rund 30 Jahren auskommt. Dennoch fängt es perfekt das Gefühl eines Sommers ein, in dem alles möglich scheint und den Adoleszenten ein großes Glücksgefühl beschert. Ein Träumchen von einem Album.

[image:image-5]Immer wieder gerne geht mit der Verwendung von Synthesizern und ähnlichen musikalischen Maschinen auch die Verhandlung futuristischer Themen einher. Denn was liegt näher, als Zukunftsvisionen mit vermeintlich avantgardistischen Tönen abseits den bekannten Klangspektren alternativer Instrumente zu untermauern. Die italienische Formation Stars Crusaders hat sich gar ein ganzes Science-Fiction-Konzept auf den Leib geschneidert. Die interstellaren Kreuz-Ritter haben vor rund sechs Jahren ihre Reise in der Zukunft angetreten, auf dem ersten Album nach "New Horizons" Ausschau gehalten und beim nachfolgenden "Welcome To Hydra" einen mysteriösen Planeten entdeckt. Nun schicken sie mit "Army Of Impostors" sozusagen eine Sneak Preview für das nächste Kapitel. Was Impostors sind, lässt sich nur erahnen, wenn man das italienische Wort impostore heranzieht, was so viel wie Hochstapler bedeutet. Das sind die Stars Crusaders sicherlich nicht, wenn man diese Single anhört. Der Titeltrack wird jenen Weltraumfreunde abholen, die sich auch mit dem dystopischen Schwebe-Electro von Mind.In.A.Box anfreunden konnten (Mastermind Stefan Poiss zeichnet übrigens auch für das Mastering des ersten Albums verantwortlich). Neben einer aufgefrischten Version des Songs "Convex Vision" aus den Crusaders-Anfangstagen, finden sich drei Remix unterschiedlicher Machart (besonders der synthetisch-rockige Einschlag von Esplosioni Controllate sollte löblichst erwähnt werden) sowie eine mehr als nur annhembare Neueinspielung des Titelsongs von einer Band namens Egoprisme. Viel verrät diese EP also noch nicht über die kommende Veröffentlichung, aber es sollte doch mit den bösen Aliens zugehen, wenn auch das nächste Album nicht wieder alle Sci-Fi- und Synthie-Pop-affinen Menschen einen kleinen Glücksmoment beschert.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 20.01.20 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH - ANDRÉ SCHMECHTA>

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www.thesecondsight.de
www.janoschmoldau.com
m-r-m.bandcamp.com
www.starscrusaders.com

Covers © FiXT (Scandroid), 7music/Nova MD (The Second Sight), Janosch Moldau Records/The Orchard/Sony (Janosch Moldau), Avant! Records (M!R!M!), SkyQode (Stars Crusaders)

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