RINGFINGER "PRESSURE" VS. SDH "AGAINST STRONG THINKING": NIEMALS (K)LANGWEILIG
[image:image-1]"Zehn Minuten". Wieviel komödiantischer Zauber liegt seit der fulminant dadaistischen Rede von CSU-Mann Edmund Stoiber in diesem Ausdruck? Wir erinnern uns: Dank des Ausbaus des Transrapids könnte der Bürger in zehn Minuten vom Münchner Hauptbahnhof zum knapp 30 Kilometer entfernten Flughafen der Landeshauptstadt fahren. Kaum mehr als zehn Minuten benötigen auch Ringfinger aus dem kanadischen Vancouver, um den Hörer komplett für sich zu begeistern.
Dabei ist die EP "Pressure" eigentlich schon fast unverschämt. Zwei Istrumentale, die wie zufällig zwischen drei Stücke, die auch nicht länger als dreieinhalb Minuten dauern, gestreut werden: Mehr hat dieses Kleinformat nicht zu bieten. Aber letzen Endes stellt sich die Frage nach der Länge bei diesem ersten Lebenszeichen dieses Projektes nicht, weil die Qualität der veröffentlichten Stücke überwältigt.
Zugegebenermaßen wirkt das einmunütige "Lunar Light" eben wie ein Opener: Breite Flächen, wiederholende Akkorde - das mag noch nicht wirklich über die Qualität von "Pressure" Auskunft geben. Der nahtlose Übergang in den stoischen Beat von "Burning" aber markiert die direkte Hinwendung zu einem Coldwave, der es schafft, in der Redundanz der Einfachheit das Große und Pathetische zu finden. Die Tiefe des Stückes ergibt sich aus den überwiegend im Bassbereich angesiedelten Sequenzen, die von einigen hellen Klangtupfern einen dynamischen Gegenpol erhalten. Darüber wird in schlafwandlerischer Manier gesungen. Wenn es dann schließlich im Refrain heißt "My soul is on fire", kann man nicht von einem alles verzehrenden Feuer, sondern von einem kleinen, aber beständigen Lodern ausgehen, das dafür um so tiefer ist.
In gleicher Weise legt sich "The Way" wie eine weiche Decke auf den Hörer. Sanfte Soundteppiche schweben mitsamt dem unangestrengten Gesang im Raum und erfüllen ihn mit einer seltsamen Energie, die sich zwischen Melancholie und Mystik einpendelt und den tieferen Sinn der Gattungsbezeichung Cold-Wave offenlegt, wie es seit geraumer Zeit kaum ein Projekt mehr getan hat.
Nach dem cineastischen Intermezzo "Footsteps In Hell" beschert der Titelsong ein Gefühl von Nostalgie. Schließlich sind die düsteren Arpeggio-Linien zwischen den Strophen eine Leihgabe der Frühneunziger, in der Electrobands immer stärker den okkulten Aspekt von EBM herausgearbeitet haben, bevor man mit dem Begriff Hellectro um sich schmiss. Das Stück wirkt wie ein Cliffhanger, denn in den letzten Takten verlangsamt das Stück und eine dreampoppige Gitarre tritt wie aus dem Nichts auf die Bühne und beendet die EP, das ein großes Fragezeichen hinterlässt - im positivsten Sinne natürlich.
[image:image-2]Häppchen hinwerfen und die gierige Meute dann erst mal zappeln lassen ist auch Semiotic Department of Herteronyms' Sache. SDH, wie sich das spanische Projekt um Sängerin Andrea P. Latorre und Klangmeister Sergi Algiz sinnigerweise abkürzt, versteht sich gut auf den gelungenen Spannungsaufbau zwischen ihren Veröffentlichungen. Ihre erste EP "Tell Them" ließ die Coldwave-Gemeinde im Frühjahr 2018 aufhorchen, das selbstbetitelte Debüt bestach durch viel schummriger Atmosphäre zwischen Dark-Room, Folterkeller und unterirdischem Tanztempel. Mit "Against Strong Thinking" bringen sie eine neue EP auf den Markt, die nahtlos an die klare klangliche Vision ihres Erstlings anknüpft.
Einmal mehr setzt das Duo auf einen unterkühlten, aber gleichzeitig erotischen Minimal-Wave, der zunächst bei "Suffer" eine melancholische Stimmung heraufbeschwört, um beim nachfolgenden "No Miracles" ganz deutlich die Tanzflächen im Visier hat. Und glauben Sie, liebe Leserschaft, dem Titel nicht: "No Miracles" ist das vielleicht magischste Stück Tanzmusik, das in den letzten Monaten erdacht worden ist. Hier verdichtet sich der Song auf nur einen Bass-Akkord, über dem eine verspulte Sitarmelodie tanzt und Andrea mit beschwörerische Stimme, einer Anne Clark nicht unähnlich, ihren Text vorträgt. Selten ist ein Stück in solcher Radikalität erdacht.
Doch bereits "Your Next Story", das noch sehr forsch klingt, und schlussendlich "Four Arms" bringen eine andere Saite von SDH zum klingen, die, möchte man denn unbedingt einen Vergleich ziehen, vielleicht die frühen Kirlian Camera als Referenzpunkt haben. Dem Zweiergespann gelingt dabei ein seltenes Kunststück: Sie wandeln von harten, technoiden Strukturen zu wesentlich melodiöseren Songs, ohne dabei die gesamte Stimmung der EP umzukrempeln. Alles scheint sich organisch zu entwickeln.
So divers die klangliche Ausrichtung ist, so einheitlich sind SDHs Texte: "Against Strong Thinking" ist ein Pamphlet gegen engstirniges Schubladendenken, ein Aufruf zum Dialog, den sie in unterschiedlichen Szenerien verhandeln und dabei aber keine endgültigen Antworten suchen. Wie Künstler nun mal so sind, wollen sie nicht den einen Weg vorschreiben, sondern nur ein Problem aufzeigen und den Rezipienten nach Lösungen suchen lassen. Das gelingt gerade bei den ruhigeren Liedern, in denen man sich Latorres Sangeskunst und Algiz' Melodiefertigkeit hingeben kann.
Auch wenn "Against Strong Thinking" doppelt so lang wie Ringfingers "Pressure" dauert, lechzt man auch hier nach mehr. Denn bei allen Verweisen auf tradierte Klänge und Strukturen, sind die Stücke dieser beiden Projekte nie langweilig oder altbacken, sondern überraschen mit einem interessanten Blick auf das bisher Geleistete ihrer musikalischen Vorfahren. Bitte mehr davon und bitte bald!
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.02.2020 | KONTAKT | WEITER: DIRK MAASSEN VS. NIKLAS PASCHBURG VS. ROOSMARIJN>
Webseite:
rngfngr.bandcamp.com
semioticsdepartmentofheteronyms.bandcamp.com
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