MESH: "VIELE VERGLEICHEN UNS MIT DEPECHE MODE, ABER DAS IST DENKFAULER JOURNALISMUS"
Hallo Richard. Nehmen wir mal den Titel Eures neuen Albums wörtlich: Was siehst Du, wenn du zum Himmel blickst?
Richard Silverthorn: Nun, ich sehe im Moment einige Wolken an einem sonst blauen Himmel über Bristol.
Wie ist es zu dem Titel "Looking Skyward" gekommen?
Er stammt aus einer Zeile vom Song "The Fixer" und schien das gesamte Gefühl dieser Platte perfekt zu treffen. Obwohl es viele dunkle Ecken auf unserem Album gibt, besitzt es auch immer einen gewissen Hoffnungsschimmer. Wie das Licht am Ende eines Tunnels.
Wie bei dem wunderschönen Cover mit dem Jungen, der von einem vollen Speicher gen Himmel blickt...
Genau. Es greift diesen Hoffnungsgedanken noch einmal auf. Als Location haben wir eine alte Fabrik in einer kleinen Stadt unweit von Bristol ausgesucht. Die Farben und die Stimmung dieses Ortes waren richtig cool. Nach den Aufnahmen wollten Mark und ich noch ein Video darin drehen. Zu diesem Zeitpunkt war es dann aber schon abgerissen. Von daher bin ich sehr froh, dass wir wenigstens die Fotos machen konnten.
Kann man das Cover auch als Symbol für Aufklärung verstehen - emotionaler Aufklärung vielleicht?
Definitiv! Die Songs besitzen eine melancholische Grundstimmung, wirken aber gleichzeitig auch wie eine Erfüllung.
"Looking Skyward" ist Euer achtes Album, sieht man mal von Remix-Platten und Best-Ofs ab. Wie schwer oder leicht fällt es Euch, nach so vielen Jahren im Musikgeschäft noch inspiriert zu sein?
Es ist ein langer Weg, den wir bis jetzt zurckgelegt haben. Es gab sehr viele Höhen und auch Tiefen. In diesem Business zu bestehen ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Aber wir waren stets zuversichtlich, dass wir unsere Sache gut machen und viele Menschen damit ansprechen würden. Ich denke, dass dies bis heute unsere Inspiration ist, um weiterzumachen. Wir sind unseren eigenen Weg gegangen und haben Hinweise ignoriert, wie wir unsere Projekt zu führen haben und wie nicht. Die Medien kontrollieren das ganze Geschäft. Aber letzten Endes führt es auch dazu, dass die Menschen einen wahrnehmen.
Hattet ihr manchmal das Gefühl, nicht mehr weitermachen zu können?
Oh ja. Anlässe gab es dafür genug. Ich glaube, am schlimmsten war es, als Neil Taylor 2007 die Band verließ. Mark und ich saßen zusammen und haben uns überlegt, was wir jetzt machen sollen. Die Auflösung der Band war noch nie so nah. Aber das Gefühl, die Musik nach so langer Zeit nicht mehr als Deinen ständigen Begleiter zu haben, machte uns mehr Angst. Solange wir immer noch gerne ins Studio gehen, werden wir auch weitermachen.
Am Anfang Eurer Karriere hat jemand über Euch geschrieben, dass ihr zwar deutlich von Depeche Mode beeinflusst seid, aber in Zukunft werden andere Bands dafür getadelt, wie Mesh zu klingen. Glaubt ihr, dass ihr mittlerweile Eure "musikalische Mitte" gefunden habt?
Ich denke ja. Wie Du richtig bemerkt hast, verglichen uns viele mit Depeche Mode, aber das ist denkfauler Journalismus. Es ist ein bisschen zu einfach zu sagen: "Hey, die Jungs benutzen Synthesizer. Die müssen wie Depeche Mode klingen". Aber ich glaube, dass wir das mittlerweile abgeschüttelt haben. Tatsächlich habe ich schon viele Rezensionen über andere Bands gelesen, in denen wir als Vergleich herangezogen wurden. Das ist für uns natürlich ein Kompliment. Die Menschen wissen mittlerweile wie wir klingen, und als Erfinder dieses Sounds zitiert zu werden ist natürlich ziemlich cool. Seit rund fünf Jahren erfahren wir dermaßen viel Wertschätzung; das ist eine Ehre.
Würdet ihr Euch eigentlich als Popgruppe bezeichnen, oder seid ihr immer noch "independent"?
Popmusik bedeutet doch, dass sie poplär ist, oder? Ich weiß nicht, ob wir wirklich in diese Kategorie reinpassen. Gut, wir sind zwar in gewisser Weise alternative oder independent, aber wir haben ein starkes Pop-Appeal. Aber das war schon immer unser Ziel. Wir lieben die Musik von Yazoo, Depeche Mode, Nine Inch Nails, Placebo, Garbage...alles Bands, die nicht wirklich pop sind, aber doch einen gewissen Erfolg im Mainstream aufweisen können. Das beste aus zwei Welten sozusagen. Mit dem Einstieg von "Looking Skyward" auf Platz zwölf der Media Control Charts scheinen wir jedenfalls einiges richtig gemacht zu haben.
Für dieses Album habt ihr auch Geräusche aufgenommen und sie in Euren Stücken eingebaut. War das eine spontane Idee oder vielleicht auch eine Anlehnung an Depeche Mode, die in ihren frühen Jahren ebenfalls die Sampling-Technik benutzten?
Nein. Das kam daher, dass wir zu Beginn der Arbeiten an "Looking Skyward" unsere alten Alben angehört haben und feststellen mussten, dass dieses Stilmittel mittlerweile fast komplett aus unseren Nummern verschwunden ist. Software und Plugins haben die alten Synthesizer und Sampler ersetzt. Die Schönheit dieser Kunstform liegt in ihrer Unvollkommenheit. Die Sounds klangen körnig, was ihren Reiz nur verstärkt hat. Es gibt so viele Künstler heutzutage, die jahrelang an ihrer Musik feilen. Nur um sie derart zu perfektionieren, dass sie leblos klingen. Wir sind den anderen Weg gegangen und wollten nicht perfekt klingen. Dafür verbrachten wir Stunden damit, verschiedene Klänge aufzunehmen und sie in einem Emax und Akai als Sample einzuspielen. Es ist viel befriedigender, etwas komplett eigenständiges zu kreieren, als sich sein Lieblingspresets aus dem Computer auszusuchen.
Habt ihr nach speziellen Geräuschen Ausschau gehalten? Und wie sind diese in Eure Songs integriert worden?
Wir haben natürlich auf Sachen geschlagen, um perkussive Loops zu kreieren. Aber wir waren auch auf der Suche nach alltäglichen Klängen. Einfach nur den Lärm auf den Straßen aufzunehmen verleiht einem Song gleich einen ganz eigenen Charakter und ändert die Stimmung total. Beim Song "Two + 1" beispielsweise hat Mark seine Gesangsspuren in seinem Sommerhaus im Garten während eines starken Gewitters mit Blitz und Donner aufgenommen. Auch wenn das gar nicht beabsichtigt war, klang das am Ende so atmosphärisch, dass wir die Naturgeräusche einfach bei der fertigen Aufnahme beibehalten haben.
Zwar ist "Kill Your Darlings" Eure Single, aber "Tactile" und "Before This World Ends" wirken aussagekräftiger, weil sie diesen typisch melancholischen Mesh-Sound besitzen. Scheint fast so, als bereitet Euch die Traurigkeit auch immer etwas Freude...
Das ist so. Solche Stücke besitzen einfach mehr Tiefe und erreichen das Herz. Jeder kann sich mit solchen nachdenklichen Liedern in irgendeiner Form identifiizieren. Es ist aber natürlich nicht so, dass wir die Melancholie suchen. Es passiert einfach so.
Gibt es auch Songs, die Euch sehr berühren, weil sie persönlich gefärbt sind?
Da Mark die Texte schreibt, kann ich das schlecht beurteilen. Was mich anbelangt, gibt es tatsächlich einige Songs, die direkt aus meinem Herzen kommen. Es hängt ein bisschen von meiner Verfassung ab oder wie sie nach meiner Meinung klingen sollten. Vielleicht wirken sie deswegen die ganze Zeit so melancholisch (lacht). Das verrückte ist eigentlich, dass Mark bei einigen Songs Texte beigesteuert hat, die genau meiner Stimmung, die ich hatte, als ich mit dem Komponieren begonnen hab, entsprachen. Solche Lieder stechen für mich besonders hervor.
|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 20.09.16 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 7/16 >
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