HOWARD JONES "BEST 1983-2017" VS. BRONSKI BEAT "THE AGE OF REASON": ZWEI WEGE, EIN ZIEL
Sie haben uns wunderbare Eighties-Pop-Nummern hinterlassen: Howard Jones und Bronski Beat. Ihre Gassenhauer, Jones spaciges "What Is Love?" und Bronski Beats Coming-Out-Hymne "Smalltown Boy", prägten den Sound der frühen 1980er deutlich mit. Nun sind von ihnen Werkschauen erschienen, die in ihrer Auslegung unterschiedlicher nicht sein könnten.
Im Falle von Howard Jones finden wir eine klassische Zusammenstellung vor. Natürlich ist "What Is Love?" mit dabei (sogar als verlängerte Variante), auch "New Song" und "Like to Get to Know You Well", die vielleicht dem interessierten Hörer und 80er-Connaisseur noch ein Begriff sein werden. Doch einen Künstler nur auf einige seiner großen Nummern zu reduzieren bedeutet auch, ihn eindimensional zu betrachten.
"Best 1983-2017" vermeidet genau dies. Wie im Titel deutlich wird, ist der 62-jährige Mann aus Southampton immer noch aktiv. Sein Werdegang vom Prototyp-Popper zum geschätzten Komponisten, der mittlerweile auch nicht mehr vor Orchester-Kompositionen zurückschreckt, deckt diese drei CD starke Veröffentlichung perfekt ab.
Natürlich gilt die meiste Konzentration der frühen Jahre, denn sie waren eindeutig die erfolgreichsten und füllen die erste CD randvoll aus. Stilistisch könnte man ihn als Duran Duran in Personalunion beschreiben. Während es aber den Jungs um den charismatischen Sänger Simon Le Bon auch immer um die Pose ging, wirkte Jones eher wie ein schüchterner Landbursche, der das erste Mal in die Großstadt kommt, um zu feiern. Musikalisch jedoch konnte ihm schon damals keiner etwas vormachen.
Und plötzlich entdeckt man die ungehörten Seiten des Howard Jones. Da öffnet sich in der introvertierten Ballade "Hide & Seek" ein nächtliches Firmament, das voll von funkelnden Sternen ist, und "Speciality" beginnt geschickt mit einer rustikalen Strophe, um phönixgleich in einen wunderbar ätherischen Refrain aufzusteigen.
Ehrlicherweise muss gesagt sein, dass Howard Jones zur richtigen Zeit die richtige Musik gemacht hat. Wie schwierig das sein kann, zeigt ganz deutlich die zweite Scheibe, das sein Wirken von den 1990ern an bis jetzt enthält. Jones versucht sich nun als abgeklärter, cooler Popmusiker, baut in vielen Songs die damals virulent eingesetzten Drumloops ein, um technisch auf der Höhe der Zeit zu sein. Die markanten Melodien bleiben jedoch aus.
Dafür bricht sein buddhistischer Glaube immer mehr Bahn durch seine Lieder. "Let The People Have Their Say", ein interessanter Ethno-Electro-Pop-Song, mag stellvertretend für Jones' weltverbesserischer Tendenz sein, die ihn aber weitestgehend von der popmusikalischen Bildfläche verschwinden ließ. Erst 2005 traut er sich wieder an Synthie-Pop-Strukturen heran, die mit "Revolution Of The Heart" und "Just Look At You Now" erstaunlich spannende Formen annimmt (und wenigstens in Schweden von Erfolg gekrönt war). Zuletzt setzte er sogar mit dem knackigen "The Human Touch" vom 2015er Album "Engage" einen Fuß in die Tür zum grassierenden Synthwave und überrascht damit ein weiteres Mal.
Als tönernen Nachtisch gibt es auf der dritten CD einige akustische Versionen seiner späteren Stücke. Schade, dass man da nicht auf die Hits zurückgegriffen hat. Dafür liefern diese Nummern noch einmal den Beweis ab, dass Jones ein souveräner Musiker ist, der sich über rund drei Dekaden nie verbogen hat, sondern immer seinen eigenen Weg gegangen ist.
Ganz anders ist das Wirken von Bronski Beat zu bewerten. Auch sie kamen zur richtigen Zeit und in einer heftigen Explosion. "The Age Of Consent" war nicht nur eine düstere Post-Disco-Scheibe im Gorgio-Moroder-Stil, sondern auch eine popkulturelle Manifestation des Gay Pride. "Why?" und "Smalltown Boy" zeigten schonungslos und geradezu schmerzhaft die radikale Ablehnung, mit der homosexuelle Menschen in der Gesellschaft zu kämpfen haben. Gerade während der eisernen Regentschaft unter Margaret Thatcher wurden die Stimmen nach schwullesbischer Gleichberechtigung (Stichwort: Clause 28) lauter. Bronski Beat lieferten den Soundtrack dazu.
Die Nöte, Wünsche und Hoffnungen dieser Menschen kulminierten zudem im mal qualvollen, mal sanften Falsett von Jimmy Somerville, der später seine Karriere bei den Communards und als Solo-Künstler fortsetzen sollte. In seinem Gesang materialisierte sich die Jahrzehnte lange Pein, unter denen gleichgeschlechtlich Liebende zu leiden hatten. Aber auch Wut, Trauer und Auflehnung klangen aus den Stücken heraus und machten sie zu gehaltvollen Zeitdokumenten, die auch abseits hoher Chartplatzierungen ihre immanente Berechtigung hatten.
Natürlich sind noch nicht alle Kämpfe ausgefochten, und besonders die besorgniserregenden Entwicklungen in Osteuropa zeigen, dass Homosexualität in vielen Gegenden als widernatürlich bekämpft wird. Doch die Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen in Deutschland zeigt deutlich, dass man zumindest hierzulande ein ganzes Stück weiter gekommen ist.
Aber ob es dennoch notwendig ist, ein Album, das anno 1984 in seiner ganzen Aussage richtig und wichtig war, 33 Jahre später neu eingespielt als "The Age Of Reason" (mit leicht veränderter Playlist) wieder zu veröffentlichen, sei mal dahingestellt. Zumal zwei Drittel nicht mehr bei Bronski Beat dabei sind. Keyboarder Larry Steinbachek verstarb 2016 mit gerade mal 56 Jahren an Krebs, und Jimmy Somerville stand für die Neuaufnahmen offensichtlich nicht zur Verfügung. Damit brechen tragende Säulen des Bronski-Sounds weg.
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass "The Age Of Reason" ein glatter Reinfall geworden ist. Dennoch pokert Ur-Mitglied Steve Bronski hoch, wenn er für den Gesang einen gewissen Stephen Granville engagiert, der im Vergleich zum kleinen Jimmy unvermeidlich den kürzeren ziehen muss, obgleich auch er über eine feste Falsett-Stimmlage verfügt.
Schon beim ersten Song "Why?" wird aber deutlich, dass der Neuaufnahme die ganze Dringlichkeit des Originals fehlt. Das Tempo wurde gedrosselt und Granville bemüht sich um eine stimmige Interpretation, kommt aber sowohl hier als auch bei den übrigen elf Liedern nicht aus Somervilles übermächtigen Schatten heraus.
Was "The Age Of Reason" rettet, ist alleine das kompositorische Grundmaterial, das selbst in neuer Instrumentierung einfach unkaputtbar scheint. Vom bordellerotischen "Love & Money" über den zerbrechlichen "Need A Man Blues" bis hin zum swingenden "Heatwave" (damals in der Extended Version mit einem wunderbaren "Gymnastik-Intro") besitzen die Songs einen immensen Wiedererkennungswert, der auch nach drei Dekaden nicht an Spannung verloren hat.
Dies gilt allerdings nicht für die neuen Stücke, die auf der zweiten CD und in mehrfacher Ausführung zu hören sind. "Stars", "I'll Be Gone" und "A Flower For Dandra" sind zwar wohlgefällige Nummern, wirken allerdings auch nicht wirklich zwingend. Ein bisschen scheint es fast so, als ruhen Bronski Beat sich auf bereits erreichten aus und schauen mit Altersmilde auf ihr künstlerisches Statement zu schwullesbischer Gleichberechtigung. Damit haben sie aber auch die Chance vertan, noch einmal ein flammendes Plädoyer für die Menschlichkeit zu halten. Wenigstens im Booklet folgt der Schulterschluss mit der homosexuellen Gemeinde (inklusive der oftmals vernachlässigten Transgender).
Wie auch Howard Jones waren Bronski Beat ein Glücksfall für die 80er Jahre. Während aber Jones seinen Weg weiter ging und in seinem "Best 1983-2017" eine stringente, wenngleich nicht immer von Erfolg geprägte, Karriere vorweisen kann, hängen Bronski Beat ein wenig im luftleeren Raum und ihrem ersten und einzig richtig erfolgreichen Album "The Age Of Consent" etwas wehmütig nach. "The Age Of Reason" kann man machen, muss man aber nicht.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 31.07.17 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH: FRAMHEIM>
Webseite:
www.bronskibeat.club
www.howardjones.com
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