4/17: RYAN ADAMS, PAUL DEMPSEY, CHICK QUEST, YELLOW TEETH - EINMAL GEROCKT, NIE MEHR GESTOPPT
Packen wir die Computer also für einen kleinen Moment mal weg. Denn bei aller Fortschrittsliebe besitzt so ein schön abgehangenes Rock- oder Singer/Songwriteralbum durchaus seine Reize.
Überaus stilsicher auf diesen beiden Terrains zeigt sich Ryan Adams. Aber eigentlich ist der Mann aus Jacksonville zu allem fähig. Ob nun in tiefster Melancholie verharrend wie beim 2005er Werk "29", oder beim Versuch, Pop in Folk-Rock zu verwandeln (so geschehen durch eine komplette Neueinspielung des Kassenschlagers "1989" von Taylor Swift): Irgendwie bekommt er es immer hin. Allein die Hörerschaft kommt nicht immer hinterher. Mehr ist Adams ein Kritker- denn Publikusmliebling. Doch das könnte sich mit "Prisoner" endgültig ändern. Denn so sauber bearbeitet klang der Mann noch nie. Schon das weihevolle Orgelintro zu "Do You Still Love Me" lässt einen an Whitesnakes "Here I Go" erinnern. Das Saxophon-Intermezzo in "Tightrope" mag ebenfalls als sanfter Gruß an den großen Clarence Clemons interpretiert werden. Und die behutsam angeschobene Atmosphäre in "Shiver and Shake" macht gar nicht erst den Versuch, nicht wie "I'm On Fire" von "The Boss" zu klingen. Adams hat sich damit ein weiteres Mal in Richtung eines klassischen 80er-Radio-Rocks bewegt, wie er beispielsweise Tom Petty oder Bruce Springsteen groß gemacht hat. Musikalisch also durchaus anschmiegsam, befällt ihn textlich wieder einmal der Blues. Adams singt von verflossener Liebe und gescheiterten Beziehungen. Ob da wieder sein eigenes Leben Pate stand? Immerhin hat sich der Mann 2015 nach sechs Jahren Ehe von der Schauspielerin und Sängerin Mandy Moore getrennt. Zumindest dürfte dieses Ereignis nicht ganz unwesentlich für die etwas selbstzweiflerische Grundausrichtung von "Prisoner" sein. Wobei es Ryan Adams gelingt, die ganze Thematik nicht zu sehr zu verwässern oder als dürren Kuschelrock auszuarbeiten. Eher setzt sich der Mann in eine verrostete Karre, prescht die Route 66 runter und verbringt die Nächte an Bars und in Motels, wo er nur ganz leise und unbemerkt in sich hineinnweint. Aufmerksamkeitswirksames Selbstmitleid ist nicht! Jedenfalls nicht, wenn man richtiger Rock'n'Roller ist.
Vielleicht würde Ryan Adams auf seiner Fahrt nach Nirgendwo auch auf Paul Dempsey stoßen. Immerhin teilen sie eine Gemeinsamkeit: Tom Schick. Der Mann co-produzierte das neue Dempsey-Album "Strange Loop", verbandelte sich aber auch schon mit Ryans früherer Band The Cardinals, für die er "Cardinology" und "Cold Roses" den letzten Schliff verpasste. An manchen Stellen, wie zum Beispiel dem Eröffnungsstück "The True Sea" und vor allem das Up-Tempo bei "Morningless" hört man das. Dempsey, früher Frontmann bei Something For Kate, muss sich einige Inspiration beim Amerikaner geholt haben. Und noch etwas verbindet "Strange Loop" mit Adams aktuellem Werk "Prisoner": Es geht um Beziehungen und deren unausweichliches Ende. Dempsey nimmt dabei die Rolle des Erzählers ein, lässt die Partner über ihre Zweisamkeit sinnieren; über die verrückten Momente, die man aus Liebe für den anderen macht. Aber auch über die Gründe warum das Zusammenleben gelingt - und warum oftmals nicht. Das alles geschieht höchst unaufgeregt und mit einer nachgerade schlafwandlerischen Stilsicherheit. Paul nutzt seine Musik in erster Linie als leichtfüßiges Vehikel für die Szenarien, die sich in den Songs entfalten. Dabei darf es wie bei "Idiot Oracle" auch mal ganz entspannt und reduziert zugehen: eine rhythmisch gespielte Akustikgitarre begleitet den Musiker, dazu dezent zugefügte Atmosphäre, ein smoothes Schlagzeug, fertig ist die Klang-Laube. Gerade der lässige Hängematten-Rock, wie er auch bei "Lifetime Supply" und "Be Somebody" zu hören ist, gelingt dem Australier besonders gut. "Strange Loop" ist bei aller Rock-Attitüde dann doch keine übliche Kraftmeierei, sondern ein klassisches Singer/Songwriter-Album, dass die Komödien und Tragödien unserers Daseins fein beobachtet wiedergibt.
Vom wahren Leben nun zur verrücktesten Filmszene aller Zeiten: Zwei Cowboys, hoch zu Ross, jagen sich mit Pistole und Henrystutzen durch die Weite der Prärie - ehe ein UFO aus Ed Woods "Plan 9 From Outer Space" die Szenerie bereichert und die Westernhelden mit Laserstrahlen mal so eben wegbritzelt. So oder so ähnlich kann man die Musik von Chick Quests neuem Werk "Model View Controller" umschreiben. De Wiener Band mit amerikanischem Frontmann hat ihre Erfolgsformel im Vergleich zu ihrem Debüt "Vs. Galore" (2015) nicht wirklich verändert. Auf dem Zweitling tröten noch immer die Mariachi-Bläser zu rumpeligen Gitarren-Sounds sowie kaputt klingenden Sixties-Weltraum-Keyboards. Frontmann Ryan White verwandelt sich aber mittlerweile zum verrückten Sound-Professor, der alle möglichen Zutaten ohne Rücksicht auf Sinnhaftigkeit zusammenmischt. So besitzt das Titelstück einen psychedelischen Einschlag, hervorgerufen durch das trippige Synthiepfeifen, welches am Ende zu einer Welle aus Störgeräuschen mutiert und schwallartig aus den Lautsprecherboxen läuft. Ihren ersten großen Höhepunkt erreicht das Gespann bereits mit "Down In A Crypt", das so viel verschiedene Verweise aussendet, um am Ende doch wieder wie ein typischer Chick-Quest-Song zu klingen: Der Horror-Orgel-Part erinnert an B52s "Private Idaho", die Energie der Gitarren an Adverts' "Gary Gilmour's Eyes" gekoppelt mit der Witzigkeit von "Brimful Of Asha" von Cornershop. Ja, sie lieben es wirklich, einen mit ihren Songs gleichermaßen zu unterhalten wie zu verstören. Das zweite Album mutet dabei noch befreiter und sorgenloser an, bleibt aber immer getrieben vom Geist des Punk. Dass die Nummern dann noch so herrlich abstruse Titel wie "Identity Crisis In The Grocery Store" tragen, zeigt zudem, mit welcher Freude diese Gruppe dieses Genre auseinandernimmt und nach ihren Vorstellungen wieder zusammenbaut. Nur in einem Punkt kann ihnen nicht recht gegeben werden. Nämlich wenn es am Ende "The Mission Is Failing" heißt. Irrtum: Diese Mission ist ihnen besonders gut gelungen.
Am Ende setzen wir uns an den Straßenrand der oben erwähnten Route 66, entzünden ein kleines Lagerfeuer und lauschen den melancholischen Americana-Klängen von "Rags And Pearls" der Band Yellow Teeth. Wenn der Sänger beispielsweise "Brother" mit brüchiger Stimme intonert, meint man, eine Outlaw-Mischung aus Neil Young, Johnny Cash und Willie Nelson vor sich zu haben. Auch "Raise That Glass" klingt nach gezähmter und in Country-Rock transferierter Tramp-Melancholie eines Tom Waits. Doch derjenige, der hier wie eine gestrandete Seele bei einer geleerten Flasche Whiskey seine Traurigkeit besingt, stammt nicht aus Nashville, sondern aus Sitten in der Westschweiz und heißt Tiziano Zandonella. Das muss man erst einmal im Kopf klar bekommen. Oder man nimmt diese Kuriosität einfach nur am Rande wahr. Nur soviel noch: Die Pressemitteilung verrät, das Zandonella englische Literatur studiert und über die Texte von Joni Mitchell, Leonard Cohen und Willie Nelson seine Masterarbeit verfasst hat. Das erklärt einiges - und auch nichts. Denn über Kunst zu schreiben und sie am Ende selber zu machen, sind am Ende des Tages doch wieder zwei paar Cowboystiefel. Im glücklichen Fall von Yellow Teeth aber schließen sich graue Theorie und farbenfrohe Praxis nicht aus. Denn "Rags And Pearls" ist voller Spielfreude; am Ende erinnert das Album mit "You And Me And The Moon" gar an die angedunkelten Rock-Nummern der Norweger von Madrugada. Ansonsten kostet das zweite Album den Moment voll aus, auch wenn er traurig sein mag. Wohlwissend, dass alles im Leben ein Werden und Vergehen ist. "Rags And Pearls" wirkt gleichermaßen zerbrechlich wie tröstend. Das exquisite Gitarrenspiel lässt einen hoffen, trauern und sehnen. Ein kleines, feines Meisterwerk.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 04.04.17 | KONTAKT | WEITER: EWIAN "HEART CRASH BOOM BANG" >
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Webseiten:
www.universal-music.de/ryan-adams
www.pauldempseymusic.com
www.chickquest.com
www.yellowteethmusic.com
Cover © Capitol/Universal Music (Ryan Adams), Greywood Records/Timezone (Paul Dempsey), Ryan White (Chick Quest), Vitesse Records/Timezone (Yellow Teeth)
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