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ECKI STIEG: DIE GRENZWELLEN SIND ZURÜCK

Im Gespräch > ECKI STIEG

Jahrelang war er der John Peel der deutschen Gothic-Szene: Ecki Stieg. Der Mann aus Rehren im Auetal wurde vor allem durch seine Sendung "Grenzwellen" auf Radio ffn, das er mitbegründete, berühmt. Ecki entdeckte und förderte Bands wie Wolfsheim oder Deine Lakaien und galt als Spezialist für die Schwarzkittelfraktion – bis 1997. Aufgrund eines Imagewechsels des Senders wurde das Format eingestellt. Nun darf Ecki ab dem 9. April 2014 bei Radio Hannover wieder ans Mikro. In einem sehr offenen Gespräch unterhielten wir uns sowohl über seinen beruflichen, als auch privaten Neuanfang.

Es war in der Tat eine freudige Überraschung, dass Du die "Grenzwellen" im Radio wieder auferstehen lässt. Seit wann reifte der Gedanke in Dir, wieder auf Sendung zu gehen?
Der Gedanke war eigentlich ganz lange gar nicht da. Spätestens 2009, als ich den "Grenzwellen"-Shop nach dem Tod meiner Frau geschlossen habe, habe ich auch das Thema Grenzwellen ruhen lassen. Innerlich und äußerlich. Der Gedanke reifte erst wieder, als das konkrete Angebot von Radio Hannover kam. Und das ist ja noch gar nicht so lange her.

Was war für Dich dann der entscheidende Grund, "Grenzwellen" zu reanimieren?

Ein ganz simpler Grund war ganz einfach der, dass jemand da war, der diese Sendung und mich explizit haben wollte: Radio Hannover. Und sie wissen auch, im Gegensatz zu zig Webradios, die mich ebenfalls gefragt hatt
en, dass es eine derartige Sendung nicht zum Nulltarif gibt. Zudem schätzen sie meine Arbeit. Der wichtigste Grund aber ist, dass ich mich nach Jahren auch wieder dazu bereit fühle. Alles passt.

Im Grunde genommen haben Dich die "Grenzwellen" ja nie ganz losgelassen. Nachdem Deine Radiosendung von ffn eingestellt wurde, hast Du auf anderen Wege (darunter auch sehr früh via Internet) versucht, diesen Namen weiter zu tragen. Wie schwer war es für Dich damals, die Sendung abzugeben?

Ich habe die Sendung nie "abgegeben". Sie wurde on air eingestellt, die Rechte daran habe ich bis zum heutigen Tag. Nur konnte ich damit lange Zeit nichts anfangen, weil keiner diese Sendung wirklich haben wollte. So einfach ist das. Wie ich es schon so oft gesagt habe: Wäre ich gefeuert worden, weil ich schlecht gewesen wäre oder die Sendung miese Quoten gehabt hätte, wäre es nachvollziehbar und besser zu verarbeiten gewesen. Aber gefeuert wegen Erfolg, nur aus dem Grund, weil man nicht ins Format passt und die Popularität zu sehr polarisiert – das war schon ein hartes Brot. Und bezeichnend für die Radiolandschaft. Zumindest damals.

Wie war es für Dich, mehr oder weniger vor die Tür gesetzt zu werden? Empfindest Du heute noch Ärger darüber?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es hätte mich in keine Krise gestürzt. Rückblickend war es sogar ein Trauma. Persönlichen Ärger empfinde ich nicht mehr, das ist verarbeitet. Einige Leute, die das damals zu verantworten hatten, leben heute gar nicht mehr. So what...
Es tut mir nur sehr leid um die Musik, die nicht gespielt und vermittelt werden konnte. Diese "verlorenen" 17 Jahre werden nicht für den Hörer aufzuarbeiten sein.

Du bist ein Urgestein unter den Musikjournalisten, hast mit unzähligen Bands und Künstlern von Serge Gainsbourg bis zu The Cure Interviews geführt, Gruppen wie Wolfsheim durch Deine Tätigkeit unterstützt. Kommen da auch nicht viele Menschen zu Dir, die Dich um Rat fragen? Was sagst Du Ihnen dann?

Ich erteile jungen Talenten generell keine Ratschläge mehr. Das Problem ist, dass sie meine Worte als Bibel nehmen und mich dafür verantwortlich machen, wenn es anders läuft, als sie erwarten, nur weil sie die warnenden Worte herausgefiltert und entsorgt haben. Wie das bei Bibeldeutern nun mal so ist. Tatsächlich habe ich aber immer noch engen Kontakt zu vielen Bands und Musikern, die ich von Anfang an oder über Jahre begleitet habe, wie z.B. Deine Lakaien
oder Klaus Schulze. Ich bin oft einer der wenigen "Überlebenden", der ihr Werk im gesamten Kontext kennt, zudem auch den Menschen selbst. Es sind Freunde geworden, die auch kritische Worte nicht nur ertragen können, sondern auch erwarten. Weil sie wissen, dass sie ehrlich und fundiert sind.

Mal zu den neuen "Grenzwellen". Was wird uns da erwarten?

Keine Retro-Show oder Nostalgieparty, obwohl natürlich alte Namen auftauchen. Wer meine "Kleinode" auf Facebook in den letzten Jahren verfolgt hat, wird sich denken können, in welche Richtung es geht.

Mittlerweile sind einige Jahre vergegangen und der Stellenwert des Mediums Radio hat sich stark verändert. Warum greifst Du dennoch auf dieses Kommunikationsmittel zurück?

Ich war immer ein sehr audiophiler Mensch. Fernsehen und Filme interessieren mich kaum. Außerdem
empfinde ich es als großen Vorteil, auf einer Service-Welle wie Radio Hannover auch Menschen zu erreichen, die diese Art von Musik, die ich da spiele, gar nicht kennen und sich oft nicht vorstellen können, dass es so etwas gibt. Ich denke, dass das auch heute noch funktioniert. Und ich mag es, Menschen auf Reisen mitzunehmen, wo sie ihre eigene Fantasie bemühen müssen. Das schafft das Radio nach wie vor. Wenn man es richtig macht.

Inwieweit wirst Du diese Sendung mit anderen Medien, respektive sozialen Netzwerken, verbinden?

Da ich schon 1996 einer der ersten war, der das Internet mit in seine Sendung einbezogen hat, denke ich, dass das auch jetzt massiv der Fall sein wird. In welcher Form genau, kann ich noch nicht sagen. Die besten Ideen dazu kommen mir während des Arbeitsprozesses, nicht davor.

Nicht nur die Welt hat sich verändert, auch Du hast einen starken Wandel vollzogen. Vor einiger Zeit hattest Du noch einige Kilos zu viel auf den Rippen. Mittlerweile bist Du rank und schlank. Was hat da in Deinem Kopf umgeschaltet, dass Du Dich so verändert hast?

Alles. Wirklich alles. Ich habe jahrzehntelang auf der Überholspur gelebt und an Sex & Drugs & Rock’n Roll in meinem Leben wirklich kaum etwas ausgelassen. Ich denke, das hat man mir in den letzten Jahren auch deutlich angesehen – und das war kein schönes Bild mehr. Vor allem nicht für mich. Irgendwann kommt der Punkt, an dem D
u dich entscheiden musst: Entweder draufgehen – oder den Reset-Knopf drücken. Ich habe mich für letzteres entschieden. Nicht ganz freiwillig. Ich hatte im Oktober 2012 einen kompletten Breakdown, der mich mehr oder weniger dazu zwang. Damals wog ich 120 kg. 60 davon habe ich in nur vier Monaten gekillt. Ernährung komplett umgestellt, bis auf Nikotin alle Suchtmittel weg und vor allem Sport. 2013 war das glücklichste Jahr in meinem Leben bislang. Wie eine neue Geburt. Dass ich aus all dem ohne gravierende Gesundheitsschäden rausgekommen bin, möchte ich als schon nicht mehr normal bezeichnen. Meine Ärzte übrigens auch nicht. Gute Gene, meinen lieben Eltern sei Dank. Andere Kollegen, die ähnlich gelebt haben wie ich, sind schon längst tot. Dass mir das bisher erspart blieb, erfüllt mich auch heute noch täglich mit einer gewissen Demut und großen Gelassenheit. Wann immer ich denke, dass es mir schlecht geht, erinnere ich mich an 2012. Und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Natürlich gehen mir auch heute noch dieselben Dinge auf den Sack wie früher. Allerdings reagiere ich darauf nicht mehr mit dem Fatalismus und dem gnadenlosen, tief verletzenden Zynismus, für den ich früher berüchtigt war. Altersmilde bin ich deshalb aber noch lange nicht.

Wer Dich auf Facebook verfolgt, weiß auch, dass Du ein passionierter Radfahrer geworden bist, der Bekannte und Freunde zu gemeinsamen Touren einlädt. Was fasziniert Dich am Radfahren?

Das Radfahren ist eine der wichtigsten Säulen meines neuen Lebens. Neben Musik, die mich tagtäglich in jeder Situation begleitet, meine größte Passion und Lebensinhalt. Wahrscheinlich ist es eine Suchtverlagerung, aber eine, die den Kopf frei bläst und mittlerweile zum kreativen Schmiermittel geworden ist. Die besten Ideen kommen mir auf meinen Radtouren.

Wie viele Kilometer fährst Du?

Circa 60 km täglich,
mindestens. Die ersten direkt nach dem Aufstehen, meist morgens um sechs oder sieben Uhr. Radfahren entschleunigt mein Leben, ist Meditation, Befreiung, Naturerfahrung und gibt ihm eine völlig neue Struktur. Es hat übrigens auch meine Hörgewohnheiten erheblich beeinflusst. Ich weiß, ich werde für diesen Kult mittlerweile schon belächelt, aber belächelt habe ich früher auch Ralf Hütter. Erst jetzt verstehe ich, warum seine Augen in den Interviews, die ich mit ihm führte, nur beim Thema Radfahren wirklich zu leuchten anfingen. Zugleich hat der Lebenswandel auch das ganze soziale Umfeld verändert. Ich lebe sehr asketisch, sehr diszipliniert, sehr zurückgezogen, bin aber alles andere als einsam, sondern erfüllter und ausgefüllter denn je. Ich bin relativ unabhängig von anderen Menschen, auch emotional. Dies ist extrem befreiend. Zwangsläufig umgebe ich mich hauptsächlich mit Menschen, die entweder die Passion Rad oder die Passion Musik zu 100% teilen. Im Idealfall beides. Und die nach Möglichkeit nichts mit der Branche zu tun haben. Unsere Facebook-Radtouren und die Gemeinschaft dort sind mir heilig und mindestens ebenso wichtig wie meine neue Radiotätigkeit. Ich werde also meinen Lebensstil, den ich 2013 eingeführt habe, in keinem Fall aufgeben oder hier Kompromisse eingehen, denn dieser Lebensstil und die Balance ermöglicht mir letztendlich auch wirklich kreatives Arbeiten. Das Radfahren erdet mich und ich bin dankbar für jeden Tag, den ich so gesund bleibe, um dem nachzugehen.

Du musstest auch schwere Schicksalsschläge hinnehmen, allen voran den Tod Deiner Frau vor fünf Jahren. Hat das auch dazu geführt, über Deinen Lebenswandel nachzudenken?

Leider nicht. Nicht sofort jedenfalls. Es hat zunächst dazu geführt, mich noch mehr zu vernachlässigen, die Trauer mit Arbeit zu kompensieren, mich fremdbestimmen zu lassen und mich, ziemlich bewusst sogar, auf einen Punkt zu
steuern lassen, wo es mental und körperlich einfach nicht mehr weiter in den Keller ging und wirklich extrem lebensbedrohlich wurde. Dieser Punkt musste aber erstmal erreicht werden. Erst da war auch der Kopf bereit, umzuschwenken. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder sensible, kreative Charakter irgendwann eine derartige Krise durchlebt. Vielleicht nicht ganz so extrem. Wichtig ist allein, wie man da wieder heraus kommt. Und das ist in der Tat eine reine Kopfsache.

Am 9. April geht es los. Die Sendung ist dann immer Mittwochs von 21 bis 24 Uhr zu hören (UKW 87,6 MHz, Kabel-Frequenz 106,20 MHz oder im Stream unter www.Radio-Hannover.de).

|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 02.04.2014 ||| DEINE MEINUNG? MAIL SCHREIBEN! || WEITER: INTERVIEW MIT EX MACHINA >>



Weitere Informationen:

http://www.grenzwellen.de
https://www.facebook.com/pages/Grenzwellen/109716282379470?ref=hl
https://plus.google.com/u/0/b/108656320617265865482/108656320617265865482/posts

Wer gerne mal zusammen mit Ecki Stieg in die Pedale treten will, sollte hier reinschauen:

https://www.facebook.com/groups/487470664707699/?fref=ts

FOTOS (V.L.N.R.) © MANUEL LAZARUS (1,3,4); © STEPHAN SCHELLE (2)


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