4/20: ELVIS DE SADE, HØRD, DANIEL AVERY & ALESSANDRO CORTINI, FROM APES TO ANGELS, KARLUV TYN, A CHOIR OF GHOSTS - ZUHAUSE BLEIBEN, MUSIK ENTDECKEN!
Post-Punk, Wave, Electro, Folk - besser als diese "Kurz angespielt"-Ausgabe kann man die Idee unseres kleinen Magazins nicht überreißen. Denn melancholisch ist nicht allein, wer mit weiß geschminktem Gesicht den Tod besingt. Im Umkehrschluss sind auch tendenziell heiter anmutende Songs nicht per se optimistisch eingestellt.
[image:image-3]Elvis De Sade jedenfalls lassen textlich wie musikalisch keine Zweifel über ihre wenig hoffnungsvolle Weltsicht zu. "Cheerings From The Other Side" beginnt mit dem Sample einer Trump-Rede, ehe in traurigem Bariton eingestimmt wird: "Hello my darkness, meeting you again". Ihre erste EP "Angelus Novus" besinnt sich auf die Post-Punk-Tradition und baut mit stoisch ablaufenden Computerbeats und weiten Synthieflächen eine trübsinnige Atmosphäre auf, in der die Welt in seinem jetzigen Zustand scharf beobachtet und noch schärfer kritisiert wird. Allein der Bandname macht es deutlich. Elvis Presley und Marquis de Sade, die beiderseits die Aufklärung ihrer Generation vorangetrieben haben, beherbergten in sich gleichzeitig den Abgrund, den Verfall und den Hedonismus. Der fließende Sound auf "Angelus Novus" wird immer wieder von Tonschnipseln aus Reden oder Filmen unterbrochen, was den Gesamteindruckihrer Gedanken noch einmal weiter vertieft. Auch wenn dass Münchner Projekt noch einen starken DIY-Charakter aufweist und besonders der Einsatz der Samples an manchen Stellen etwas hölzern wirkt, besitzen die fünf Songs insgesamt ein großes Potenzial, auf das auch bereits die Süddeutsche Zeitung gestoßen ist und sie im Frühsommer letzten Jahres zur Band der Woche gekürt hat. So viel Vorschusslorbeeren sind in diesem Fall mal angebracht, denn "Angelus Novus" legt den Kern der Post-Punk-Bewegung in ihren Anfangstagen wieder offen, nutzt aber auch die späteren musikalischen Entwicklungen. Am Ende sind es Stücke wie "Sorrows Vanish These Nights" und "Mirror Reflection", die den Wunsch in einem aufkommen lassen, noch mehr von Elvis De Sade zu Gehör zu bekommen.
[image:image-4]Denselben Effekt hat auch das französische Projekt Hørd ausgelöst, als vor knapp eineinhalb Jahren "Parallels" den Weg in die UNTER.TON-Redaktionsräume fand. Denn Sebastien Carl, der seit 2014 unter diesem Alias firmiert, erschafft Cold-Wave-Kleinode, bei denen vor allem "Cold" dick unterstrichen wird. Der verhallte, klirrend-klare Synthesizer Sound und Carls verschleierter Gesang erinnern an eine hoffnungslosere Version von VNV Nation oder den fast schon wieder vergessenen Pride And Fall. Das dritte Album "Bodies" konzentriert sich noch stärker auf seinen Klang. Nichts soll mehr von den Stücken ablenken. Nicht einmal irgendwelche Titel, weswegen die Songs nur mit Nummern in nicht chronologischer Reihenfolge versehen wurden. Sinn und Zweck dieser Übung ist es, dass der Hörer die Stücke fließen lässt und gleichzeitig sich in diesen tönernen Strom begibt, um sich aus der Wirklichkeit auszuklinken. Dafür lässt Carl sich auch immer wieder zu sprudelnden Klangkaskaden hinreißen, die wie bei "#04" fast schon zum neumodischen Synthwave tendieren - wäre da nicht diese in viel Hall verpackte Stimme, die der Nummer wieder die nötige flirrende Traurigkeit verleiht. Und obwohl auch Stücke wie "#11" aufgrund ihrer kompositorischen Stärke sehr gut alleine funktionieren, ist "Bodies" ein Album, das auch nur als solches erst seine ganze Kraft entfaltet. Dass Hørd immer wieder mit bekannteren Kollegen wie Hante zusammenarbeitet, zeigt einmal mehr, dass er in seiner sechsjährigen Karriere einen guten Ruf erspielt hat. "Bodies" reiht sich da perfekt in diese Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlossen ist, ein.
[image:image-5]Streng genommen sind Künstler einem fortwährenden Entwicklungsprozess unterworfen. Kein Maler, Tänzer oder auch Musiker würde sich selbst und seine Kunst als angekommen bezeichnen. Schließlich geschieht um sie herum immer wieder Neues, von dem es sich wunderbar inspirieren lässt. Daniel Avery, seines Zeichens Experimentalmusiker, und Alessandro Cortini, vor allem durch seine Arbeit bei Nine Inch Nails bekannt, haben jeweils die Arbeit des anderen seit langer Zeit im Blick. Dass die beiden schließlich auch mal zusammenkommen würden, hat sich abgezeichnet. Doch "Illusion Of Time" ist mehr als nur das Ergebnis einer Kollaboration zweier Menschen, die sich gegenseitig schätzen. Das Album setzt ungeahnte Synergien frei und zeigt noch mal eine völlig neue Seite, die Avery und Cortini in ihrer bisherigen Laufbahn gut unter Verschluss gehalten haben. "Illusion Of Time" ist eine tönerne Reise in die tiefen unseres Unterbewusstseins, das durch dröhnend-dumpfe Bässe, flächigen Drones und ätherischen Synthie-Spielereien wachgekitzelt wird. Es ist ein typisches Kopfhörer-Album, das die ganze Konzentration des Hörers abverlangt. Die Stimmungen wechseln hier ziemlich schnell. Wo das Titelstück noch durch kraftwerk'sche Melodik glänzt und "Love At First Sight" sowie das sehr kurze "Interrupted By The Clouf Of Light" so etwas wie eine klangliche Hoffnung aufkommen lassen, verdunkelt sich die Atmosphäre andernorts dank umherwabernder Texturen und unfertiger Melodien. "Inside The Ruins" und "Enter Exit" mit ihren alles verzerrenden und verzehrenden Basstönen sind eher ein Easy-Listening für Bergstollenarbeiter. Diese unterschiedlichen Stimmungsebenen machen letztendlich die Dynamik des Albums, das ohne Beats auskommt, aus.
[image:image-6]Ganz viel Schlagwerk wird indes bei "Let The Light In" der vielversprechenden From Apes To Angels aufgefahren. Einige schlaue werden beim Bandnamen das wunderbare 2004er Werk "From Ape To Angel" der neuseeländischen Pitch Black in Erinnerung rufen. Doch haben Sängerin Millie Gaum und Musiker Andrew Brassleay nur wenig mit schwbender Electronica gemeinsam. Synthesizer spielen bei "Let The Light In" zwar die Hauptrolle, sind aber voll und ganz auf Melodienreichtum und Eingängigkeit geeicht. "Let The Light In" hängt die Messlatte für hoffnungsvollen Synthie-Pop äußerst hoch. Das Duo vermischt so ziemlich alles, was die Geschichte der elektronisch intendierten Popmusik zu bieten hat. Insgesamt lässt sich bei vielen Stücken, allen voran "Works Out" und "No Reason" eine dynamische Mischung aus der Verspieltheit früher Kim-Wilde-Produktionen, dem coolen Synth-Wave-Sounddesign von heute und der kühlen Noblesse diverser Electro-Frauen-Combos wie Client oder Marsheaux ausmachen. Diese Freiheit, die Gewichtung zwischen traditionellen und aktuellen Sounds zu variieren, führt letzten Endes auch zu "K.I.S.S.", das zusammen mit Chronica eingespielt worden ist und ansatzweise den neuen aktuellen Frauentypus in der Popmusik repräsentieren - selbstbewusst und auf der Höhe der Zeit was die technischen Mittel anbelangt. Martin Smith, der bereits für Groove Amarda und Richard Hawley gearbeitet hat, verpasste "Let The Light In" den letzten Feinschliff, sodass das Album von From Apes To Angels seinem Titel gerecht wird und bis zum wunderbar sprudelnden Finale in Form des siebenminütigen "Grain Barge" leuchten kann.
[image:image-7]Auch "Мерцание", zu deutsch: "Funkeln", ist ein Erstling, doch hinter der Gruppe Karluv Tyn verbergen sich Musiker, die als Giant Waves international kleine Erfolge im Post-Punk-Sektor feiern konnten. Mit diesem Seitenprojekt wenden sie sich jetzt einem Sound zu, der stark vom 80er-Wave beeinflusst und mit russischen Texten versehen ist. Das ist zwar nicht besonders förderlich, wenn es um das Verständnis des gesungenen Wortes geht, aber wie auch bei beispielsweise She Past Away, die bekanntermaßen ihren Cold Wave mit türkischen Lyrics ausschmücken, erhöht dies den Exotikfaktor um ein vielfaches. Am Ende steht jedoch die Emotion, für die eine talentierte Band nicht zwangsläufig einen allgemein verständlichen Text braucht. Und Talent besitzen Karluv Tyn, das steht außer Zweifel! Schon "Пояс" und "Абонемент" verankern ein tanzbares Tempo, das sie mit transparenten Sounds aus Gitarre und Synthesizern versehen. Ab "Сова" experimentiert die Band etwas stärker. So steigen verwaschene Gitarrenriffs wie rosa Wolken in die Atmosphäre, das nachfolgende "Укусил сугроб" beginnt fast schon New-Order-like mit einer nackten Bass-Drum, ehe sich das restliche Instrumentarium um sie herumschart. Allen Stücken wohnt das Ziel inne, so kompakt wie möglich zu sein. Die Songs, meistens nicht länger als vier Minuten, destillieren den Kern westlichen wie östlichen Post-Punk-Verständnisses und erreichen eine wunderbare Mischung aus popkulturellem Weltschmerz und russischer Melancholie. Diese kulminiert im abschließenden "К чаше вина", zu deutsch "zu einem Glas Wein", das man sich gerne zu Karluv Tyns Klängen genehmigen möchte.
Ein kühles Bier wäre dagegen das geeignetere Getränk, das zu "An Ounce Of Gold" von A Choir Of Ghosts getrunken werden kann. Zumindest versprüht der alternative Folk-Sound dieses beachtlichen Debüts eine hemdsärmelige Cowboymentalität. Tatsächlich können wir in den sonnendurchfluteten Gitarrenlicks und den lieblichen Fideln auch die existenzielle Unsicherheit und greifbare Traurigkeit eines Kurt Cobain erkennen, besonders im wuchtigen "Sinner In Rapture", einem Song gegen vorherrschende kapitalistische Mechanismen, mit denen James Auger, der Mann hinter A Choir Of Ghosts steckt, konfrontiert ist. Würde man nicht wissen, dass der Mann, der mit seinem Bart wie ein Holzfäller aus Kanada aussieht, aus Schweden kommt, man könnte "An Ounce Of Gold" ohne weiteres in die anglo-amerikanische Folk-Ecke packen. Zumindest könnten dortige Musikerkollegen gleicher Provenienz sich eine Scheibe von diesem Rookie abschneiden, der es mit seinem ersten Album perfekt versteht, mit einer Unaufgeregtheit die Aufregungen des Lebens zu besingen. Seine autobiografisch geprägten Songs handeln vom Suchen und Finden seines Platzes in der Gesellschaft, mit all seinen Höhen und Tiefen. Diese Gedanken packt er wie beim Titelsong oder "Better Off Alone" in treibenden, leicht melancholischen Folk-Pop, oder setzt auf einen reduzierten, nachdenklichen Akustik-Sound, der "The Days Fade Quicker" und "The Water" extrem intim werden lässt. "I'm only human" singt er mitvoller Inbrunst in "Human": Ein Satz, so einfach ausgesprochen und doch so schwer zu realisieren. Bei A Choir Of Ghosts menschelt es gewaltig. Und das hat in diesen Zeiten etwas Heilsames.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 08.04.20 | KONTAKT | WEITER: RASKOLNIKOV VS. VIAGRA BOYS>
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Webseiten:
elvisdesade.bandcamp.com
www.sondcloud.com/hordmusic
danielavery.bandcamp.com
fata.bandcamp.com
giantwaves1.bandcamp.com
www.achoirofghosts.com
Covers © Young&Cold Records (Elvis De Sade, Karluv Tyn), Avant! Records (Hørd), Fantasy Sound/PIAS (Daniel Avery & Alessandro Cortini), Greywood Records/Timezone (A Choir Of Ghosts)
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