HEAVENT "STREICHHÖLZER & STAUB" VS. HOLLI "KRÖTENMETAMORPHOSE" VS. DAS KITSCH "DAUERSCHLEIFE": LEICHTE SCHWERE UND SCHWERE LEICHTIGKEIT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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HEAVENT "STREICHHÖLZER & STAUB" VS. HOLLI "KRÖTENMETAMORPHOSE" VS. DAS KITSCH "DAUERSCHLEIFE": LEICHTE SCHWERE UND SCHWERE LEICHTIGKEIT

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Am Ende geht es um die Selbstfindung. "Ich bin ein bisschen mehr wie ich", konstatiert Heavent in seinem Stück "Und davon viel zu viel". Doch diese Erkenntnis hält nur einen winzigen Moment. Denn bereits in "Monochrom" wird das empfindliche Gleichgewicht schon wieder jäh gestört. Es geht um Beziehungen und das Ende eben jener. Darüber zu singen ist leicht, in Plattitüden und Stereotypien zu verfallen aber auch. Umso mehr ist es Heavent hoch anzurechnen, dass er diese Klippen sicher umschifft und dabei authentisch bleibt.

Denn Authentizität und übersteigerter künstlerischer Pathos schließen sich nicht aus. Beweisstück A: "Streichholz", das unter agreablen Dance Beats von einer Aufopferungsbereitschaft des lyrischen Ichs erzählt. Ein bisschen ist man an den belgischen Chansonnier Stromae erinnert, der seine existentialistischen Gedanken ebenfalls in einen zeitgemäßen, aber nie anbiedernden Pop-Sound einbettete.

Auch bei Heavent ist die Frage "Wer bin ich?" eine, die kaum zu beantworten ist. "Mein Leben ist ein schlechter Film" befindet Heavemt unter schweren Streichern und einem hypermodernen Beat in "Statist". "Ich bin historisch, grab' mich aus!", bittet er hingegen in "Staub". Immer wieder geht der Musiker mit sich selbst in Klausur, findet aber zu keiner befriedigenden Antwort. Vielleicht soll auch keine gefunden werden, um aus dieser Diskrepanz die künstlerische Kraft zu schöpfen. Denn "Streichhölzer & Staub" lebt von dem sich immer wieder neu hinterfragen. Dass es trotz gleichbleibenden Sujets auf dieser EP nicht langweilig wird, liegt auch am differnezierten musikalischen Ausdruck, in dem sich klassische Elemente mit hochmodernen Arrangements paaren und Heavent in dezentem Autotune singt, was vor allem Fans aktueller Deutsch-HipHop-Produktionen aufhorchen lassen sollte.

Heavent markiert mit dieser EP sein Territorium, das aus tiefgreifenden Lyrics und wuchtigen Sounds einen Kosmos der Identitätssuche de luxe öffnet. Über mehr Output des Hamburgers würde sich gefreut werden.

Die Freude auf eine neue Veröffentlichung des österreichischen Musikers Holli alias Tobias Paal war ebenso groß, denn sein vor einem Jahr veröffentlichte Platte "Der erste gute Tag" präsentierte den Mann als gefühlsintensiven Singer/Songwriter, der sich ungeschönt und wahrhaftig seinen Emotionen stellt (immer noch empfehlenswert: "Beifahrersitz", in dem Holli den frühen Tod seines Vaters musikalisch verarbeitet).

Auch auf "Krötenmetamorphose" betrachtet Holli seine Existenz mit einem kritischen Blick. Dabei lässt er, bei aller Melancholie, auch tönernen Humor walten. Denn in der "Sch€!$$ Stadt" wird Wien als den schlechtesten Ort für Singles auserkoren. Begleitend von einem verfremdeten Gesang und marschähnlichen Tönen bekommt der Song einen festlichen Charakter - gerade so, als ob Holli gar nichts anderes will, als sich in seiner urbanen Einsamkeit suhlen.

Doch die Hoffnung bricht sich Bahn, allen voran bei "Ich sehe die Sterne nicht" in Form eines verspielten 80er-Saxofon-Solo am Ende des Stücks, das eine Idylle heraufbeschwört, die zu schön ist um wahr zu sein. Denn wie im Eröffnungsstück "Braune Augen", das mit reduziertem Gitarrenspiel eine augenscheinlich schwierige Beziehung in einfachen, aber eindringlichen Zeilen beschreibt, scheint Melancholie sein ständiger Wegbegleiter zu sein.

Holli singt über seine Welt und seine Entwicklung. Das gipfelt im vielleicht schönsten Song der EP "Guter Weg", das einmal mehr den Verlust seines Vaters anschneidet, aber die Jugendliebe zum Inhalt hat.In jedem Moment hat man als Hörer das Gefühl, tief in Hollis Seele blicken zu dürfen und mit ihm zu fühlen. Und so erschließt sich auch das anfangs befremdliche Titellied: Die Kröte als ein glückliches Wesen, weil es den ganzen Tag am Teich verbringen kann, spiegelt den Wunsch des Wieners wider, ein einfaches und zufriedenes Leben zu führen. Vielleicht erreicht er diesen Zustand ja eines Tages. Zu wünschen wäre es ihm. Bis dahin hoffen wir weiterhin auf intime, berührende Gedankenspiele.

Im Zuge neuer deutscher Indie-Popper wie Isolation Berlin, Die Sauna oder Die Kerzen, muss man spätestens jetzt auch Das Kitsch auf dem Radar haben. Schließlich ist ihr drittes Album "Dauerschleife" ein Ausbruch an pastelligen Plastikpalmen-Pop-Perlen, in denen sich die 80er Jahre konturreich spiegeln können. Alles auf diesem Longplayer wirkt seltsam melancholisch, und die drei Jungs, von denen zwei mit einem veritablen Oberlippenbart auch modisch einem fragwürdigen Trend aus vergangenen Tagen hinterhergeht, wirken wie aus der Zeit gefallene Strandclubanimateure. Ein befremdliches und gleichzeitig spannendes Gesamtpaket.

Denn tatsächlich ist der Bandname durchaus Programm. Martin Schenk singt mit einer geradezu aufreizenden Leichtigkeit, die Klänge wirken buttrig und triefen vor Schmalz. Darüber werden Texte ausgebreitet, die einen emotionalen Pferdefuß besitzen und einem hinterrücks einen mitgeben. So wie bei "Rauchen im Regen": "Im bittersüßen Hafenklang hab ich gedacht, ich könnte schon fliehen. Du hast so schön geklungen, so schön gesungen. Beinahe wäre ich in die Elbe gesprungen." Vorgetragen mit einer unvergleichlichen Nonchalance und tupfigen Gitarren, kann diese Szenerie als Suizidversuch gedeutet werden. Der seichte Sound trägt die Schwere des Textes aber mühelos ins Ohr.

In seiner poetischen Kraft ist "Dauerschleife" kaum mit anderen Acts vergleichbar. Das Dreiergespann lässt in seinen Songs die Realität nur einen Türspalt breit eintreten. Hauptsächlich sind die drei Augsburger damit beschäftigt, ihre Stücke in leicht surrealistische Wohlfühloasen zu verwandeln. Ständig hat man das Gefühl, dass sich in den Texten ein tieferer Sinn befindet, der aber erste erschlossen werden kann, wenn man sich vom vordergründigen Wohlklang aus groovigen Beats und entspannten 80er-Klängenn loseist. Doch auch wenn man ihn nicht sofort erkennt, spürt man, dass "Dauerschleife" unter seinen sonnendurchfluteten Sounds einen dunklen Kern beherbergt.

Deutsche Sprache, schwere Sprache. Doch immer wieder finden Bands, Musikerinnen und Musiker den richtigen Ton und kreieren Werke voll poetischer Schönheit und musikalischer Ausdruckskraft. Bei Heavent, Holli und Das Kitsch wird das Schwere leicht und das Leichte schwer.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 03.12.24 | KONTAKT | WEITER: MIND.IN.A.BOX VS. KRUDER & DORFMEISTER VS. MESH>

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COVER © Dreamfellas/Beat Dreamer (Heavent), Rain Records/MH Management (Holli), Das Kitsch (Popup Records)

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