SMILE "PRICE OF PROGRESS" VS. ALICE UNDER WATER "FUCKOMANIA": INSPIRED BY ZEITGEIST
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"Der Preis des Fortschritts". Für die Band Smile könnte es das Runterfahren ihrer künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten auf ein Minimum gewesen sein. Entstanden ist "Price Of Progress" nämlich bereits in den Wirren der Pandemie, die alle gewohnten Strukturen schnell und nachhaltig zerbröseln ließ. Denn Smile sind eine globale Band. Sängerin Rubee Fegan kam als Kunststudentin nach Deutschland und lernte dort ihre vier Mitstreiter kennen. Corona zwang sie aber, erst einmal in ihrer Heimat zu bleiben. Dort beobachtete sie das Leben und schrieb ihre Gedanken nieder, während auf der anderen Seite des Ozeans die Jungs fleißig an ihren Songs strickten.
Am Ende ist ein Debüt herausgekommen, dem man gar nicht anmerkt, dass es eines ist. Rubee weiß ganz genau, wohin die musikalische Reise gehen soll, und ihre Jungs ziehen voller Spielfreude mit. "Price Of Progress" ist in erster Linie dem Post-Punk zuzuschreiben. Doch Smile sind weit davon entfernt, irgendwelche Erfolgsrezepte abzukupfern, gleichwohl ihre Songs natürlich wie ein Abenteuerpark der musikalischen Querverweise anmuten.
Rubee allerdings, "a singer who prefers not to sing", wie es auf ihrer Bandcamp-Seite zu lesen ist, mausert sich zu einer Geschichtenerzählerin, die rezitiert, anstatt zu trällern. Ihre wortreichen Texte erinnern an Patti Smith, ihre fatalistische Diktion bisweilen an Anne Clark oder auch Siouxsie Sioux. Trotzdem ist sie von den bekannten subkulturellen Chanteusen meilenweit entfernt. Smile ist in seiner Gesamtheit bereits mit ihrem ersten Album stilistisch so gefestigt, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass sie "ihren Sound" schon in ihrer Anfangsphase gefunden haben.
Kurz gesagt: Smile verabreichen dem Post-Punk eine Frischzellenkur, während gegenwärtige brisante Themen verhandelt werden. Bereits "Dog In The Manger" geht verklausuliert das Thema Abtreibungsrecht an, was für die gebürtige Amerikanerin von großer Wichtigkeit ist, wurde es in viele Teilen ihres Heimatlandes vor kurzem gekippt. Rubee bleibt bei aller Lässigkeit in ihrer Stimme latent auf Krawall gebürstet. Ihre skeptische Haltung gegenüber dem aktuellen Zeitgeist bringt sie pointiert in "Commuter" aufs Papier. "I wanna take life seriously", erklärt sie mit einer derartigen Verachtung in der Stimme, dass man nicht um viele Ecken grübeln muss, um zu verstehen, dass sie genau das Gegenteil meint.
"Price Of Progress" wirkt bedrohlich und sophistisch zugleich. Smile gelingt eine bemerkenswerte Platte, auf der sich die rebellische Energie des Post-Punk mit der schonungslosen Performance der Sängerin eine explosive Mischung bilden. "Price Of Progress" ist der Moment, bevor alles in die Luft fliegt, gefasst in Noten.
Und wenn es knallt, ist Alice Under Water mit dabei. "Heut' gibt's aufs Maul", röhrt sie wie durch ein Megafon im Opener "Pushback". Natürlich: Riot Grrrl. Diese Pose kennt man bereits. Aber bei Alice Under Water ist der Hintergrund ein anderer. Auch wenn die fiktive Podcasterin, die aus dem Jahr 2047 zu uns singt, zunächst einen auf Stressbolzen macht und man(n) mit emanzipatorischen Widerstand rechnen muss.
Doch der Überraschungseffekt tritt bereits bei "Welt gegenüber" ein. Zu mitternächtlichen Pianolinien baut Alice Under Water eine intime, fast schon sehnsüchtige Ballade auf, die durch die trockenen Beats und den tighten Rap beim nachfolgenden "This Girl" konterkariert wird. Und schließlich geht diese Nummer dann in "Irgendwo da vorn" über, einer Clubnummer mit leichtfüßiger Basslinie und Electroclash-Atmosphäre (Miss Kittin & The Hacker lassen grüßen).
Nach diesen ersten vier Songs wird klar: "Fuckomania" wird sich nicht kategorisieren lassen. Das Projekt hüpft quietschvergnügt von einer Musikschatulle zur anderen, um sich daraus zu bedienen. Die Kunst bei Alice Under Water liegt aber nun darin, dass sie bei allem stilstischen Wechsel nicht unschlüssig oder orientierungslos klingen. "Fuckomania" folgt einem roten Faden, der zwar auch webliches Empowernment eingedenkt, ohne ihn aber die ganze Zeit plakativ am Revers zu heften.
Das Selbstverständnis von Alice Under Water gepaart mit ihrer vermeintlichen musikalischen Sozialisation dampft die Künstlerin in ihrer gelungenen Eigeninterpretation des Grauzone-Klassikers "Eisbär" ein. Denn trotz offensichtlicher Liebäugelei mit den angesagten musikalischen Strömungen im deutschsprachigen HipHop ("Bessere Joints"), ist Alice Under Water vom weltschmerzlichen Sound der 80er Jahre gar nicht weit entfernt. Und hinter ihrer starken Fassade verbirgt sich ein nahbares, fühlendes Wesen, das im überraschenden Finale von "Eisbär" zum Vorschein kommt, wenn die Electrobeats einem seidenzarten Piano weichen.
Bei "Fuckomania" geht es, dem plakativen Titel zum Trotz, nicht um irgendwelche Beischlaflyrik. Vielmehr muss das Schimpfwort im Kontext des alltäglichen Sprachgebrauchs verstanden werd. Da kann "fuck" vieles bedeuten, unter anderem auch ein Ausruf des Entsetzens. Und seien wir mal ehrlich: Bei der momentanen Situation in der Welt kommt man mit dem "fuck"-sagen gar nicht mehr hinterher. Genau das scheint "Fuckomania" ausdrücken zu wollen.
Auch wenn die Wege unterschiedlicher nicht sein könnten, verbindet Alice Under Water mit Smile die ziemlich scharfe Beobachtung unserer Zeit und deren Genossen. Erbauend oder schöngeistig klingt natürlich anders. Doch kann Kunst dieser Tage überhaupt noch unpolitisch sein oder zumindest Stellung beziehen? "Price Of Progress" und "Fuckomania" tun dies ohne den erhobenen Zeigefinger, aber mit viel Wut im Bauch, die sie in energiegaldene Musik kanalisieren.
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COVER © SILUH RECORDS/CARGO (SMILE), OFF YA TREE RECORDS (ALICE UNDER WATER)
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||