CELEIGH CARDINAL "STORIES FROM A DOWNTOWN APARTMENT" VS. LUKE ELLIOT "THE BIG WIND": VOM LEBEN GEZEICHNET
Die schönsten Geschichten sind bekanntlichermaßen jene, die das Leben schreibt. Gerade in diesen so verwirrenden Zeiten, in denen wir von einer unsichtbaren Macht gezwungen werden, unser ganzes Leben umzustellen, bekommen die kleinen Gesten solidarischen Handelns eine große Bühne.
Und sind es auch nicht die kleinen Dramen und Komödien hinter den Wohnungstüren, die eine große Anziehungskraft auf uns ausüben? Wie oft möchte man Mäuschen spielen und malt sich die verschiedensten Geschichten aus, die sich in einem anonymen Mehrparteienhaus abspielen? Udo Jürgens sang einst von bigotten und doppelmoralischen Insassen eines "Ehrenwerten Hauses", Suzanne Vega greift in ihrem großen Hit "Luca" sogar das schwierige Thema der häuslichen Gewalt und Kindesmisshandlung auf, einhergehend mit der gesellschaftlichen Verdrängung dieses Sachverhaltes - alles in leichtfüßigen und dadurch um so bitteren Dur-Tönen.
Von solch schweren Momenten ist Celeigh Cardinal weit entfernt, wenn sie ihre "Stories From A Downtown Apartment" anstimmt. Hier konzentriert sich alles auf ein, offensichtlich weibliches, lyrisches Ich, die ihre amourösen Beziehungen offenlegt. Jede Emotion fängt die Kanadierin mit einem entspannten Mix aus Soul, Folk und Blues ein, der in "When All Is Said And Done" und "Tumbleweed" auch mal fordernder ausfällt und riffige Gitarrenparts verwendet. In der Regel steht aber die kraftvolle Altstimme Cardinals im Vordergrund, die eine große Bandbreite vorweist.
Das macht die Sängerin aus der Provinz Alberta gleich mit ihrem Opener "The Devil Is A Blue Eyed Man" unmissverständlich klar. "Well you know that you had me from that first drink" schmettert die Sängerin geradezu schuldbeladen und dennoch voller Selbstbewusstsein dem Hörer entgegen. Sie ist eben kein kleines Mädchen, sondern eine Frau, die sich auf den blauäugigen Teufel einlässt und es auch genießt - wohlwissend, dass es am Ende bitter für sie ausgehen wird.
Die Kraft ihres Organs weiß Celeigh Cardinal zu dosieren, wie sie bei "Loving Is Letting Go" eindrucksvoll beweist. Nur mit ihrer Akustikgitarre ausgestattet, singt sie die Zeilen so, als habe sie eben gerade ihre Liebe ziehen lassen. Dier Person ist vielleicht noch im Hausflur, wenn Celeigh voller Schmerz und Trauer diesen Verlust besingt. Doch wirkt sie in ihren Stücken nicht wie eine gebrochene Frau. Sie lässt den Schmerz nur zu, um daran zu wachsen.
In ihrem Heimatland hat sie bereits mit ihrem Debüt "Everything And Nothing At All" von 2017 für einiges Aufsehen gesorgt - und am Ende gab es von den Western Canadian Music Awards die Auszeichnung "inidgene Künstlerin des Jahres". Das ist nicht zwangsläufig erwähnenswert, denn trotz ihrer Métis-Wurzeln könnte man Celeigh auch locker mit anderen aktuellen Soulladies wie Donna Missal vergleichen oder sie als eine geerdetere Version von Adele bezeichnen. Wer allerdings noch nicht so firm im Bereich der kanadischen Roots-Szene ist, findet hier einen wunderbaren Einstieg,um von dort aus weiter zu forschen.
Von den Geschichten in den eigenen vier Wänden geht es jetzt nach draußen in eine rauhe Natur. Das Album "The Big Wind" hat Singer/Songwriter Luke Elliot nach einer verheerenden Naturkatastrophe benannt. Es handelt sich um einen Sturm, der am 6. Januar 1839 über Irland hinwegbrauste und hunderte Todesopfer forderte. Doch noch mehr steht dieses Ereignis als Metapher für Elliots eigenes stürmisches Leben.
Schließlich hat der Mann aus New Jersey ein regelrechtes Vagabundendasein ohne festen Wohnsitz geführt, wie er selbst erzählt. Das erinnert stark an die Kunstfigur Tom Waits, der besonders zu Beginn seiner Karriere immer wieder den rauhen, heimatlosen Trunkenbold mimte, der mit krächziger Stimme von den Ver- und Ausgestoßenen eines glorreichen Amerikas singt.
Tatsächlich ist diese Film-Noir-Ästhetik, die einen auch an Mick Harvey oder Nick Cave erinnert, in "The Big Wind" auszumachen. Jedoch besitzen Elliots Kompositonen weniger dieses kaputte Moment, sondern wirken wie bei "Everybody's Waiting On You" eher wie eine schummrige Bad-Seeds-Nummer aus er der "No More Shall We Part"-Phase, während der Titelsong an die Crooner-Qualitäten eines Richard Hawley heranreichen.
Schon das wuchtige "All On Board", das mit einem pluckernden Computerbeat beginnt und in einen Kinderchor mündet, zeigt Elliots Idee, die Selbstbetrachtungen in melancholische Grandezza zu packen. Hier hört man immer noch den Vagabunden und Heimatlosen, der aufbricht in die Ungewissheit, gleichermaßen erfüllt von Angst und Zuversicht. Mittlerweile reißt sich der Musiker nach eigenen Angaben zusammen und hat sein Leben geregelt, was ihm auch endlich die Möglichkeit brachte, dieses wunderbare Album einzuspielen, das wegen des unsteten früheren Lebens des Musikers so viel Authentizität erhält. Selbst die Irish-Folk-Nummern "Paradise" und "Somebody's Man" nimmt man dem Jungen ab.
Seine großen Momente finden wir aber zweifellos in den Stücken, wo Elliot so richtig auf die emotionale Kacke hauen darf. "Never End Up" ist so eine Nummer, in der er sich mit seinem Klavierspiel in einen übersteigertes Selbstmitleid tiriliert. Und wenn am Ende von "Fifteen Tons" die Rede ist, scheint es so, als schleppe er unter langgezogenen Noten diese Last mit sich rum, fraglich, ob er dieses Gewicht überhaupt stemmen kann. Der etwas unvermittelte Abbruch dieses Songs lässt hierbei Platz für Interpretationen.
Wenn ein Song, wenn ein ganzes Album derartig in einem nachhallt, dann muss da mehr dahintestecken. "The Big Wind" jedenfalls ist so mysteriös wie einnehmend, ein funkelnd schwarzer Diamant eleganter Tristesse, welche die momentane Situation, in der wir uns alle befinden, nicht leichter macht, aber vielleicht wie bei "All On Board" uns zum Zusammenhalt ermahnt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 17.04.2020 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 4/20>
Webseite:
www.celeighcardinal.com
www.lukeelliot.com
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Cover © Greywood/Timezone (Celeigh Cardinal), Ferryhouse Productions/Rough Trade (Luke Elliot)
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