SUSANNE BLECH "DIE INNERE SICHERHEIT" VS. LEOPARD "BLAULICHT" VS. BUNTSPECHT "SPRING BEVOR DU FÄLLST": DER SOMMER WIRD GUT!
Selbst Karl Lauterbach, Chefnörgler der SPD in Fragen der Pandemie, zeigt sich die letzten Wochen erstaunlich handzahm. "Der Sommer wird gut", verkündete er. Ob das coronabedingt tatsächlich so ist, bleibt abzuwarten. Musikalisch jedenfalls kann dieser Satz voll unterschrieben werden.
Nicht selten kommen mit den heißen Tagen auch die Kindheitserinnerungen. Die Sommerfrische mit den Eltern, die Kumpels im Freibad treffen, und nicht zu vergessen die Unmengen an Eis, die man während der Hitzemonate genüsslich verdrückt. Und irgendwie scheint es so, dass Susanne Blechs Mini-Album "Die innere Sicherheit" Teil der eigenen Memoiren ist. Das liegt vor allem daran, dass Timon Karl Kaleyta, der Kopf hinter Susanne Blech, zusammen mit Tilman Ezra Mühlenberg schwebende Italo-Disco-Nummern fabriziert hat, die haargenau den Punkt zwischen Unbeschwertheit und Melancholie treffen.
Das Album selbst schwelgt ebenfalls in Erlebtem. Die Geschichten sind dabei herrlich unkonventionell, handeln beispielsweise in "Diamanten" von Immobilieninvestitonen. Kaleytas entrückter Sprechgesang, der irgendwo zwischen Peterlicht und Andreas Dorau liegt, blickt in jedem Ton mit Wehmut auf eine Zeit zurück, in der Wohlstand die persönliche "innere Sicherheit" vermeintlich garantierte.
Doch wie bei "Verschweig mit Deine Not", das ein statisches Bild eines Riviera-Urlaubs der Familie zeichnet, liegt in der malerischen Idylle der melancholische Hund begraben. Denn finanzielle Absicherung, die feudale Reisen und dergleichen mehr ermöglichen, sind das eine. Insgesamt wohnt in dieser Szenerie aber auch eine große Einsamkeit. Offen lassen dieser und die drei anderen Songs, ob diese Einsamkeit gut oder schlecht ist.
Kaleyta, der nicht nur Musiker, sondern auch Autor (sein Debütroman "Die Geschichte eines einfachen Mannes" ist jüngst bei Piper erschienen), Kolumnist und Drehbuchautor ist, erzählt über kleine Beschreibungen das große Gefühl einer federleichten Traurigkeit, die sich nur im Sommer in seiner ganzen Pracht entfalten kann. Im Vergleich zu den danceorientierten Vorgängern "Welt verhindern" (2014) und "Triumph der Maschinen" (2012), wird der Elektro-Pop des Duos um eine deutliche Ecke gschmeidiger.
"Die innere Sicherheit" ist Musik für die Hundstage, die heißesten Wochen im Jahr, in dem das Leben ein Stück weit ob der Hitze zum Erliegen kommt und man den Gedanken nachhängt. Vorausgesetzt, man besitzt das nötige Kleingeld, um sich das müde Leben eines Neureichen zu gönnen.
Diesen Menschen dürfte widerum eine Band wie Leopard sicherlich Magengeschwüre bereiten. Denn die Jungs sind Anarchisten im klassischen Stil, die gegen Polizeistaat und dekadenten Lebenswandel mit schnellen Punk-Nummern protestieren. Diese fallen auf ihrer zweiten EP "Blaulicht" zwar aggressiv, aber nicht tumb oder proletenhaft aus.
Musikalisch irgendwo zwischen Kraftklub und Fehlfarben mäandernd, wird im Titelstück das lyrische Ich, das gerade voll auf Droge ist, von der Polizei gefilzt - ohne Erfolg. Doch nicht nur die "Bullen" sind Leopard ein Dorn im Auge, sondern auch die gleichgeschaltete Gesellschaft, die sich ihren ganzen Lebenswandel "Aus dem Katalog" bestellt. Eigentlich putzig, hat doch der Warenkatalog als großer Werbefoliant bereits längst ausgedient. Da kommt authentisches Neue-Deutsche-Welle-Feeling auf - also jenes, das von der ZDF-Hitparade so weit entfernt ist wie die Eisbären vom prima Klima in Lima.
Natürlich können Leopard auch Liebessongs. Aber die sind wie in "Zimmer" ziemlich abgefuckt. "Und die Löcher in meinem Herzen stopf ich mit Wodka, Kippen, Bier (...) und manchmal auch mit anderen Frauen, doch das findest Du übertrieben scheiße". Ebenfalls lässt "Es zieht mich magisch zu Dir hin" eigenwillige Komplimente auf die Holde los: "Dich umweht ein Hauch von Anarchie. Eine wilde Melange aus Straßenkampf und Party." Am Ende träumt das ungestüme Quartett dann von der "Enklave", in der sie einfach ihr Leben geniessen können - "fette Beats und Melodien" inklusive.
"Balulicht" liefert die musikalische Untermalung für das kollektive Post-Corona-Ausrasten, für die urbanen Nächte, die sich auf den Straßen abspielen. Die EP vereint Wut, Lebenslust und Jugendlichkeit auf ihren kaum drei Minunten langen Stücken und dürfte auch so manchem Altpunk ein Schmunzeln auf die Lippen zaubern. Denn nach über 40 jahren hat diese Musik zwar nicht mehr die selbe Schlagkraft und ist vom Pop-Kontext bereits assimiliert worden; sie kann aber mit den richtigen Worten und einer hohen Energie immer noch aufrührerisch wirken.
Dass die Ideen des Punk nicht mehr in Drei-Akkord-Schrammeleien enden müssen, beweisen schon seit längerem Buntspecht aus Wien und haben damit nicht nur Kritiker, sondern auch das Publikum im Sturm erobert. Nach den beiden Alben "Großteils Kleinigkeiten" und "Draußen im Kopf", sowie dem von Buntspecht als "Halbum" bezeichnetes Werk "Wer jagt mich, wenn ich hungrig bin?", ein Konglomerat aus Songskizzen und Spoken-Word-Einlagen im Poetry-Slam-Stil, eröffnet "Spring bevor du fällst" ein weiteres Mal das wortakrobatische Kuriositätenkabinett.
Buntspecht lieben es, mit der deutschen Sprache zu spielen und entweder ihre Unschärfe preiszugeben oder sie in surrealistische Momente zu tauchen. Kleine Beispiel gefällig? "Dort wo die Füchsin die Orange verschlang und der Wahnsinn langsam seinen Anfang nahm“ ("Von langen Nächten“). Oder wie wäre es damit: "Im Streichelzoo der Smartphones wünscht ich, dass du mich berührst“ ("Paradies“). Dort,wo die Realität ihre Grenzen erreicht, setzen Buntspecht an, um diese noch ein bisschen weiter auszudehnen. Kleins Texte sprühen nur so vor überbordendem Wortwitz und schelmischen Verdrehungen, die in der surrealistischen Mär "Die Badende" ein grandioses Highlight bereithält.
Zum gesungenen Wort stellt die Truppe einen lebensfrohen, eklektischen Sound auf die Beine, der zwischen Bossa Nova, Klezmer, Gypsy, Vaudeville und Wienerlied umherspringt. "Spring bevor du fällst“ ruft deswegen bereits nach dem ersten Durchhören nach Wiederholung. Man könnte vielleicht die eine oder andere Finte, textlich wie musikalisch, verpasst haben. Ihr neues Album ist wie perfekt gemacht für enge, übervolle und verrauchte Studentenkneipen, in dem man sich wahnsinnig gut die Köpfe heiß reden und den Weltumsturzplan ausarbeiten kann.
Und es ist überdeutlich: Buntspecht sind einfach zu intelligent, um uninteressant zu sein. Und „Spring bevor du fällst“ wird bestimmt das beste dreineinhalbe Album in der Geschichte der deutschsprachigen Indie-Pop-Musik werden.
Wie gut, gerade im Hinblick auf die Pandemie, die zweite Hälfte dieses Jahres wird, mag man noch nicht abschätzen. Jetzt gerade ist es gut - und dank Susanne Blech, Leopard und Buntspecht sogar noch ein kleines bisschen besser.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 22.06.21 | KONTAKT | WEITER: POOLS "YOU & US">
Webseite:
www.susanne-blech.de
leopardmusik.bandcamp.com
www.buntspechtband.at
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Cover © Z-Muzic/Grzegorzki Records/Broken Silence (Susanne Blech), Stabibi Records (Leopard), Phat Penguin Records (Buntspecht)
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